Auf dem II. Panel der DWC-Konferenz vom letzten Freitag stellte sich ein bunt gemischtes Podium der Frage nach den Sicherheitsherausforderungen des 21. Jahrhunderts. Schnell zeigte sich, dass sich die Frage nach Sicherheit in ganz unterschiedlichen Kontexten stellt: als Cybersicherheit, als Sicherheit der EU-Außengrenzen und als Sicherheit der Produktionsketten. Und auf allen Feldern führt sie in das gleiche Dilemma.
„Was ist Sicherheit überhaupt?“ Mit dieser Frage eröffnete Frank Spengler, Chef der Konrad-Adenauer-Stiftung in Budapest, seinen Beitrag zum Podium. Als Geisteswissenschaftler war er für die Perspektive des großen Ganzen zuständig. In einer Welt, in der an allen Orten die Bedrohungen zunehmen, könne sie wohl nur noch ein Fixstern sein, der eine Richtung weist, ohne aber jemals erreichbar zu sein. Das sei früher anders gewesen. Die Welt war kleiner, überschaubar, kontrollierbar. Auch die Bedrohungen seien relativ einfach zu begreifen und zu bekämpfen gewesen. Von innen die Kriminalität, von außen Krieg und Naturkatastrophen. Heute würden asymmetrische Bedrohungen vorherrschen, viele davon indirekt und unsichtbar.
100-prozentige Sicherheit gibt es nicht
Von dieser Art Bedrohungen wusste Dr. Boldizsár Bencsáth ausführlich zu berichten. Er ist Dozent an der Technischen Universität Budapest und Spezialist für Cyberkriminalität. Mit seinem Team hat er in den vergangenen Jahren zahlreiche High End-Viren und deren Strategien und Ziele analysiert. Sein ernüchterndes Fazit: 100-prozentige Sicherheit gibt es nicht. „Wer sich wirklich leidenschaftlich bemüht, findet immer einen Weg.“ Außerdem wären perfekt sichere Systeme mit Sicherheit unbrauchbar. Bei Autos, so Bencsáth, sehe man am deutlichsten, dass jede neue Technik immer auch ein neues Sicherheitsrisiko bedeute. Er und sein Team haben bereits nachgewiesen, wie einfach man Autos manipulieren kann. Dazu kaperten sie die Computer der Werkstatt, in denen ein Zielauto gewartet wurde. Diese schalteten bei der nächsten Wartung den Airbag ab, ohne dass dies hätte bemerkt werden können. „Stellen Sie sich einmal vor, das würden wir mit dem Auto eines Ministerpräsidenten machen und dann einen Unfall fingieren.“
An diesem Szenario wird außerdem deutlich, wie abhängig unsere Sicherheit von den Sicherheitsentscheidungen anderer ist. In diesem Fall von dem Virenschutz der Werkstatt-Computer. Wie viele Menschen, so Bencsáth, würden sich nicht um einen effektiven Virenschutz bemühen, weil es für sie keine Einschränkung bedeutet, wenn ihr Computer im Hintergrund längst gekapert und zum Ausgangspunkt von Cyber-Attacken geworden ist? „Da müssen wir uns alle zu mehr Sicherheit zwingen, um wenigstens einige der möglichen Risiken zu minimieren.“ Bencsáth regte an, eine Haftung einzuführen für Schäden, die von eigenen digitalen Geräten ausgehen. Dafür könne es natürlich wiederum eine Versicherung geben, wie es ja auch eine Haftpflicht für Autos gebe. Das setze endlich Anreize, sich um bestmögliche Sicherheit der eigenen Geräte zu bemühen. Wer aber echte Sicherheit wolle, müsse Handy und Laptop zu Hause lassen.
Enorme Möglichkeiten vs. unkalkulierbare Risiken
Gabór Kiss von Mercedes Ungarn empfindet die aktuelle Entwicklung als höchst ambivalent. Einerseits sind die neuen Möglichkeiten der „Industrie 4.0“ von kommunizierenden bis zu selbstfahrenden Autos immens. Gleichzeitig wächst die Komplexität der Produktion wie der Risiken. Gerade für ein bewusst konservatives Unternehmen wie Mercedes ist das ein Dilemma: Sicherheit steht an erster Stelle – die Risiken neuer Technologien sind jedoch kaum zu überblicken. „Neuere Unternehmen können da mutiger sein. Und vielleicht erzielen sie damit auch hohe Gewinne. Jedenfalls sind sie an der Börse schon Milliarden wert ohne vorher jemals ein Auto hergestellt zu haben.“ so Kiss.
