Die mit Abstand größten Unternehmen in Ungarn sind nun schon seit Jahren unverändert MOL, Audi und GE. Wer hierzulande anständig wachsen will, der exportiert – Der heimische Markt brachte auch 2014 wieder keine Blumen.
Die verschiedenen Top-Ranglisten über die größten Unternehmen des Landes ähneln sich in vielen Belangen; wir haben uns die Listen des Wochenmagazins hvg einmal genauer angesehen. Deren Recherchen stützen sich auf die umfangreiche Datenbank von Creditreform, und einzigartig in Ungarn wird eine gesonderte Rangfolge aufgestellt, die den Beitrag der Großunternehmen zur Wertschöpfung in den Vordergrund rückt. Das Ranking ist nach den Umsatzerlösen geordnet, seine Platzierungen sind weitgehend als korrekt anzusehen. Kleinere Unstimmigkeiten ergeben sich am ehesten wegen des Konsolidierungsgrads der Angaben: So hat etwa die hvg die verschiedenen eigenständigen Unternehmen der Robert Bosch-Gruppe in Ungarn einzeln bewertet (so die Robert Bosch Elektronika Kft. Hatvan auf Platz 16 und die Robert Bosch Energy and Body Systems Kft. in Miskolc auf Platz 35), die zusammengenommen ungefähr ein Umsatzergebnis gleich jenem von Samsung in Ungarn erzielen, also konsolidiert mühelos in die Top 10 eingezogen wären. Einschließlich Bosch wäre dann genau die Hälfte der Top 10-Unternehmen deutschen Ursprungs.
Krise verdrängte Nokia
Das Spitzentrio setzt sich seit dem Abstieg von Nokia Komárom stabil aus dem heimischen Mineralölkonzern MOL, dem deutschen Motoren- und Automobilhersteller Audi Hungaria und der amerikanischen Industrie- und Dienstleistungsholding General Electric (GE) zusammen. Bemerkenswert ist dabei, dass Nokia mit der Fertigung von Mobiltelefonen vor der Krise Umsatzerlöse von mehr als 1.300 Mrd. Forint realisieren konnte – inflationsbereinigt würde diese Leistung noch heute mühelos für einen Platz innerhalb der Top 5 reichen. Mit diesem Volumen liefen die Finnen vor 2008 selbst dem Győrer Audi-Werk den Rang ab, das damals freilich „nur“ als Motorenwerk mit einer kleinen, aber feinen Sportwagenmontage aufgestellt war. Der Stern von Nokia sank in den Zeiten der Weltwirtschaftskrise, die (feindliche) Übernahme durch Microsoft besiegelte das Schicksal der Billiglohnfertigung in Ungarn: Heute lassen die Amerikaner ihre mäßig erfolgreichen Lumia-Smartphones im noch billigeren Vietnam fertigen.
Unangefochtener Spitzenreiter in ungarischen Landen ist jene MOL, die als Regionalmulti in den jüngeren Jahren eine bemerkenswerte Neuaufstellung vornimmt. Eingangs des Jahrtausends war dieses Unternehmen mit rund 450 Tankstellen in drei Ländern der Region präsent, heute operiert es bereits in 40 Ländern (!) vom Nahen Osten über das sibirische Russland bis hin zu den Nordsee-Ölfeldern vor Norwegen. Erschlossene Förderstätten in acht Ländern dienen der Versorgung von mittlerweile 2.000 Tankstellen, welchem Netzwerk gerade Agip-Tankstellen von Tschechien bis Ungarn zugeschlagen werden. Die Errichtung eines hauseigenen Kraftwerks in Kooperation mit der CEZ-Gruppe wurde zu den Akten gelegt,
doch mit Partnern aus dem Fernen Osten werden an der Theiß im ungarischen Landesosten Chemiekapazitäten errichtet, die auf dem europäischen Markt ins Gewicht fallen sollen.
MOL neu aufgestellt, Audi auf dem Prüfstand
Die MOL-Gruppe büßte gegenüber 2013 ein Zehntel ihrer Umsätze ein, weil sich die Notierung der Rohölpreise am Weltmarkt glattweg halbierte. Ein Aderlass dieser Größenordnung hätte jedes ungarische Unternehmen abseits der Top 10 außer Gefecht gesetzt, MOL ist aber auch heute noch mehr als doppelt so groß wie die zweitplatzierte Audi Hungaria Motor Kft. Die wiederum enorm gewachsen ist, seit Mitte 2013 ein vollwertiges Automobilwerk am Standort Győr die Serienfertigung aufnahm. Im vergangenen Jahr stellte der größte Auslandsinvestor (die Ingolstädter steckten bislang über 7,5 Mrd. Euro in ihre ungarische Tochtergesellschaft) mit knapp zwei Millionen Motoren und 135.000 Automobilen Produktionsrekorde auf, die – so spektakulär sie auch vor Monaten noch erscheinen mochten – in diesem Jahr neuerlich gebrochen werden dürften.
