In unserer Start-up-Serie porträtieren wir erfolgreiche ungarische Firmen, die entweder noch als Jungunternehmen gelten oder als mittlerweile gestandenes Unternehmen ihren Anfang als solches hatten. Diese Woche geht es um das Team von Route4U, einer Initiative, die mit ihrer gleichnamigen Applikation einen Routenplaner speziell für Rollstuhlfahrer und Kinderwagen-Schieber liefert.
Es gibt verschiedene, farbige Smiley-Symbole auf der digitalen Stadtkarte von Budapest, die signalisieren, ob man eine bestimmte Stelle „alleine!“ beziehungsweise „mit Hilfe!“ erreichen kann oder ob diese „Nicht barrierefrei!“ ist. Unterschiedlich kolorierte Markierungen zeigen an, ob eine Straße befahrbar oder ein Restaurant, Museum per Rollstuhl/mit Kinderwagen besucht werden kann. So sieht der barrierefreie Routenplaner „Route4U“ aus. Als Applikation aktuell für Android und auch auf Englisch erhältlich; ebenso ist er über den Web-Browser unter route4u.org abrufbar. Unter blog.route4u.org betreibt das Team zudem einen Blog mit allen möglichen aktuellen Informationen und Tipps, aber auch eigenen „Barrierefreiheit-Test“, bei denen sie selbst vor Ort prüfen, wie es um die Barrierefreiheit etwa am Kálvin tér steht. Auf dem Blog wird auch der Passant ohne Bewegungseinschränkung zum Mitwirken aufgefordert, indem er oder sie entweder der entsprechenden Facebook-Gruppe oder innerhalb der App kurz meldet, ob etwa ein Restaurant barrierefrei zugänglich ist.
Am Anfang stand der „Tag der barrierefreien Kartierung“
Die Idee für die Applikation sei im Sommer 2014 entstanden, erklärt uns Péter Bodó, der Leiter und Ideengeber des Projektes. Bodó hatte zuvor bereits eine Routenplaner-Anwendung für Fahrradfahrer entwickelt. Im August vergangenen Jahres hatte er zusammen mit dem Landesverband der Menschen mit Bewegungseinschränkung (MEOSZ) und unter Einbeziehung von Freiwilligen einen „Tag der barrierefreien Kartierung“ organisiert. „An diesem ist es offensichtlich geworden, dass Rollstuhlfahrer einen großen Bedarf an solchen Informationen haben“, so Bodó gegenüber der Budapester Zeitung. Nach der Veranstaltung fanden sich die weiteren heutigen Teammitglieder ein: Rauminformatiker Tibor Dobai, der im Rollstuhl sitzende Filmregisseur Zoltán Vincze, Android-Entwickler Zsolt Kocsis und Marketingexperte Tamás Székely. Im Dezember 2014 wurde die Route4U Magyarország Kft. offiziell als Unternehmen registriert.
Gefragt nach der Motivation für die Gründung erklärt der Projektleiter: „Ziel ist es, das Leben von Zehntausenden oder gar Hunderttausenden einfacher, zügiger und aktiver zu machen. Die Mobilität von Rollstuhlfahrern wird bei infrastrukturellen Entwicklungen nicht ausreichend berücksichtigt, sie haben nicht genug Informationen über die Barrierefreiheit – dies schränkt neben der Mobilität auch ihr Leben, etwa ihr Studium, ihre Arbeits- und Vergnügungsmöglichkeiten ein.“ Die barrierefreie Stadtkarte möchte letztendlich die gesellschaftliche Integration von Menschen mit eingeschränkter Bewegungsfreiheit fördern.