Ob der Anstieg der Komplexität und damit der Risiken jemals einen Punkt erreichen, an dem die Einführung neuer Technologien den Nutzen übersteigt, weiß Kiss nicht abzusehen. „Im Moment werden Technologien erprobt, mit denen der Postbote den Kofferraum meines Wagens öffnen kann um darin Pakete abzulegen. Was wird in Zukunft mit diesen Möglichkeiten passieren? Was kann alles durch diese ‚Hintertür‘ kommen? Aber im Moment scheint die junge Generation diese Risiken in Kauf nehmen zu wollen.“ Das Bemühen um Sicherheit ist bei solchen Szenarien kaum mehr zu vergleichen mit den konventionellen Herausforderungen von früher. „Vor einigen Jahren gab es in unseren Werken häufiger Bombendrohungen, welche den Betrieb stilllegten. Wir haben dann die Sicherheitsmaßnahmen verschärft, um Gefährdungen ausschließen zu können. Natürlich bedeutet das einen Verlust von Freiheit, nämlich hohe Zäune und strenge Kontrollen. Auch wenn ein Staatssekretär wie Gergely Prőhle hier zu meiner Rechten zu uns käme, müsste er seine Tasche aufmachen.“
Wie viel Unsicherheit wollen wir in Kauf nehmen?
Prőhle, stellv. Staatssekretär für internationale und EU-Angelegenheiten, entgegnete darauf hin, das sei gar kein Problem. Er habe ja nichts zu verheimlichen. Er habe sich außerdem daran gewöhnt, überwacht zu werden. „Wir sind ständig von Geheimdiensten umgeben. Das ist ein Teil des Spiels.“ Jeder Staat habe ja ein Interesse daran, an geheime Informationen zu gelangen. Wer das nicht will, müsse eben wieder zurückkehren zum guten alten Kneipengespräch oder Briefe schreiben. Aber das sei natürlich nicht dauerhaft realistisch. Spengler ergänzte, dass heutzutage ein Mehr an Sicherheit eben immer ein Weniger an Freiheit bedeute. „Wir müssen uns entscheiden, welchen Grad an Unsicherheit wir zu akzeptieren bereit sind.“ Oder andersherum: welchen Grad an Unfreiheit wir um unserer Sicherheit Willen in Kauf nehmen wollen.
Dieses Dilemma gilt letztlich auch für die Flüchtlingskrise. Staatssekretär Prőhle hob hervor, dass die Sicherheit der EU-Außengrenzen eben nicht anders zu schützen sei als durch einen Zaun. Und es sei notwendig sie zu schützen. Bei Flughäfen würden wir doch auch extrem strenge Sicherheitsauflagen für EU-Ausländer anwenden. Aber an der Landgrenze sei das alles auf einmal egal? Jedenfalls habe die deutsche Flüchtlingspolitik das System gekippt. „Jetzt sind wir da, wo wir sind, so dass innere Grenzkontrollen wieder eingeführt werden müssen.“ Und wenn man nicht bald einen Konsens für die Frage des Grenzschutzes finde, sei Schengen erledigt, so Prőhle.
Grenzkontrollen bedrohen Produktionssicherheit
Diese Grenzkontrollen innerhalb der EU bedrohen jedoch ganz massiv eine andere Art von Sicherheit, welche für die deutsche Wirtschaft in Ungarn von herausragender Bedeutung ist. Nämlich die Sicherheit der Transportwege und -zeiten und damit letztlich der Produktion. Viele der Anwesenden wussten von teilweise großen Schwierigkeiten zu berichten, welche durch die wieder eingeführten Grenzkontrollen entstanden sind. Verzögerungen von 12-20 Stunden können bei Just-in-time- beziehungsweise Just-in-sequence-Produktion eine schwere Störung bedeuten.
Dementsprechend dringend wurde die Frage an den Staatssekretär gerichtet, was aus seiner Sicht geschehen müsse, damit die Kontrollen wieder aufgehoben werden können. Dieser verwies auf den 6-Punkte-Plan der Regierung Orbán, bei dem die Sicherung der Außengrenzen an oberster Stelle stünde. Weiterhin müsse man Wirtschafts- und Kriegsflüchtlinge unterscheiden, am besten bereits in Hotspots außerhalb der Grenzen. Sichere Drittstaaten sollten neu definiert werden. Weiterhin sieht der Plan konsequente Abschiebungen vor sowie ein internationales Quotensystem. Am besten solle man den Menschen aber dort helfen, wo sie herkommen, wofür Orbán Mittel in Höhe von 1% des EU-Haushalts vorschlägt.
Viele dieser Maßnahmen stoßen vor allem in der deutschen Öffentlichkeit auf breite Ablehnung. Doch Sicherheit scheint nicht anders zu haben zu sein, als (auch) durch die Einschränkung von Freiheiten. Dieser Debatte wird Europa sich stellen müssen.