
Das Podium: Dale Martin (Präsident der DUIHK), Moderator Jan Mainka (Herausgeber und Chefredakteur der Budapester Zeitung), Klaudia Pataki (Bürgermeisterin von Kecskemét) und Prof. Dr. Péter Ákos Bod (Professor für Wirtschaftspolitik an der Corvinus Universität). (Fotos: KAS/Balázs Szecsődi)
Die Konrad-Adenauer-Stiftung, das József Antall Wissenszentrum und die Andrássy Universität Budapest feierten das Ende des deutsch-ungarischen Freundschaftsjahres mit einer Konferenz im Spiegelsaal der Andrássy Universität. Wirtschaftsminister Mihály Varga hielt einen Impulsvortrag, in dem er die Chancen – aber auch Probleme – der engen Wirtschaftsbeziehungen hervorhob. Im Mittelpunkt der Diskussion stand eine Wunschliste mit Maßnahmen zur Verbesserung des Wirtschaftsstandorts Ungarn.
Deutschland und Ungarn sind auf vielfältige Weise miteinander verflochten. Wirtschaftsminister Varga hob hervor, dass in keinem anderen Land so viele Kinder Deutsch als zweite Fremdsprache lernen wie in Ungarn. Jeder dritte Fremdsprachenschüler in Ungarn lernt Deutsch. Für die ungarische Wirtschaft seien die Beziehungen zu Deutschland entscheidend. Der Anteil am BIP wie auch bei den Exporten betrage je um die 25 Prozent. Angesichts dessen gelte: „Deutsche Perspektiven sind ungarische Perspektiven.“ Die Ungarische Regierung wolle weiterhin an guten Bedingungen für deutsche Unternehmen in Ungarn mitwirken. Zum Beispiel durch eine enge Abstimmung mit der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer (DUIHK).
Ebenso gäbe es gemeinsame Probleme, für die gemeinsame Lösungen gefunden werden müssten. Die Flüchtlingskrise sei ein Beispiel, der Skandal bei VW ein anderes. Eine Konsequenz aus dem Skandal sei allerdings, die bestehende Abhängigkeit der ungarischen Wirtschaft von der Automotive-Wirtschaft zu reduzieren: „So lange es der deutschen Automotive-Branche gut geht, geht es Ungarn gut – aber wenn sich das ändert, haben wir ein Problem.“ So sollten die Mittel aus der EU-Wirtschaftsförderung in Zukunft verstärkt in die Förderung alternativer Wirtschaftszweige fließen. Die Herstellung von medizinischen Instrumenten nannte Minister Varga hier als Beispiel. Auch sollen Kooperationen von Unternehmen mit Universitäten gefördert werden.
An der anschließenden Diskussionsrunde nahmen teil: Dale Martin (Präsident der DUIHK), Prof. Dr. Péter Ákos Bod (Professor für Wirtschaftspolitik an der Corvinus Universität) und Klaudia Pataki (Bürgermeisterin von Kecskemét). Moderator Jan Mainka (Herausgeber und Chefredakteur der Budapester Zeitung) befragte die Teilnehmer nach ihren Wünschen an Minister Varga, um die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Ungarn zu sichern.
Die Wunsch
Martin war am wichtigsten, dass der Dialog zwischen Investoren und der Regierung weiterhin so konstruktiv bleibe. Als Beispiel nannte er die Einführung des elektronischen Warenverfolgungssystems, wobei es gelungen sei Nachteile für die Firmen zu verhindern, die nicht im Fokus der Neuregelung standen. Bürgermeisterin Pataki wünschte sich, dass die Reform des Berufsausbildungssystems nach deutschem Vorbild konsequent weitergeführt werde. „Dieser Weg ist der Richtige“. Jedoch sei bei Jugendlichen und deren Eltern noch viel Überzeugungsarbeit für das neue System zu leisten. Martin ergänzte an dieser Stelle, dass deutlich gemacht werden müsse, dass eine Lehre nicht das Ende der Karriereleiter bedeute und ein späteres Studium keineswegs ausschließe. Außerdem müsse insbesondere bei kleineren Unternehmen das Bewusstsein für den Wert einer soliden Fachausbildung geschaffen werden. Sie würden oft die Investition in die bisher fälligen Schulgebühren noch scheuen. Siemens Ungarn, dessen Vorstandsvorsitzender Martin ist, unterhält selbst eine Berufsschule in Budapest und füllt derzeit die offenen Plätze aus eigenen Mitteln.

Volkswirtschaftsminister Mihály Varga: „Solange es der deutschen Automotive-Branche gut geht, geht es auch Ungarn gut.“
Neben der weiteren Förderung der dualen Berufsausbildung schlug Pataki die Förderung von Zulieferbetrieben und Investitionen in die Infrastruktur vor. Es gebe durchaus noch Reserven auf dem Arbeitsmarkt, zum Beispiel gäbe es in ihrem Komitat Regionen mit Arbeitslosigkeit von über 30 Prozent. Vor allem Menschen mit geringer Qualifikation würden ihre Heimat ungern verlassen und die fehlende Verkehrsinfrastruktur mache Pendeln unmöglich.
Ungarische Wirtschaft muss sich diversifizieren
Bod lobte das selbstkritische Eingeständnis von Minister Varga, dass die ungarische Wirtschaft zu abhängig von der deutschen Autoindustrie sei. Er zeigte sich skeptisch, ob eine Wirtschaft mit starker traditioneller Industrieproduktion wie sie derzeit in Ungarn forciert werde, den Wohlstand hervorbringen könne wie noch in den 60er-Jahren. Insofern begrüßt er das Vorhaben Vargas, mehr Fördermittel in die Diversifizierung der ungarischen Wirtschaft zu stecken. Als dringenden Punkt sieht Bod die Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte aus Ungarn an. „Wenn ein Arzt ins Ausland geht, ist das ok. Wenn vier gehen, ist das ein Problem. Wenn 16 gehen, können Sie das Krankenhaus dichtmachen.“ Er selbst stehe als Vater vor der Frage: „Wie kriegt man die Kinder aus Westeuropa wieder nach Hause?“ Ungarn stecke da in dem Dilemma, dass es noch nicht wettbewerbsfähig genug sei, um ein steigendes Lohnniveau vertragen zu können – höhere Löhne seien aber gerade notwendig um innovative Kräfte im Land zu halten bzw. dorthin zurückzuholen. Vor allem angesichts der demographischen Situation Ungarns, vor deren Hintergrund auch die Debatte um Einwanderung zu betrachten sei. Sich Einwanderung völlig zu verschließen, sei eine „wenig zukunftsfähige Arbeitsmarktpolitik.“
Aus Patakis Sicht ist das Lohnniveau aber nicht der einzige Faktor, um Arbeitskräfte im Land zu halten. Sie habe die Erfahrung gemacht, dass die so genannten „weichen“ Faktoren mindestens genau so entscheidend seien. So würden sie die zweisprachige Kinderbetreuung subventionieren und gemeinsam mit Mercedes zwei Sportakademien für Basketball und Fußball betreiben, an denen mehr als 1.600 Kinder betreut und gefördert würden. Auch setze sich die Stadt für hochwertige kulturelle Veranstaltungen ein. All dies trage dazu bei, dass Kecskemét attraktiv für Arbeitskräfte sei.
Das sei – so der Tenor am Schluss – ein gutes Beispiel für die Art von Win-Win Situation, an der man auch in Zukunft gemeinsam arbeiten wolle.