„Wir haben nach Bildern gesucht, die auch noch morgen von Bedeutung sind – nicht nur heute“, schildert die Jury des ‚World Press Photo Award‘ ihre Suche nach dem Pressefoto des Jahres 2014. Das Ergebnis ist eine Auswahl an Bildern aus den Bereichen Politik, Kultur, Gesellschaft, Sport und Natur, die unter die Haut gehen und uns die Welt überdenken lassen. Bis Ende Oktober sind die ausgezeichneten Einzelaufnahmen und Fotoserien im Ethnografischen Museum in Budapest zu sehen.
Manche Besucher ziehen langsam ihre Runden. Sie gehen nachdenklichen Schrittes von Bild zu Bild, darauf bedacht, jedem der an großen Stellwänden angebrachten Fotografien und Fotoserien der ‚World Press Photo‘-Ausstellung die gebührende Achtung zu zollen. Andere Besucher laufen aufgeregt kreuz und quer durch die majestätische Eingangshalle des Budapester Ethnografischen Museums, angezogen von Fotografien, die schon von Weitem ins Auge springen: beispielsweise die Aufnahme des türkischen Fotografen Bulent Kilic, welche den ersten Preis der ‚World Press Photo‘-Jury in der Kategorie ‚Spot News Singles‘ gewonnen hat. Sie zeigt ein junges Mädchen, das bei Ausschreitungen auf dem Taksim-Platz in Istanbul verletzt wurde. Ihr müder Blick richtet sich auf die Kamera, in ihren Augen spiegeln sich Wut und Verzweiflung. Die Proteste begannen im Anschluss an die Beisetzung von Berkin Elvan, einem 15-jährigen Jugendlichen, der im Sommer 2013 während der Gezi-Proteste von einer Tränengaskartusche am Kopf getroffen und nach mehreren Monaten im Koma seinen Verletzungen erlegen war.
Aus den Titelseiten verschwunden, nicht aber aus der Erinnerung
Ein anderes Bild zeigt einen an Ebola erkrankten Mann in Sierra Leone. In mentaler Umnachtung versucht er aus einer der überfüllten Isolationsstationen zu fliehen. Figuren in Schutzanzügen halten den bereits körperlich ausgezerrten Patienten im Endstadium der Krankheit zurück. Der US-amerikanische Fotograf Pete Muller dokumentierte mit dieser Fotografie das Leid, welches durch das ansteckende Ebolafieber über Westafrika hereinbrach. 2014 kam es dort zur bislang größten Ebolaepidemie, von der die Länder Guinea und Sierra Leone heute noch immer betroffen sind.
Einige der Ereignisse, welche die Pressefotografien in der ‚World Press Photo‘-Ausstellung zeigen, sind bereits seit Monaten aus den Titelseiten der Zeitungen verschwunden. Längst sind die Reporter, Fotografen und Kameraleute zum nächsten Thema und in die nächste Krisenregion weitergezogen. Doch das Material, das ihre manchmal unter Einsatz des eigenen Lebens entstandene dokumentarische Arbeit hervorbrachte, ist ein wichtiges Zeugnis unserer Zeitgeschichte.
Darüber hinaus gehören die ausgestellten Fotografien, die es in der Wanderausstellung noch bis zum 25. Oktober in Budapest zu bestaunen gibt, zum Besten, was die Pressefotografie im Jahr 2014 zu bieten hatte. Seit 1955 veranstaltet die World Press Photo Foundation, eine unabhängige Plattform des Fotojournalismus mit Sitz in Amsterdam, nun schon den jährlichen ‚World Press Photo‘-Wettbewerb. Der dabei verliehene Pressefoto-Award ist die weltweit renommierteste Auszeichnung für Pressefotografie.
Knapp 98.000 Einsendungen aus 131 Ländern
Am diesjährigen Wettbewerb nahmen 5.692 Pressefotografen aus 131 Ländern teil. Insgesamt 97.912 Einsendungen wurden gezählt, von denen weniger als 150 von der kritischen internationalen Jury ausgewählt und mit einem der begehrten Preise in den acht Kategorien des Wettbewerbs ausgezeichnet wurden. Für die aus 17 Mitgliedern bestehende Jury zählt bei der Auswahl der Siegerbilder vor allem die „fotojournalistische Bedeutung” der Werke sowie die „außerordentliche Qualität der visuellen Perzeption und Kreativität”. Zudem müssen die Aufnahmen im Laufe des Jahres 2014 entstanden sein. Am Ende wurden 41 Fotografen aus 17 Ländern prämiert: Darunter Australien, Bangladesch, Belgien, China, Dänemark, Eritrea, Frankreich, Deutschland, Iran, Irland, Italien, Polen, Russland, Schweden, Türkei, Großbritannien und die USA.
Das Gewinnerfoto
Der 58. World Press Photo Award geht an den Dänen Mads Nissen. Das von ihm eingereichte Foto, welches zum Siegerbild gekürt wurde, zeigt ein schwules Paar in intimer Pose im russischen Sankt Petersburg. Die Wettbewerbsjury sah in Nissens Fotobeitrag ein besonders einfühlsames Statement gegen die Verfolgung von Homosexuellen in Russland und verlieh Nissen daher den mit 10.000 Euro dotierten Preis. Homosexualität wird in Russland nicht nur tabusiert, sondern auch zunehmend verfolgt: Seit 2013 stehen jedwede positiven Äußerungen über Homosexualität in Anwesenheit von Minderjährigen oder über Medien wie das Internet unter Strafe. Etwa zur Zeit des Inkrafttretens dieser repressiven Gesetzgebung befand sich Nissen im Land, um die Lage der dortigen LGBT-Bewegung zu recherchieren. Nissens Siegerfoto mit dem Titel “Jon und Alex“ (nach den gezeigten Personen) ist Teil eines größeren Fotoprojekts zum Thema „Homophobie in Russland“.
Jährlich sehen mehr als drei Millionen Menschen in 45 Ländern die World Press Photo Wanderausstellung. Gesponsert wird der renommierte Wettbewerb für Pressefotografie und die darauf folgende Wanderausstellung übrigens sowohl vom weltweit bekannten Kamerahersteller Canon als auch von der Niederländischen Postleitzahl-Lotterie.
Mit einem Eintrittspreis von 2.100 Forint (umgerechnet rund 7 Euro) für ein Ticket ohne Ermäßigung (1.000 Forint mit) liegt der Preis etwas höher als an anderen europäischen Ausstellungsorten, die den Besuch der World Press Photo Ausstellung teilweise sogar kostenlos ermöglichten. Doch die Ausgabe lohnt, denn die World Press Photo-Exponate sind Bilder, über welche die Welt spricht.
Katrin Holtz
World Press Photo Ausstellung
Noch bis 25. Oktober 2015 im Ethnografischen Museum (Néprajzi Múzeum)
Budapest, V. Bezirk
Kossuth Lajos tér 12
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag zwischen 10 und 18 Uhr, Freitag und Samstag bis 20 Uhr
www.neprajz.hu