Ähnlich dem deutschen Goethe-Institut gibt es auch in Ungarn eine Einrichtung, die sich mit der Verbreitung von nationaler Kultur und Sprache im Ausland beschäftigt: das Balassi-Institut, benannt nach Bálint Balassi, einem bekannten Dichter der Renaissancezeit und Begründer der modernen ungarischen Lyrik. Das Balassi-Institut ist auch für die Teilnahme Ungarns an internationalen Buchmessen verantwortlich. Wir unterhielten uns mit Institutsleiterin Judit Hammerstein über die kürzliche Göteborger Buchmesse, bei der Ungarn Gastland war, sowie über Buchmessen der nahen Zukunft mit ungarischer Beteiligung.
- Welche Bedeutung hat die Göteborger Buchmesse innerhalb Europas?
Es ist eine sehr wichtige europäische Buchmesse. Viele sind sogar der Meinung, dass diese Buchmesse die zweitwichtigste europäische ist. Jährlich wird sie von rund 100.000 Gästen besucht. Zum Vergleich: bei der größten europäischen Buchmesse, der Frankfurter Buchmesse sind es 300.000. Die Göteborger Buchmesse kann als Tor zur skandinavischen Welt aufgefasst werden. Wegen dieser Bedeutung nimmt Ungarn schon seit mehreren Jahren an ihr teil. Seit 2012 sind wir sogar mit einem eigenen Stand vertreten. 2013 wurde von den Veranstaltern an uns die Idee herangetragen, dass Ungarn 2015 das zentrale Gastland sein könnte. Wir hatten nicht lange gezögert und diese Einladung angenommen.
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Lohnt sich so ein Aufwand? In Skandinavien ist alles recht teuer…
Ja, auch die Buchmesse gehört zu den teuersten Europas. Nach einer gründlichen Kosten-Nutzen-Analyse sprach für uns aber nichts gegen eine Annahme der Einladung, im Gegenteil. Nicht zuletzt auch wegen der zahlreichen positiven Nebeneffekte einer so prominenten Messeteilnahme, wie den positiven Auswirkungen auf das Landesimage mit entsprechenden Folgewirkungen etwa bei den Außenwirtschaftskontakten oder beim Tourismus, entschieden wir uns dafür. Einem Gastland wird natürlich deutlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Mit so einem Rückenwind ist es für die Verlage auch leichter, Verträge abzuschließen. Die Teilnahme unseres Landes wurde innerhalb des Balassi-Instituts von der Projektabteilung Publishing Hungary organisiert, die für die internationalen Buchmessen verantwortlich ist. Diese Abteilung sorgt unter anderem dafür, dass ausgewählte Werke der ungarischen Literatur in verschiedene Fremdsprachen übersetzt werden. Außerdem gibt es ein Fellowship Programm, in dessen Rahmen wir unter anderem die Möglichkeit haben, Verleger nach Ungarn einzuladen.
- Welche Bücher beziehungsweise Autoren haben Sie in Schweden präsentiert?
Wir haben uns um ein möglichst breites Programm bemüht. Mit dabei waren natürlich Klassiker wie Dezső Kosztolányi, Antal Szerb und István Örkény. Von Örkény hatte unser Institut ein Werk speziell für die Messe übersetzt. Mit dabei waren aber auch einige Werke der Gegenwartsliteratur und ebenso Kinderliteratur, wo Schweden sehr stark ist.
- Auch bei Krimis sind die Schweden herausragend. Hatte Ungarn auch diesbezüglich etwas im Gepäck?
Leider nein, Ungarn ist bei Krimis nicht so stark.
- Warum eigentlich nicht? Die Ungarn sind doch auf anderen Gebieten, die analytisches Denken erfordern, ganz vorne mit dabei, etwa bei der IT oder der Mathematik.
Das ist eine sehr gute Frage. Es wäre sicher spannend, über diese Frage einmal länger nachzudenken. Dafür ist aber unsere Kinderliteratur sehr reich. Wir haben sehr gute Autoren und auch Illustratoren. In Göteborg haben wir uns bemüht, auch diesen Teil unserer Literatur gut darzustellen.
- Was konnten Sie dem Messepublikum noch zeigen?
