Normalerweise gehen bei unserer Redaktion E-Mails und Anrufe ein, wenn Organisationen etwas öffentlich mitteilen wollen. Das sind dann meist Pressemitteilungen, Einladungen zu Firmen- und Kulturereignissen oder Ähnliches. Manchmal erhalten wir von Leuten auch einfach nur so Informationen, von denen sie meinen, dass wir diese haben sollten. Zu welcher späteren Verwendung auch immer, ob mit genauer Quellenangabe bei Veröffentlichung oder ohne. Eine vertrauliche Behandlung der Informationszuträger ist bei uns Ehrensache.
Im September erhielten wir den Anruf einer guten Bekannten mit einer eher ungewöhnlichen Information. Brigitte Berdefy eröffnete uns, dass sie zusammen mit ihrem Mann Gábor bei Renovierungsarbeiten in ihrer Wohnung am Kossuth tér auf eigenartige Dokumente gestoßen seien. Das weckte unser Interesse. Wenig später waren wir vor Ort und erblickten mit Staunen diesen sonderbaren Fund: Jede Menge vergilbter Akten.
Sogleich begannen die Überlegungen hinsichtlich der Art des Fundes. Die These wonach die vielen Akten lediglich als Dämmstoff verwendet worden waren, konnte rasch verworfen werden, da die Aktenbündel dafür einfach zu sorgfältig in dem etwa 5 bis 6 cm großen Hohlraum verstaut worden waren. Ein Blick auf den Inhalt der Akten ließ diese These dann vollends verblassen: Es handelt sich Formulare zur Erfassung der jüdischen Bevölkerung Budapests.
Fein säuberlich war festgehalten, ob und wie viele Juden in einem bestimmten Haus lebten. Die entsprechenden Formulare waren in altertümlicher Handschrift von den Hausbesitzern ausgefüllt worden. Sodann waren sie durch die Hände von irgendwelchen Bürokraten gewandert, deren Spuren sich mit Rotschrift auf den Deckblättern der Formulare finden. Fein säuberlich wurde da hervorgehoben, wie viele Bewohner ein bestimmtes Haus hatte und wie viele davon Juden waren Wer auch nur einigermaßen in der ungarischen Geschichte bewandert ist, ahnt, dass es sich hier mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht nur um irgendwelche statistische Erhebungen handelte…
Was aber tun mit einem solchen Fund? Am besten bei einem zuverlässigen Experten nachfragen. So riefen wir den regelmäßig für uns schreibenden Historiker Krisztián Ungváry an, der uns wiederum an einen vertrauenswürdigen Bekannten weiterverwies, der im Budapester Stadtarchiv arbeitet. Schnell war der Kontakt zu dem Archivar hergestellt. Bereits einige Tage später konnten dem Budapester Stadtarchiv die Säcke mit den Dokumenten übergeben werden.
Die Freude war dort riesig. So habe man von den jetzt massenhaft aufgetauchten Formularen – es handelt sich um schätzungsweise 7.000 – bisher nur einige wenige Bögen besessen. Freudig überrascht zeigte man sich aber auch deswegen, weil die beiden ehrlichen Finder keinerlei finanzielle Forderungen stellten – was sonst häufig vorkommt –, sondern es ihnen nur wichtig war, dass die Dokumente in gute Hände kommen. Ebenso, dass sich die Beiden überhaupt die Mühe mit der Sicherstellung und Übergabe der Dokumente machten – oft genug würden wichtige Dokumente nämlich einfach nur in den Schuttcontainer wandern, ob nun aus Unkenntnis oder um sich Arbeit zu sparen.
Mit Blick auf die große Bedeutung des Aktenfundes gab das Budapester Stadtarchiv einige Wochen nach der Übergabe eine Pressekonferenz. Nun geht es an die Auswertung des Fundes und seiner Begleitumstände. Fragen gibt es noch reichlich: Wer hat die Dokumente, wann und zu welchem Zweck versteckt? Sind irgendwo in Budapest noch mehr von diesen Registrationsbögen versteckt? Warum konnte der mutige Verstecker schließlich niemanden über das oder die Verstecke informieren? Warum gerieten die in diesem und möglicherweise in weiteren Hohlräumen schlummernden Dokumente in Vergessenheit?
Wo uns das Schicksal schon einmal mit dieser Geschichte zusammengebracht hat, bleiben wir jetzt natürlich weiter dran. Die Mitarbeiter des Budapester Stadtarchivs haben uns zugesichert, dass sie uns auf dem Laufenden halten. Gerne teilen wir mögliche neue Erkenntnisse auch mit Ihnen. Und natürlich freuen wir uns, wenn wir von Ihnen auch in Zukunft bei solchen ungewöhnlichen, aber auch ganz alltäglichen Neuigkeiten ins Vertrauen gezogen werden.