Das Bogenschießen gehört seit vielen hundert Jahren zu den ungarischen Traditionssportarten. Im Shop und Trainingszentrum „Kerecsen“ im XIII. Bezirk haben Interessierte nicht nur die Möglichkeit, sich mit Zubehör für das Bogenschießen auszurüsten. Hier können sie auch ihre eigene Schusstechnik unter professioneller Anleitung verbessern.
Die Beine ein wenig auseinander, die Füße parallel zueinander, Rücken und Schultern gerade. Auch ein fester Stand ist wichtig. Das neue Werkzeug liegt schwer in der linken Hand. Es handelt sich um einen hunnischen Bogen – ähnlich wie ihn Attila trug, als er vor über 1.500 Jahren das Balkangebiet beherrschte und die Hunnen zum Höhepunkt ihrer Macht führte. Dieser sieht fast größer als sein Träger aus. Der Schütze steht seitlich, mit dem Oberkörper zum Zielobjekt gedreht. Den Arm im Neunzig-Grad-Winkel nach vorn gestreckt, versucht er den Bogen gerade zuhalten. Dann zieht der Schütze einen Pfeil aus dem Köcher, der auf dem Boden steht.
Sport ist nicht gleich Sport. Es gibt Ausdauersport, Kraftsport, Kampfsport, Mannschaftssport, Motorsport und so weiter. Das Bogenschießen gehört wohl eher zu den Konzentrations- beziehungsweise Denksportarten. Nur eine kleine falsche Bewegung oder ein winziger Fehler in der Körperhaltung reichen aus, um den Pfeil von seiner geraden Bahn abzulenken und ihn das Ziel verfehlen zu lassen.
Die roten Backsteinwände des im Kellergeschoss eines Wohnhauses liegenden Shops und Trainingsplatzes für Bogenschießen „Kerecsen“ (Deutsch: Sakerfalke) versprüht schon beim Eintreten den Charme eines mittelalterlichen Waffenlagers. Nicht nur Pfeile und Bögen sind hier erhältlich: Hier findet man alles, was das Herz eines Bogenschützen begehrt. Äxte, Schwerter, Speere, Lederbeutel und Kleidung: Ein Großteil der Waren ist handgefertigt. Péter Ludmány hat vor sieben Jahren seine Leidenschaft für das Bogenschießen entdeckt, „aber erst seit drei Jahren kann ich mich als Bogenschütze bezeichnen“. Der amtierende ungarische Meister im Bogenschießen arbeitet als Verkäufer und Lehrer im „Kerecsen“. Hier hat man nicht nur die Möglichkeit sich mit Zubehör für den Bogensport einzudecken. Interessierte können den Trainingsraum des „Kerecsen“ nutzen, um ihre eigene Technik zu verbessern. Péter Ludmány ist als Lehrer vor Ort und steht den Schützen mit Rat und Tat zur Seite.
Hahnenfeder und Nockpunkt
Der Bogen in der Hand des Schützen wird immer schwerer. Langsam wird auch seine Haltung instabil. Der Rücken krümmt sich, die Schultern sacken, wenn auch nur um einige Millimeter, nach vorn. Péter Ludmány korrigiert die Haltung des Schützen, indem er dessen Schultern vorsichtig mit den Fingerspitzen nach hinten drückt. Der Schütze legt den Pfeil auf den Fingerknöcheln der Hand ab, die mit festem Griff den Bogen umfasst.
„Der Pfeil sollte so ausgerichtet sein, dass die Hahnenfeder nach links zeigt“, erklärt der Lehrer. Die Hahnenfeder ist eine der drei Federn des Pfeils, die man an ihrer unterschiedlichen Färbung erkennt. Diese hat eine besondere Bedeutung, da sie die Flugrichtung des Geschosses verändert. „Diese Feder muss parallel zum Fußboden verlaufen, um den Pfeil auf der richtigen Bahn zu halten“, fügt er hinzu. Das hintere Ende des Pfeils, das als „Nock“ bezeichnet wird, wird auf die Sehne, die den Bogen spannt, gesetzt. Genau unter dem „Nockpunkt“, ein kleiner Knopf, der die Position des Pfeils markiert. Ein leises Klicken zeigt, dass das Geschoss nun an der richtigen Stelle festsitzt.