Insgesamt sind aus diesem Anlass 21 ungarische Bücher ins Schwedische übersetzt worden, davon zwölf mittels schwedischer Verlage. Von den 21 übersetzten Werken sind 16 komplett als Buch erschienen und konnten an unserem Messestand präsentiert werden. Neben den bereits erwähnten Klassikern waren darunter auch zehn zeitgenössische Werke der Prosa und Lyrik, unter anderem: „A végső kocsma“ (dt.: „Endliche Kneipe“) von Imre Kertész, Sátántangó („Satanstango“) von László Krasznahorkai, „Egyszerű történet vessző száz oldal – a Márk változat“ („Einfache Geschichte Komma hundert Seiten – Markus-Variante“) von Péter Esterházy und „Pixel“ von Krisztina Tóth. Mit Unterstützung unseres Instituts erschien der Gedichtband „Kormányeltörésben“ (dt.: „Ruder beim Zerbrechen“) von István Domonkos. Mit dabei waren auch Werke der Lyriker Ágnes Kis Judit, Dániel Varró und Dénes Krusovszky. Unser Institut hat allein sieben Werke komplett ins Schwedische übersetzen lassen, unter anderem von Noémi Szécsi, Endre Kukorelly und Anna Jókai. Auszüge aus diesen Werken haben wir in Form einer Anthologie herausgebracht. Von jedem der erwähnten Bücher hatten wir dafür das unserer Meinung nach beste Kapitel ausgewählt. Wir hoffen sehr, dass wir dadurch die Aufmerksamkeit schwedischer Verleger wecken werden und einige oder gar alle Bücher bald komplett auf Schwedisch erscheinen werden.
- Gibt es diesbezüglich schon positive Anhaltspunkte?
„Sinistra körzet“ („Sinisterer Bezirk“) von Ádám Bodor und Finnugor vámpír („Finno-ugrischer Vampir“) von Noémi Szécsi wurden sehr interessiert aufgenommen. Es ist aber noch zu früh, über Ergebnisse zu sprechen.
- Mit welchen Werken ist die ungarische Literatur bisher in Schweden vertreten?
Unsere Literatur kommt in Schweden zwar gut an, noch immer sind aber nur wenige Autoren bekannt. Imre Kertész, Péter Esterházy, László Krasznahorkai und Péter Nádas gehören zweifellos dazu. Aber auch diese werden nur in einem kleinen Kreis gelesen. Ganz anders als umgekehrt: Bei uns erfreut sich schwedische Literatur einer wesentlich größeren Präsenz. Nicht zuletzt dank der weltweit berühmten Kinderliteratur und der sogenannten kalten nordischen Krimis. Immerhin hat uns sehr geholfen, dass Imre Kertész 2002 den Nobelpreis für Literatur erhalten hat.
- Wie kam die Shortlist Ihres Instituts zustande?
Wir haben für die Auswahl ein Kuratorium aufgestellt. Darin sitzen Vertreter der großen Schriftstellerorganisationen, der betroffenen Ministerien, der Kunstakademie und des Petőfi-Museums für Literatur. Mit dabei waren auch ungarische Verleger, die sich auf die Herausgabe schwedischer Titel spezialisiert haben und natürlich – wenn auch in die andere Richtung – über einschlägige Erfahrungen verfügen. Das Fachkuratorium hat übrigens nicht nur die zu übersetzenden Werke bestimmt, sondern auch das Programm zusammengestellt, das wir in Göteborg präsentiert haben.
- Trotz einer so fundierten und ausgewogenen Vorbereitung kam es bei der Eröffnung zu einem kleinen Eklat.
Bei der Haupteröffnung gab es mehrere Reden. Die erste natürlich von Seiten der Messe. Danach sprach der isländische Kulturminister. Danach habe ich in Vertretung des zuständigen ungarischen Staatssekretärs eine Rede gehalten. Anschließend hätte Péter Esterházy sprechen sollen, der aus gesundheitlichen Gründen (Esterházy leidet an Bauchspeicheldrüsenkrebs; Anm.) allerdings nicht angereist war. So wurde seine Rede vom Direktor seines Verlages verlesen. Dann sprach die schwedische Kulturministerin. Und schließlich folgte eine Rede von Masha Gessen, einer Schriftstellerin russischer Herkunft, die in den USA lebt. Sie ist bekannt für ihre starke Kritik an Russland. Sie ist auch eine Aktivistin für die Rechte lesbischer Frauen. Außerdem ist die Pressefreiheit ihr Thema. Das verschaffte ihr auch die Einladung als Eröffnungsrednerin, schließlich stand die diesjährige Buchmesse auch im Zeichen der Pressefreiheit. Anlass war die Abschaffung der Zensur in Schweden vor 250 Jahren. In ihrer Rede griff die Aktivistin dann plötzlich die ungarische Regierung an, und das massiv. Sie bediente sämtliche Klischees in Bezug auf Ungarn. Von der vermeintlich abgeschafften Pressefreiheit bis hin zur abgeschafften Demokratie. Sie bezeichnete es schließlich sogar als „Schande“, gemeinsam mit Repräsentanten der ungarischen Regierung aufzutreten.
