Prominenter Eröffnungsredner bei der vom Deutschen Wirtschaftsclub Ungarn ausgerichteten „4. Konferenz Deutscher Wirtschaftsclubs der Region“ am vergangenen Freitag war Außenminister Péter Szijjártó. In seiner gut halbstündigen, überwiegend frei vorgetragenen Rede würdigte er die große Rolle deutscher Investoren für Ungarn und gab eine aktuelle Lageeinschätzung bezüglich der Migrationskrise nebst einiger Lösungsalternativen.
„Deutschland ist der erstrangige politische, wirtschaftliche und strategische Partner Ungarns, die deutschen Investitionen sind grundlegend für die ungarische Volkswirtschaft.“ Das Vertrauen der deutschen Investoren sei auch seit 2010, also seit Beginn der 2. Orbán-Regierung ungebrochen. Nachdem der bilaterale Handel 2014 eine Rekordhöhe erreichte, wird es in diesem Jahr einen weiteren Rekord geben. Das gleiche gilt für die ungarischen Exporte nach Deutschland. „Ohne eine kontinuierliche Weiterentwicklung der deutsch-ungarischen Zusammenarbeit ist es schwer vorstellbar, dass die ungarische Wirtschaft auf ihrem nachhaltigen Wachstumspfad und Ungarn mit Blick auf das Wirtschaftswachstum in der EU-Spitzengruppe bleibt“, würdigte Szijjártó. Innerhalb der letzten fünf Jahre hätten deutsche Unternehmen in Ungarn 5,3 Milliarden Euro investiert und damit 20.600 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Gegenwärtig seien in Ungarn fast 6.000 Unternehmen mit deutschem Anteil tätig, bei denen rund 300.000 Mitarbeiter beschäftigt seien.
Berechenbarkeit der Warenströme in Gefahr
Ungarn sei eine offene Wirtschaft und auf Investoren angewiesen. Ein Viertel der ausländischen Direktkapitalinvestitionen stamme aus Deutschland. Im immer härteren Standortwettbewerb versuche Ungarn mittels der Bereitstellung von entsprechend ausgebildeten Arbeitskräften sowie über die Schaffung einer Zuliefererbasis zu punkten. Sodann machte Szijjártó auch auf die gefährlichen wirtschaftlichen Auswirkungen der Migrationskrise aufmerksam. „Wenn wir nicht in der Lage sind, unsere Außengrenzen glaubwürdig zu schützen, dann werden die starken EU-Länder nach und nach ihre eigenen Grenzen schließen.“ Wegen der zunehmenden Grenzkontrollen würde auch der Warenverkehr, insbesondere dessen Berechenbarkeit leiden. „Wenn diese Berechenbarkeit nicht mehr gegeben ist, dann wird das bei Ihnen riesige Probleme auslösen“, wandte er sich warnend ans Publikum. Schließlich sei die Berechenbarkeit der Warenströme eine Basis der wirtschaftlichen Zusammenarbeit unserer Länder. Diese sei jetzt in Gefahr.
Bezüglich der Migrationskrise, der „größten Herausforderung Europas seit 1945“, bezeichnete er es als größtes Problem, dass es noch immer keinen gemeinsamen Standpunkt gebe. Das habe zum Teil auch damit etwas zu tun, dass ein Dissens hinsichtlich der Natur dieser Erscheinung herrsche, die nach den Worten des Außenministers eher eine „massive moderne Völkerwanderung“ und keine Flüchtlingskrise sei. Dabei schloss er auch nicht aus, dass es unter den Flüchtlingen durchaus Personen mit berechtigtem Anspruch auf Asyl gibt. Ebenso wie Personen, die dem IS naheständen. Weiterhin gebe es auch keinen Konsens hinsichtlich der Größe des Problems beziehungsweise des zahlenmäßigen Nachschubs des Flüchtlingsstroms.
30-35 Millionen Menschen kurz vor dem Aufbruch nach Europa
Seinen Informationen zufolge ständen in den Krisengebieten Afrikas und des Nahen Ostens noch etwa 30-35 Millionen Menschen kurz davor, sich ebenfalls auf den Weg nach Europa zu machen. „Bei der Beseitigung der Ursachen der aktuellen Flüchtlingsströme waren wir bisher nicht erfolgreich.“ Nun müsse aber schnell etwas geschehen. Konkret schlug er vor, dass die EU-Länder stärker als bisher die Türkei, Jordanien, den Libanon und den kurdischen Teil des Iraks finanziell unterstützen sollten, also die Länder, die momentan noch verhinderten, dass Europa von noch größeren Flüchtlingswellen heimgesucht wird. „Wenn wir nicht rasch handeln, dann haben wir es bald mit Wellen in Millionendimension zu tun“, warnte er.