In der Motorenproduktion könnte die magische Marke von zwei Millionen Aggregaten erstmals überboten werden. Im Vorjahr fehlten dem größten Motorenwerk der Welt hierzu gerade mal 26.000 Motoren, nach den aktuellen Zahlen bis Ende September dieses Jahres konnten die Győrer Audianer zeitanteilig ein etwa doppelt so großes Plus herausarbeiten. In der Automobilproduktion verstand sich die neue Bestmarke 2015 wegen des Dreischichtbetriebs von selbst; in den ersten neun Monaten wurde der Basiswert aus dem Vorjahr um die Hälfte überboten!
Nach eitel Sonnenschein aber das: Mitte September platzte der VW-Abgasskandal, der leider auch Dieselmotoren aus ungarischer Fertigung betrifft. (Nicht die Motoren an sich wären problematisch, sondern eine in die Autos eingebaute Software zur Manipulation der Emissionswerte auf dem Prüfstand. Mittlerweile ist offensichtlich, dass die US-Automobilindustrie die leidige Dieselkonkurrenz aus Europa vor die Tür gesetzt sehen will.) Es wird sich erst noch zeigen müssen, wie flexibel die Marke Audi als Mitglied des Volkswagen-Konzerns auf die Herausforderung reagieren kann, etwa mit Dieselhybrid-Lösungen oder einer radikalen Umstellung auf alternative Antriebsformen, damit die in Győr errichteten Kapazitäten auch künftig anständig ausgelastet werden.
Umsatzsteigerungen nicht selbstverständlich
Während MOL also bereits im Vorjahr Federn ließ und Audi Hungaria schwere Zeiten durchmacht, beschneidet die amerikanische GE-Gruppe ihre Aktivitäten in Ungarn freiwillig. Wie sich die technologische Umstellung auf die Energiesparlampen beim Traditionsbetrieb Tungsram niederschlägt, geht aus der hvg-Liste leider nicht hervor, Tatsache ist jedoch, dass die zur GE Capital gehörende Budapest Bank für 700 Mio. Dollar an den ungarischen Staat verkauft wurde.
Für alle Unternehmen der TOP10 gilt, dass sie verschiedenartigen Herausforderungen ins Auge sehen müssen, die Umsatzsteigerungen keineswegs selbstverständlich erscheinen lassen. Bei der staatlichen Energieholding MVM und der bereits beträchtlich zurück gestutzten E.ON Hungária ergibt sich das als direkte Folge des Kampfes der Orbán-Regierung um sinkende Wohnnebenkosten, Mercedes-Benz (und der Komponentenzulieferer Bosch-Gruppe) sind indirekt vom VW-Skandal betroffen, Samsung und Flextronics operieren auf einem Markt mit beinhartem Preiskampf, dem zuletzt das Fernsehgerätewerk der Koreaner in Göd vor den Toren von Budapest zum Opfer fiel, die Magyar Telekom agiert auf einem konservativen Markt und Tesco würde die Regierung zum Schutz einheimischer Handelsketten lieber heute als morgen einfach vor die Tür setzen.
Die hvg ermittelte, dass die 500 größten Unternehmen im Lande ihre kumulierte Umsatzsteigerung um 2.400 Mrd. Forint zu 71 Prozent im Exportgeschäft realisieren konnten, selbst wenn der schwache Forint insbesondere auf Dollarmärkten die Zuwächse „erleichterte“. Aussagekräftig ist jedoch, dass die Exporteure im Schnitt um ein Fünftel wachsen konnten, die ausschließlich für den Inlandsmarkt produzierenden Unternehmen hingegen stagnierten.
Im Branchenvergleich finden sich unter den 500 größten Gesellschaften überwiegend Handelsfirmen (117), gefolgt von Dienstleistungsunternehmen (62), Firmen der Automobilindustrie (51) und Unternehmen des Energiesektors (50). Am schnellsten wuchs 2014 übrigens die Baubranche, um durchschnittlich 28 Prozent, was sich mühelos mit der Auftragsflut der öffentlichen Hand im Superwahljahr begründen lässt.
Einzigartig in Ungarn ermittelt die hvg auch eine Topliste der Unternehmen mit dem größten Wertschöpfungsbeitrag zum Bruttoinlandsprodukt. Auf den vordersten Rängen tauschen in dieser Hinsicht einzig GE und Audi die Plätze, M-Telekom rückt auf den 5. Platz vor, MVM fällt auf Rang 7 zurück, die übrigen Umsatzspitzenreiter sind in dieser Top 10 nicht vertreten. Gleich hinter den drei ganz Großen platziert sich derweil die staatliche Glücksspielgesellschaft mit einer Wertschöpfung von 277 Mrd. Forint, auf Platz 6 folgt der größte ungarische Pharmakonzern, Richter Gedeon (248 Mrd. Forint), und auf den Rängen 8-10 die Staatsbahnen MÁV, der Tabakwarenkonzern Philip Morris und die Ungarische Post, deren vermeintlich überdurchschnittlicher Beitrag zum BIP jedoch staatlichen Zuwendungen und Verbrauchsteuern zuzuschreiben ist.