Schütze ist nicht gleich Bogenschütze. „Nur weil jemand mit Pfeil und Bogen schießt, ist er nicht gleich ein Bogenschütze“, erklärt Ludmány. „Anfänger glauben immer sie seien die Besten, weil sie den Pfeil irgendwie abgeschossen haben“, lacht er. Der Unterschied zwischen einem Schützen und einem Bogenschützen ist die Herangehensweise: Einfache Schützen wollen oft nur schießen und irgendwie die Zielscheibe treffen. Ein echter Bogenschütze dagegen will sich und seine Technik stetig verbessern, einen guten Schuss noch besser machen. Für Péter Ludmány ist das Bogenschießen nicht einfach nur ein Sport, sondern eine Passion. „Ich mag keine Konflikte. Schon als Kind habe ich immer versucht Streit zu schlichten. Beim Bogenschießen ist man nur man Selbst.“
Mit drei Fingern der rechten Hand umgreift der Schütze die Sehne des Bogens. Der Zeigefinger liegt auf dem Pfeil. Mittelfinger und Ringfinger liegen unter dem Pfeil und stabilisieren diesen. Mit Kraft spannt der Schütze die Sehne. Dabei werden gleichzeitig das Bogengestell nach vorn gedrückt und die Sehne durch das nach hinten Ziehen gespannt. Der rechte Ellenbogen bewegt sich in Gesichtshöhe parallel zum Boden. Ganz langsam neigt der Schütze den Bogen nach rechts und zielt, mit einem Auge geschlossen. Die straffe Sehne des Bogens bringt den Arm des Schützens zum Zittern. Kurz bevor dieser das Geschoss loslassen will fällt der Pfeil klirrend zu Boden.
Bogen ist nicht gleich Bogen. Grundsätzlich gibt es viele verschiedene Bogenarten. Im „Kerecsen“ wird mir drei unterschiedlichen Typen gearbeitet, unter anderem mit traditionellen ungarischen Reiterbögen. Das Bogenschießen hat in Ungar eine große Tradition und kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Das Schießen mit Pfeil und Bogen ist rund 14.000 Jahre alt. Das belegt der bei Hamburg gemachte Fund eines Bogens, der von Wissenschaftlern auf das Jahr 10.000 vor Christus datiert wurde. Seither wurden Pfeil und Bogen hauptsächlich zur Jagd und als Waffe im Krieg eingesetzt. In Ungarn liegt der Ursprung des Bogensports in der Tradition des Wettkampfes, dem „Kassai-Wettkampf“. Dieser hat wiederum seinen Ursprung im militärischen Vorgehen der Nomadenvölker in den Steppenregionen Zentralasiens. Mobile Reitvölker beherrschten über Jahrhunderte hinweg den innerasiatischen Raum. Bei der Kampfkunst des berittenen Bogenschießens wird aus allen Gangarten, also im Schritt, Trab und Galopp, geschossen. Diese Technik führte zu großen Erfolgen von Reitvölkern, wie Hunnen, Göktürken oder Mongolen.
Die Leistung eines Bogenschützen im ungarischen Wettkampf kann sich über mehrere Durchläufe, die als Galopps bezeichnet werden, entfalten. Insgesamt wird auf drei verschiedene Ziele geschossen, nach vorne, nach hinten und zur Seite. Die Reitbahn ist 90 Meter lang. Der Wettkampf hat ein Zeitlimit von 16 bis 18 Sekunden. Die Zielscheiben sind in drei Bereiche geteilt, die je nach Schwierigkeit der Schüsse unterschiedlich hohe Punktzahlen ergeben. Der innere Kreis der Zielscheibe bringt natürlich die höchste Punktzahl. Bis heute finden nationale und internationale Wettkämpfe im Bogenschießen statt.