Beitrag zur Barrierefreiheit von Städten
Die konkrete Idee für die barrierefreie Stadtkarte in Form einer Applikation sei dem Firmengründer aufgrund seiner mit dem Kinderwagen gesammelten Erfahrungen gekommen. „Die meisten Menschen haben in ihrem Leben einen, einige Jahre umfassenden Abschnitt, in dem sie beim Verkehr in öffentlichen Räumen unangenehme und unbequeme Erlebnisse haben. Für Rollstuhlfahrer bedeuten mögliche Barrieren noch viel größere Probleme, noch dazu nicht nur für ein paar Jahre“, erklärt Bodó. Es gäbe zwar Stadtkarten, die Informationen über die Barrierefreiheit einzelner Orte enthalten. Route4U informiere hingegen nicht nur über die Barrieren-Situation einzelner Punkte, sondern auch über die Routen zwischen ihnen. Darüber hinaus sammle die Anwendung per Nutzung der Sensoren der Smartphones der Benutzer automatisch sogar selbst Daten, so etwa bezüglich der Oberflächenbeschaffenheit der Wege, und gebe diese dann weiter. Wegen all dieser Angebote sei die Innovation auch weltweit eine komplette Neuheit.
Die Route4U-Applikation ist kostenlos, daher erkundigten wir uns nach möglichen Einnahmequellen zur Finanzierung des Projektes. Wie Bodó erklärte, stammen diese von Selbstverwaltungen oder Tourismusorganisationen, die für Anwohner oder Besucher im Rollstuhl oder mit Kinderwagen die entsprechenden Informationen bereitstellen wollen. „Für die Selbstverwaltungen bedeutet dies eine außerordentlich kleine Ausgabe, erst mit unseren Informationen zahlen sich etwa die in die Barrierefreiheit investierten Milliarden vollständig aus.“ Außerdem könnten mit der Route4U-Lösung die Fortschritte auf diesem Gebiet permanent kommuniziert werden, was unter anderem auch positive Imageeffekte hätte. All dies sei auch das gemeinsame Interesse der App-Nutzer, schließlich werde die fertig gestellte Infrastruktur erst durch die Weitergabe der Information darüber wirklich barrierefrei. Das Kartographieren selbst verlaufe dem Projektleiter zufolge sehr schnell, selbst im Falle einer größeren Stadt seien für das Anfertigen einer barrierefreien Stadtkarte nur ein bis zwei Monate ausreichend. Kooperationen bestünden mit dem MEOSZ, dem Design Terminál und der Ungarischen Tourismusbehörde. Gerade letztere könnte vermutlich für weitere Aufträge sorgen.
Bald auch Informationen über Teile Kanadas und der Schweiz
Ob das Projekt staatliche oder EU-Förderungen in Anspruch nehme beziehungsweise an Start-up-Wettbewerben oder -Ausschreibungen teilgenommen habe, haken wir nach. Route4U sei bereits bei mehreren Wettbewerben erfolgreich gestartet, antwortet dessen Initiator. Bei dem im September 2014 in Wien abgehaltenen Pioneers Festival wurde es unter die Top 150 Start-ups gewählt, im Januar belegte man den ersten Platz beim Innovative Generation-Wettbewerb für gemeinschaftliche Unternehmen. Im April gewannen sie den DBH SeedStart Battle sowie die SmartCityLab-Ausschreibung des Design Termináls, im Mai den Publikumspreis der Hungarian Innovation Tech Show und im Oktober den geteilten ersten Platz bei der ITU Telecom World Expo, zählt Bodó auf.
Gefragt nach den Plänen für die Zukunft, sagt Bodó, dass man für Anfang 2016 die iOS-Version der Applikation fertig stellen werde, die sogar ein echtes Navigationssystem und mehrere Sprachen enthalten werde. Daneben werde die Android-Version fortlaufend weiterentwickelt, man wolle den Nutzwert erhöhen. Die Ausweitung der barrierefreien Stadtkarte sei in Arbeit, man habe sich bereits mit mehreren Selbstverwaltungen geeinigt oder führe noch Verhandlungen. „Auch im Ausland wurde Interesse bekundet“, erklärte der Projektleiter, „zum Beispiel werden bald Teile von Kanada und der Schweiz kartographiert.“
Die Zahl der aktiven Nutzer lag laut Bodó anderthalb Monate nach der offiziellen Vorstellung der Anwendung bei etwa 300. „Wir wollen anhand der Feedbacks das Produkt fortlaufend verbessern und mit gezielten Kampagnen erreichen, dass die Anwendung von möglichst vielen betroffenen Menschen genutzt wird“, unterstreicht er.