- Was ist daraufhin passiert?
Die ungarische Botschafterin Lilla Makkay stand auf und verließ aus Protest den Saal. Mehr nicht.
- In der Presse war auch von einem Staatssekretär die Rede?
Das ist eine Ente. Zu diesem Zeitpunkt war unser Staatssekretär noch gar nicht eingetroffen. Schuld daran war ein Versehen der schwedischen Veranstalter, die vergaßen, ihn rechtzeitig vom Flughafen abzuholen. Ebenso wenig trifft zu, dass mehrere ungarische Teilnehmer den Saal verlassen hätten. Insgesamt war der Auftritt der russischen Rednerin als klare Provokation gedacht. Man hatte erhofft, dass wir auf den Zug aufspringen und uns mit ebenso rüden Worten lautstark zur Wehr setzen würden. Diesen Gefallen haben wir den Provokateuren jedoch nicht getan. Bis auf das – diplomatisch notwendige – Verlassen des Saals durch unsere Botschafterin gab es von unserer Seite keinerlei Reaktionen.
- Wie war dann die Sache mit den Plakaten?
Das war bei einem anderen Ereignis, nämlich bei der direkten Eröffnung des ungarischen Standes. Dort sprachen Staatsekretär István Íjgyártó, ich und István Bóka, der Bürgermeister von Balatonfüred, der seine Stadt und den Balaton im Rahmen unseres Messeauftritts präsentieren konnte. Bei dieser Eröffnung erschienen am Rande des Publikums vier oder fünf Demonstranten, die Plakate hochhielten, auf denen auf Schwedisch zu lesen war: „Wir zeigen der ungarischen Migrationspolitik unseren Rücken.“ Das war alles. Nach ihrer Aktion haben die Aktivisten dann friedlich an der Eröffnung unseres Standes teilgenommen und sich mit gutem Appetit an den mitgebrachten ungarischen Spezialitäten verköstigt.
- Hatten die beiden Aktionen Ihren Messeauftritt verhagelt?
Nein, keineswegs. Viele Schweden kamen an unseren Stand. Sie waren sehr nett und herzlich. Viele bekundeten ganz offen ihre Solidarität und entschuldigten sich sogar für die beiden Zwischenfälle. Sie bedauerten es, dass eine Kulturveranstaltung für politische Zwecke missbraucht worden war und machten deutlich, dass sie es generell als unhöflich betrachten, so mit Gästen umzugehen.
- Die beiden Aktionen konnten Ihren Messeauftritt also nicht eintrüben?
Nein, ganz und gar nicht. Natürlich waren sie nicht ganz angenehm für uns, wir versuchten sie aber mit Humor zu nehmen und uns davon nicht beeindrucken zu lassen. Unsere Programme fanden wie geplant statt.
- Gab es noch weitere Aktionen gegen die ungarische Regierung?
Nicht mehr an unserem Stand. Natürlich wurde das Thema Migrationspolitik auch bei den Podiumsdiskussionen mit den ungarischen Schriftstellern immer wieder angesprochen. Unsere Schriftsteller wurden permanent mit der Frage konfrontiert, wie sie die ungarische Migrationspolitik fänden. Das war unvermeidlich und auch völlig in Ordnung, dass um dieses brennende Thema kein Bogen gemacht wurde. Die Schriftsteller antworteten geduldig und konnten schließlich über eher literarische Themen sprechen. Regelrechte Störaktionen gab es aber nicht mehr.
- Es gab aber noch eine andere Vortragsreihe außerhalb Ihres Programms.