Compound vs. Recurve
Neben dem traditionellen ungarischen Bogen wird im „Kerecsen“ mit zwei weiteren Bogentypen gearbeitet: dem Compoundbogen und dem Recurvebogen. Der Compoundbogen besitzt am Bogenende drehbare Räder, welche die Bogensehne spannen. Diese Konstruktion stammt aus den 1960er Jahren. „Die Bögen sind die modernsten, die es gibt. Deshalb mag ich sie besonders“ erzählt Ludmány. Tatsächlich: Durch die exzentrische Aufhängung der bewegbaren Rollen verändern sich Angriffswinkel und Hebelwirkung. Der Bogen arbeitet so immer im effektivsten Bereich. Zudem ist der Compoundbogen mit einer mechanischen Lösehilfe zum Abschießen des Pfeils, einer Wasserwaage und einer Vergrößerung im Visier ausgestattet. Zudem liegt der Bogen besonders leicht in der Hand, wodurch Pfeile besonders präzise abgeschossen werden können.
Der Name des Recurve (englisch: zurückgebogen) stammt von der für den Bogen typischen Form: Die Bogenenden, die sogenannten Wurfarme, sind besonders stark gebogen und zeigen im entspannten Zustand von Schützen weg. Dieser Bogentyp stammt bereits aus dem sechsten Jahrtausend vor Christus. Auf Höhlenmalereien waren Jäger und Krieger mit dem Recurvebogen abgebildet. Dieser speichert mehr Energie in seinen Wurfarmen und hat daher einen höheren Wirkungsgrad. Durch die Bauweise kann der Recurvebogen weiter ausgezogen werden, was einen weicheren Auszug mit sich bringt, jedoch auch eine höhere Belastbarkeit des Materials fordert.
Der Schuss
Péter Ludmány hebt den zu Boden gefallenen Pfeil auf und reicht ihm den Schützen. dieser legt ihn abermals behutsam auf den Fingerknöcheln seiner linken Hand, die den Bogen immer noch mit festem Griff umfasst, ab. Noch einmal legt er die drei mittleren Finger seiner rechten Hand an die Bogensehne, ganz langsam und vorsichtig. Mit leichtem Druck … Am Ende der Halle steht eine, zu einer Burg zurecht geschnittene, Wand aus Schaumstoff. Nur einen winzigen Augenblick, nachdem er die Finger von der gespannten Sehne des Bogens gelöst hat, durchbohrt die Pfeilspitze die aufgestellte Wand am Ende des Raumes.
Im Allgemeinen unterscheiden sich die unterschiedlichen Bogentypen in einem entscheidenden Merkmal: der Geschwindigkeit des abgeschossenen Pfeils. Die Technik, mit der ein Bogen verwendet wird ist immer die Gleiche. „Ich liebe nicht die Bögen, sondern den fliegenden Pfeil“, lacht Ludmány. Heute produzierte Sportbögen bestehen aus Glasfaser und Holz und unterscheiden sich daher enorm von ihren Vorgängern aus reinem Holz. Die Bögen werden durch das Material belastbarer und leichter. Trotzdem ist das Bogenschießen kein Sport für jedermann. Zum einen muss der Geldbeutel stimmen: Im „Kerecsen“ kosten die Bögen, ohne weiteres Zubehör, zwischen 30.000 und 150.000 Forint. Außerdem müssen angehende Bogenschützen besondere Eigenschaften mitbringen. „Die Energie des Schützen überträgt sich auf den Pfeil“, erklärt Péter Ludmány. Freundlichkeit, Konzentration und innere Ruhe sind daher die wichtigsten Eigenschaften eines Bogenschützen. Talent dagegen spielt beim Schießen mit Pfeil und Bogen eine eher nebensächliche Rolle. „Klar ist Talent eine gute Voraussetzung“, erzählt der Trainer. „Aber das Talent zum Schießen allein reicht nicht aus.“ Willensstärke, Fleiß und der Wille, nicht aufzugeben, sind die maßgeblichen Merkmale eines Schützen. „Ich habe schon Leute getroffen, die nicht talentiert, aber fleißig waren. Diese waren am Ende die viel besseren Schützen.“
Shop und Trainingszentrum „Kerecsen“
Budapest, XIII. Bezirk,Visegrádi utca 26/b
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag zwischen 10 und 21 Uhr
Samstag zwischen 10 und 15 Uhr
Telefon: 06 1 2393793
Email: magyar.ijasz.kft@gmail.com
www.kerecsenijasz.hu