In erster Linie sollte „mit gemeinsamer Kraft“ die Kontrolle über die Grenzen wieder zurückgewonnen werden, auch der griechischen EU-Außengrenze. Hart kritisierte er, dass Ungarn von seinen westlichen EU-Partnern diesbezüglich bisher allein gelassen worden ist. An dieser Stelle erinnerte Szijjártó an Gespräche mit mindestens 15 EU-Außenministern, die alle Ungarn wegen des Grenzzauns kritisiert hätten. Als sie von ihm jedoch bezüglich anderer Alternativen befragt wurden, seien sie plötzlich alle in Verlegenheit geraten. Es sei von Seiten der EU pure „Heuchelei“, von Ungarn einerseits die Einhaltung der Schengen-Bestimmungen zu verlangen und andererseits die Errichtung des Grenzzauns zu kritisieren.
„Der Zaun ist eine gute Lösung“
Den Grenzzaun bezeichnete Szijjártó nachdrücklich als die „einzige Möglichkeit, um die Schengen-Bestimmungen weiter durchsetzen zu können“. Letztlich sei die Befestigung der ungarisch-serbischen Grenze erfolgreich verlaufen. Während zuvor täglich bis zu 10.000 illegale Einwanderer die Grenze überschritten hätten, seien es nach Vollendung des Zauns inzwischen nur etwa 150-200 Personen täglich. Das spreche für sich. „Der Zaun ist eine gute Lösung.“ Weiterhin unterstrich der Außenminister: „Wir haben den Zaun nicht aus purer Lust gebaut, sondern weil die EU nicht in der Lage ist, ihre Außengrenzen zu schützen.“
Mit Blick auf den bevorstehenden Jahrestag der Revolution von 1956 am 23. Oktober stellte Szijjártó nachdrücklich fest: „Es ist beleidigend für uns, wenn zwischen den Flüchtlingen von 1956 und den heutigen Flüchtlingen ein Gleichheitszeichen gezogen wird. Und wenn uns mit Verweis auf die Aufnahme der damaligen ungarischen Flüchtlinge bezüglich unserer gegenwärtigen Migrationspolitik Vorwürfe gemacht werden. Das ist ein vollständig hinkender historischer Vergleich.“ Als die Ungarn zum Fliehen gezwungen waren, gingen sie ins Nachbarland Österreich, wo sie dann in Lagern geduldig ihr weiteres Schicksal abwarteten. Die Flüchtlinge seien damals dankbar für die Aufnahme gewesen und hätten die Ordnungskräfte nicht mit Steinen beworfen. Sie kooperierten mit den Behörden des Aufnahmelandes und respektierten dessen Gesetze. Die heutigen Flüchtlinge hätten jedoch die Kooperation etwa mit den ungarischen Behörden massiv verweigert.
Geradezu empörend sei es, von Seiten der Flüchtlinge zu behaupten, sie würden von Ungarn nicht versorgt werden. Dabei sei das Gegenteil der Fall. Eine Versorgung habe es gegeben, allerdings an den dafür vorgesehenen Plätzen. Es konnte nicht erwartet werden, dass die Flüchtlinge, etwa wenn sie einen Bahnhof okkupierten, dort versorgt werden wollten. „Stellen Sie sich nur einmal vor“, wandte er sich an die versammelten Geschäftsleute, „die Mitarbeiter Ihrer Firma würden sich plötzlich weigern, ihr Mittag in der dafür vorgesehenen Kantine einzunehmen und stattdessen verlangen, in Zukunft vor dem Haupteingang zu essen!“
Insgesamt handele es sich bei der Migrationskrise um ein Weltproblem, das nur global gelöst werden könne. Nicht zuletzt, weil ihre Gründe außerhalb Europas liegen. Mit dieser globalen Dimension erklärt sich auch Ungarns Vorschlag hinsichtlich der Einführung einer Weltquote für die Verteilung der Flüchtlinge. Mit Blick auf die internationale Dimension der Krise unterstrich Szijjártó weiterhin, dass es ohne eine pragmatische Kooperation der transatlantischen Gemeinschaft mit Russland im Nahen Osten und in Nordafrika keine Stabilität geben werde. „Wenn Europa nicht bereit ist, mit Russland zusammenzuarbeiten, dann wird es nur unkoordinierte Aktionen geben, die zu einem noch größeren Chaos führen.“ In diesem Zusammenhang würdigte er das Atomabkommen mit dem Iran, zu dem es erst unter Einbeziehung von Russland gekommen sei.
Mit Blick auf eine Lösung der Migrationskrise bezeichnete er auch eine am Vortag erzielte Übereinkunft der Visegrád-Länder als beispielgebend. Man sei darin übereingekommen, die Südgrenze Ungarns gemeinsam zu schützen. Die vier Länder hätten gezeigt, dass es durchaus länderübergreifende Lösungen bei der Sicherung von EU-Grenzen geben kann. „Wenn wir vier Länder in der Lage sind, die Grenzen Ungarns zu sichern, dann sollten doch 28 EU-Länder die Grenzen Griechenlands schützen können.“ Das sei lediglich eine Willensfrage.