Ja, diese wurde von einigen schwedischen Intellektuellen im Rahmen der Messe quasi als Gegenveranstaltung zu unserem Auftritt organisiert. Die Programmreihe bestand aus elf Vorträgen beziehungsweise Paneldiskussionen mit klarer politischer Tendenz. Sie trugen so vielsagende Titel wie „Was wagen wir zu sagen?“, „Hallo, Herr Diktator!“ oder „Die Meinungsfreiheit ist in Ungarn in Gefahr“. Fast alle Vortragende waren dezidierte Kritiker der Orbán-Regierung. Den Eröffnungsvortrag mit dem Titel „Widerstand in Ungarn“ hielt die Philosophin Ágnes Heller. Das Panel mit dem Namen „Ungarn regt auf“ kam sogar ohne jegliche ungarische Referenten aus. Die ganze Programmreihe erinnerte eher an ein Tribunal als an eine offene, konstruktive Diskussion.
- Auch vom Balassi-Institut wurden Vorträge und Podiumsdiskussionen veranstaltet.
Bei diesen bemühten wir uns um eine ausgewogene Besetzung und Themenwahl. Ein Panel widmete sich beispielsweise der ungarischen Revolution von 1956, in einem anderen ging es um Literaturübersetzungen. Bei uns standen die Literatur und die Schriftsteller im Vordergrund. Wir sind aber auch kritischen und kontroversen Themen nicht ausgewichen. So gab es auch ein Panel, das sich mit der Pressefreiheit beschäftigte. Bei uns konnte über alles diskutiert werden. Es war uns nur wichtig, dass es offen und konstruktiv zugeht. An Diskussionen, bei denen das Endergebnis schon von vornherein feststand, hatten und haben wir kein Interesse.
- Hätten Sie die Protestaktionen verhindern können?
Wahrscheinlich nicht. Wir hatten alles versucht, um ein möglichst ausgewogenes Programm zu bieten. Die Liste, der von uns präsentierten Bücher und Schriftsteller war über jeden politischen Zweifel erhaben. Unter den Schriftstellern gab es sogar gegenüber der Regierung ausgesprochen kritisch eingestellte Personen. Denken wir nur an Péter Esterházy oder Endre Kukorelly. Auch Ádám Bodor ist nicht gerade ein Fan der gegenwärtigen ungarischen Regierung. Auch an unserem Programm gab es für einen aufgeschlossenen Beobachter nichts auszusetzen. Musikalisch unterstützte uns die Gruppe „Budapest Bár“, zu deren Repertoire auch Zigeuner- und Klezmermusik gehört. Die ungarische Roma-Minderheit war aber auch über das Mode-Label Romani Design in Göteborg vertreten. Es gab Wein vom Balaton und eine Ausstellung des berühmten ungarischen Fotografen Imre Kinszki, der dem Holocaust zum Opfer gefallen war. Filmisch präsentierten wir Ungarn mit der Verfilmung des „Romans eines Schicksalslosen“ von Imre Kertész und dem Film „Freiheit und Liebe“, der unsere Revolution von 1956 thematisiert. Schließlich gab es noch eine kritische literarische Performance von Katalin Ladik und Endre Szkárosi. Dabei hatten sie einen Zaun errichtet und dargestellt, wie das ist, wenn man dahintersteht und von Angst und Frustration durchdrungen ist.
- Wie bewerten Sie den Göteborger Messeauftritt?
Abgesehen von den erwähnten kleinen Aktionen war er erfolgreich. Der ungarische Stand wurde sehr intensiv besucht. Ebenso die von uns angebotenen Vorträge und Podiumsdiskussionen. Dem Publikumsinteresse hatten die Störaktionen also keinen Abbruch getan, im Gegenteil: vielleicht haben sie das Interesse an unseren Angeboten sogar noch erhöht.
- Welche weiteren Buchmessen stehen im Kalender Ihres Instituts?
Zunächst einmal die Frankfurter Buchmesse vom 13. bis zum 18. Oktober, auf der wir erstmalig zusammen mit dem Verband der ungarischen Buchverleger mit einem gemeinsamen Stand vertreten sein werden. Von 21. bis zum 24. November findet dann die Donau Lounge in Wien statt, die allerdings vornehmlich vom Wiener Collegium Hungaricum organisiert wird. Sie verfolgt das Ziel, die Literatur der Donau-Anrainer bekannter zu machen. Im kommenden Mai werden wir dann bei der Warschauer Buchmesse Gastland sein.