Eigentlich sollte das Programm, mit dem die Notenbank das Kreditgeschäft ankurbeln wollte, zum Jahresende auslaufen. Das Ziel wurde nämlich verfehlt, die Kreditausreichungen schrumpfen noch immer. Und welche Antwort gibt die Notenbank hierauf? Sie geht in die Verlängerung, um eine Feinabstimmung vorzunehmen.
Am Dienstagnachmittag stellte die Ungarische Nationalbank (MNB) ihre Pläne vor, wie das Kreditprogramm für Wachstum (NHP) im kommenden Jahr endgültig ausgeführt werden soll. Dazu geht es ab 1. Januar erst einmal in seine dritte Phase (NTP), mit einem Rahmenbetrag von 2 x 300 Mrd. Forint (knapp 2 Mrd. Euro) und einer massiv – von 10 auf 1 Mrd. Forint – gesenkten Kreditrahmen-Obergrenze. Die Zinskonditionen bleiben unverändert: Die MNB reicht das Paket zum Nullzins an die Handelsbanken aus, die ihrerseits maximal 2,5 Prozent als Marge aufschlagen dürfen. Flankiert wird das Ganze von einem „Marktkreditprogramm“ (PHP), das aus verschiedenen Instrumenten besteht, um die Handelsbanken zu aktivieren.
Bevor wir auf diese Instrumente eingehen (siehe Kasten), sei daran erinnert, dass die Notenbank noch einen wirksamen Hebel anzuwenden gedenkt: den der individuell angepassten Bankensondersteuer. Wie MNB-Vizepräsident Márton Nagy bei der Vorstellung der Programmkonzeption für 2016 sagte, wolle man künftig aktive Banken, die tatsächlich wachsen wollen, von den passiven Banken unterscheiden. Banken, die das Volumen der Kreditausreichungen an Klein-und mittelständische Unternehmen (KMU) steigern, dürfen mit einer Senkung der Bankensondersteuer rechnen, wo dieses Volumen aber weiterhin zurückgeht, dort sollten sich die Eigentümer besser keinen derartigen Hoffnungen hingeben. Was Nagy da sagte, ist schon eine weniger harte Version des MNB-Vorschlags vom Sommer. Da wollten die Notenbanker den Handelsbanken zahlenmäßige Verpflichtungen abverlangen und die Steuerzahlungen dementsprechend abstufen. Freilich handelte es sich damals ebenso wie heute nur um Ratschläge an den Gesetzgeber.
Rüttelt MNB an der Sondersteuer?
Dieser hat Anfang 2015 eigentlich ganz konkrete Vorgaben zur Senkung der Weltrekord-Sondersteuer gemacht. Diese wurden damals als Voraussetzung für das Zustandekommen eines ziemlich ungewöhnlichen Deals angesehen, bei dem der Staat 15 Prozent der Anteile am Ungarngeschäft der Ersten Bank erwerben wollte, die sich wiederum auf jene Weise absicherte, dass man gleich noch die EBRD (mit ebenfalls 15 Prozent) ins Boot holte. So stand es jedenfalls in jener Absichtserklärung, die Ministerpräsident Viktor Orbán mit Erste-Chef Andreas Treichl und EBRD-Präsident Suma Chakrabarti aushandelte. Umso merkwürdiger, wenn die MNB nun mit ihren Vorschlägen an dieser Vereinbarung rüttelt.
Darin war nämlich konkret und für den Bankensektor als Ganzes vorgesehen, dass die Sondersteuer 2016 von 0,53 Prozent auf 0,31 Prozent sinkt, zumal als Berechnungsgrundlage nicht länger die Bilanzsumme von 2009, sondern jene von 2014 herangezogen wird. Sogar ein zweiter Schritt für 2017 wurde bereits fixiert, dann wird diese allgemein geltende Sektorabgabe weiter auf 0,21 Prozent reduziert. Da die Bilanzsummen in den Krisenjahren entgegen dem Trend einer gewöhnlichen Geschäftsentwicklung zu Friedenszeiten schrumpften, kommt die Orbán-Regierung den Geldhäusern mit der modifizierten Berechnungsgrundlage sehr entgegen – Experten kalkulierten den Effekt auf eine ungefähr halbierte Bankensondersteuer bereits in 2016.
Das Jahr 2015 wird noch nicht berechenbar
Dass diese Senkungen wie im Februar verlautbart vorgenommen werden, hat Wirtschaftsminister Mihály Varga seither wiederholt bekräftigt. Er rührt die Werbetrommeln für einen attraktiven Investitionsstandort Ungarn, der nicht nur wirtschaftlich stabilisiert worden sei, sondern künftig auch durch Berechenbarkeit glänzen soll. Das Jahr 2015 wird sich dieses Prädikat voraussichtlich aber noch nicht verdienen können. Kaum war der überaus positiv erscheinende Deal mit Erster Bank und EBRD verkündet, platzte Anfang März die Bombe der Brokerskandale. Die MNB in ihrer Funktion als Finanzaufsichtsbehörde begann – nach den Worten von Notenbankpräsident György Matolcsy vor dem Wirtschaftsausschuss im Parlament – mit dem „Austrocknen eines Sumpfes der Finanzmafia, der seit 14-15 Jahren den Sektor vergiftete“.
