Die einheimischen Arbeitnehmer sind nicht adäquat bezahlt, dabei würde eine Anhebung des Nettolohns um 15-20 Prozent weder die Wettbewerbsfähigkeit noch die Rentabilität der Unternehmen gefährden, sagte der Chefanalyst der Raiffeisen Bank, Zoltán Török, dem Wirtschaftsportal napi.hu.
Um die massenhafte Abwanderung der qualifizierten Arbeitskräfte zu stoppen, wäre aber selbst das noch zu wenig. Würden die Löhne um durchschnittlich 40-50 Prozent erhöht, dürfte das viele davon abhalten, das Abenteuer Ausland zu wagen, fügte der Experte hinzu. (Erhöhungen in dieser Größenordnung würden allerdings die Ertragslage der Unternehmen beeinträchtigen.) Das Wirtschaftsportal titelte seinen Artikel „Scheitert das ungarische Modell an zu schmalen Löhnen?“ und berichtete von weitverbreiteten Zwängen, der Abwanderung mit Lohnerhöhungen entgegenzutreten. Dabei gehe es aber nicht darum, ein chinesisches gegen ein deutsches Lohnsystem einzutauschen.
Die Raiffeisen Bank schätzt, dass die Investitionen 2015 nur deshalb wieder zurückfallen, weil immer mehr Projekte zur Ausweitung von Kapazitäten am Mangel qualifizierter Arbeitskräfte scheitern. Ungarn ist mit Löhnen von rund 15-20 Prozent unter dem Regionaldurchschnitt zwar wettbewerbsfähig, die bereits seit 2004 träge Lohndynamik sorgt aber in mehr und mehr Kleinregionen für akute Engpässe am Arbeitsmarkt. Das trifft Zulieferer der Automobilindustrie ebenso wie die Logistikbranche, die mehr als 20.000 Chauffeurstellen besetzen könnte. Mit 21 Prozent befinden sich die meisten offenen Stellen im verarbeitenden Gewerbe, der als kritisch angesehene Handel trägt „nur“ mit 8 Prozent zur Gesamtzahl der offiziell als „offen“ deklarierten Stellen bei.
Im Falle von Jaguar Land Rover soll die Lage am Arbeitsmarkt mit den Ausschlag gegeben haben, dass die Investition nicht nach Ungarn kam. Derweil meint der Dozent der Westungarischen Universität, Zoltán Pogátsa, nicht die kurzfristigen Lösungen der Firmen schafften Abhilfe, sondern ein Paradigmenwechsel der politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger. Über zwei Jahrzehnte lang basierte die Wirtschaftspolitik auf Niedriglöhnen, nun sei es Zeit für Branchenmindestlöhne.