Vor zwei Wochen fand in Budapest die „Körítés Gasztrohét“ statt, bei der zehn Budapester Restaurants zusätzlich zu ihrem normalen Menü auch Flüchtlingsküche anboten. Je nach Restaurant gab es Gerichte aus Syrien, Afghanistan, Eritrea oder Somalia. Der Bistrochef von Prezi Budapest fand diese Idee so klasse, dass er sie kurzerhand adaptierte. Ein Besuch in der Kantine, welche mal die beste Kantine Europas sein will.
Kennen Sie Prezi? Das ist der härteste Konkurrent von Präsentationssoftware wie Microsofts PowerPoint und Apples Keynote. Sie wurde in Ungarn entwickelt, und auch wenn das Hauptquartier heute in San Francisco ist, gibt es in Budapest noch ein großes Office. Wie sich das für eine aufstrebende Softwarefirma gehört, gibt es ein „House of Ideas“ und im Innenhof Gemüse auf eigenem Kompost. Immerhin 300 Menschen arbeiten hier. Einer von ihnen ist Dániel Sárdi, er leitet die Kantine von Prezi. Natürlich kann auch sein „Bistro“ keine gewöhnliche Kantine sein.
Gutes Essen ist Teil der Unternehmenskultur
Hier gibt es ständig etwas Neues. „In den letzten zwei Jahren habe ich bestimmt 250 verschiedene Gerichte gekocht“, schätzt Dani. Natürlich wird hier nur der Vorname genutzt. Und alles ist umsonst. „Luxus“ sei das nicht, findet Dani. „Dienstwagen sind Luxus. Wir aber haben hier nur drei Parkplätze für 300 Leute. Und auch diese überflüssigen Rabattkarten gibt es bei uns nicht. Dafür geben wir eben mehr für gutes Essen in einer guten Atmosphäre aus.“ Das habe nebenbei viele Vorteile: keine stressige Nahrungssuche in der Mittagspause, kein fettiges Junkfood, das voll und träge macht. Dafür entspanntes Zusammenkommen und gutes, leichtes Essen – das alles trägt positiv zur Produktivität bei. „Die Salate stehen extra vor dem Fleisch, dann ist der Teller schon voll“, verrät Dani. Das „refugee food“ (deutsch: Flüchtlingsessen) kommt besonders gut an. „So viele Likes auf unserer Facebook-Seite hatten wir noch nie.“ Klar, diese Kantine hat unternehmensintern eine eigene Facebook-Seite. Damit die Mitarbeiter wissen, was sie am „Veggie-Monday“ erwartet. Beziehungsweise am „Market-Tuesday“, „Junkfood-Friday“ – oder eben am „Adventure-Thursday”. Da gibt es jetzt einen Monat lang „refugee food”.
Fremdes Essen ist die einfachste Art interkultureller Begegnung
Heute sind auch Judit und Eszter ins Bistro gekommen. Die beiden Architektinnen haben die „Körítés Gasztrohét” ins Leben gerufen. „Körítés“ was in etwa „Beilage“ bedeutet, ist gleichzeitig ein Wortspiel mit „kerítés“, „Zaun“. Als Vorbild diente den beiden jungen Architektinnen die „Conflict Kitchen“ aus den USA, wo Gerichte aus Ländern gekocht werden, mit denen die USA gerade im Krieg sind. So ähnlich wollten Judit und Eszter etwas gegen die vielfältigen Vorurteile gegenüber Flüchtlingen tun. Dabei, so Judit, war es eine schwere Entscheidung, ob man nicht viel eher in Röszke oder sonst wo den Flüchtlingen konkret helfen sollte, als ihr Essen zu kochen. Aber Vorurteile abzubauen, ist eben auch eine Art von Hilfe.
Zuerst dachten sie, es sei schwierig, Restaurants von ihrer Idee zu überzeugen. Tatsächlich war das Interesse jedoch sehr groß, erzählt Judit. Sie haben dabei ganz bewusst Restaurants angesprochen, welche besonders von Einheimischen frequentiert werden. „Wir haben selber viele Menschen im Freundeskreis, die unentschieden sind in ihrer Meinung über die Flüchtlinge“, erzählt Eszter. „Genau die wollen wir erreichen, die Unentschiedenen. Wir bieten ihnen zwar keine Lösung an, dazu ist die Situation zu schwierig. Aber wir bieten eine andere Perspektive an, um darüber zu reden. In den Medien werden Flüchtlinge nämlich immer nur als politisches Problem thematisiert. Und so sprechen wir alle meistens über Flüchtlinge. Dabei sind die Positionen oft sehr schwarz oder weiß. Wir wollen sie dagegen als Menschen zeigen, mit denen man vieles gemeinsam hat.“ Dazu wurden in den Restaurants zum Beispiel Interviews mit Flüchtlingen zu alltäglichen Themen ausgelegt: Familie, Kindheit, Job, Feste. Judit ist zuversichtlich: „Sich auf das Unbekannte einzulassen, das Essen zu bestellen und zu probieren, ist auch schon eine Art von Antwort.“
Auf diese Art von Begegnung konnten sich offenbar viele Menschen einlassen. Das Feedback zur Woche ist bisher überwältigend positiv. Es gab quasi keine negativen Rückmeldungen. „Außer dass mal jemand keinen Platz bekommen hat oder das Essen aus war“, freut sich Eszter.
Gutes Essen für eine gute Sache – das passt.
Auch bei Prezi funktioniert das Konzept. Zumindest aus gastronomischer Sicht. „Sowas hab ich noch nie probiert! Die Kartoffeln sind spektakulär!”, schwärmt eine Esserin am Tisch nebenan. „Wenn das ein Restaurant wäre, würde ich definitiv hingehen!“ Wie eigentlich alle Mitarbeiter bei Prezi sieht sie dabei nicht so aus, als hätte sie irgendwelche Berührungsängste gegenüber dem Unbekannten. Im Gegenteil. „Kreative Menschen lieben das Neue“, sagt Dani. Deswegen müsse er ja auch ständig die Menüs ändern. Auch Judit und Eszter geben zu, dass die Prezi-Leute „eigentlich eher nicht unsere Zielgruppe“ sind. Aber das Menü sei auch für sie eine gute Gelegenheit, mit ihren Freunden über das Thema ins Gespräch zu kommen. So könnten sie Multiplikatoren sein. „Trotzdem mussten viele erstmal suchen, wo Eritrea auf der Karte überhaupt ist“, lacht Dani. Und das, obwohl 30 Prozent der Mitarbeiter selber aus dem Ausland kommen.
Judit und Eszter hätten deswegen gerne etwas mehr Informationen angeboten. Aber da stößt das Konzept in einer Kantine eben doch an die Grenzen des Machbaren. Dani wollte eigentlich noch eritreische Musik auflegen und eine eritreische Kaffeezeremonie organisieren. Aber alles geht halt nicht. Am Dienstag hat er sein nächstes Event. Das Refugee-Menü sei eben nur ein kleiner Teil von den vielen Dingen, die bei Prezi passieren. Mitarbeiter haben zum Beispiel eine mobile Arztpraxis organisiert und finanziert, mit der Ärzte die Flüchtlinge auf ihrem Weg behandeln können. Und jede Woche wird Geld für Lebensmittelspenden gesammelt. Auch das in Eigeninitiative. 1,5 Millionen Forint sind so schon eingegangen. Danis Auftrag ist dabei in erster Linie, das Bistro attraktiv zu machen. Für ihn eine klassische Win-Win-Situation: Gutes Essen für eine gute Sache – das passt.