Nacheinander und innerhalb weniger Wochen wurden die Brokerfirmen Quaestor, Buda-Cash und Hungária aus dem Verkehr gezogen, dann kam diese Marktbereinigung ebenso schnell, wie sie aus einem scheinbar heiteren Himmel über die ahnungslosen Anleger hereingebrochen war, zu ihrem Abschluss. Das Timing konnte Matolcsy nie wirklich erklären, der Kritikern den Wind mit der einfachen Rechnung aus den Segeln nahm, die MNB habe die Funktion als Finanzaufsicht erst 2013 übernommen und halt genau diese Zeitspanne bis Anfang 2015 benötigt, um die üblen Machenschaften der Broker aufzudecken – 2014 war man bekanntlich noch damit beschäftigt, Pleitebanken ungarischer Möchtegern-Oligarchen mal zu konsolidieren, mal stillzulegen.
Beispielhaft modernisiert – Skandal verschlafen
Warum die Finanzaufsicht PSZÁF seit dem Amtsantritt der zweiten Orbán-Regierung 2010 satte drei Jahre verschlief, wollte Matolcsy niemandem erläutern. Der Ministerpräsident artikulierte seine Meinung hingegen deutlich genug, als er aus Anlass des Nationalfeiertages am 15. März – also inmitten des größten Brokerskandals der ungarischen Geschichte – jenem Károly Szász das Mittelkreuz des Ungarischen Verdienstordens an die Brust heftete, der in den Jahren 2000 bis 2004 und 2010 bis 2013 Präsident der Finanzaufsicht war. Die hohe staatliche Auszeichnung wurde dem Mann für die „beispielhafte Modernisierung“ der PSZÁF überreicht, in deren Ergebnis dank seiner „großartigen Führungsarbeit“ eine Aufsichtsbehörde von „europäischem Niveau“ entstanden sei. Jener Aufsichtschef, den wir mit Orbán feiern wollen, hat laut dessen „rechter Hand“ Matolcsy sieben von 14-15 Jahren mit ansehen können, wie sich der Sumpf der Finanzmafia ausbreitete.
Doch was hat all das mit der Zukunft des ungarischen Bankensektors und speziell der Sondersteuer zu tun? Die Brücke wird wieder durch einen unorthodoxen Lösungsansatz geschlagen, um den Viktor Orbán scheinbar nie verlegen ist. Für ihn war nämlich sofort klar, dass alle Akteure des Finanzsektors für die Rechnung aufkommen müssten, indem sie die leergeplünderten Institutionen Landesfonds für Einlagensicherheit (OBA) und Anlegerschutzfonds (Beva) mit frischem Kapital auszustatten hätten. Das schmeckte der Ersten Bank überhaupt nicht, die neben Branchenprimus OTP zu den Ersten gehörte, die offen gegen das Anliegen protestierten. Denn nach ihrem Verständnis dürften nicht die rechtschaffenen Wirtschaftsakteure für die kriminellen Machenschaften einzelner schwarzer Schafe herhalten müssen.
Um sich nicht den Zorn der Bürger zuzuziehen, bastelte die Regierung im Eiltempo ein Gesetz zusammen, das die Entschädigung in geordnete Bahnen lenken sollte. Die Wirklichkeit zeigt etwas anderes: Der Sommer verging und das Parlament debattiert weiter über rechtliche Spitzfindigkeiten, während nicht einmal die jedem Anleger gesetzlich zustehenden 6 Mio. Forint (20.000 Euro) vollständig ausgezahlt wurden. Allein im Quaestor-Skandal sind rund 32.000 Ungarn betroffen, der Schaden soll sich hier auf 160 Mrd. Forint belaufen.
Fairer Beitrag, unfaire Leichen
Alle Brokerskandale zusammengenommen müssen bis zu 300 Mrd. Forint „ersetzt“ werden; die MNB stellt sich diese Konsolidierung unter Einbeziehung der Marktakteure vor. Der weiter oben bereits zitierte MNB-Vizepräsident Márton Nagy sagte noch im April, die Banken sollten sich für die nächsten 6-8 Jahre auf stetige Milliardeneinzahlungen in die Fonds OBA und Beva einrichten. Logisch, dass Erste & Co. diese Kröte nicht schlucken wollen. Aus zwei Gründen ganz sicher nicht: Zum einen haben sie in den vergangenen Jahren bereits Hunderte Milliarden in die öffentlichen Kassen getan, um den von der Politik geleisteten „fairen“ Beitrag zur Lastenteilung in der Krise zu erbringen. Zum anderen gibt es keine Garantie, dass nicht schon morgen die nächsten Leichen aus dem Schrank fallen. Vor diesem Hintergrund also ist es ruhig geworden um den Einstieg des ungarischen Staates bei der Erste Bank Hungary…
Wofür steht das PHP?
Die MNB übernimmt das Zinsrisiko der Handelsbanken in Form sog. Zins-Swaps, mit einem Rahmenbetrag von 1.000 Mrd. Forint und einer Laufzeit von maximal drei Jahren. Voraussetzung ist die Steigerung des KMU-Kreditvolumens um wenigstens ein Viertel. Den mitwirkenden Banken sichert die MNB obendrein Präferenzeinlagen zu, die bei Liquidität über der Mindestreserve ebenfalls verzinst werden. Des Weiteren fordert die MNB eine weniger strenge Kapitaldeckung hinter den KMU-Krediten. (Das EU-Recht zum einschlägigen Kapitalpuffer wird um ein Jahr hinausgeschoben.) Schließlich legt die Notenbank ein Kreditregister für Unternehmen an, um den Geldinstituten die Einschätzung der Kreditvergaberisiken zu erleichtern.