Entsetzt verfolge ich die Migranten, die durch Europa wandern. Für viele ist das Leben in Deutschland nicht befriedigend genug, deshalb ziehen sie nach Schweden weiter. Doch frage ich: Was ist denn das für eine Hausparty, zu der die Gäste ungeladen kommen und obendrein sofort einziehen wollen? Und wenn das jemand, etwa diejenigen, die dort wohnen, für keine gute Idee erachtet, wird er sofort als xenophober Faschist gebrandmarkt?
Ich habe kein Problem mit der Zuwanderung. Ich unterstütze es, dass wir verfolgte syrische Christen auch in Ungarn aufnehmen. Ich bin mir aber sicher, dass diejenigen Flüchtlingen, die in Frankfurt auf die Barrikaden steigen, um endlich nach Malmö gelassen zu werden, nie und nimmer ein Aufenthaltsrecht bekommen sollen. All das ist natürlich weder eine Entschuldigung für die Haltung der ungarischen Behörden noch für den schändlichen Zaun, der noch keinen einzigen lebenden Menschen aufgehalten hat, noch für die teilnahmslose, subhumane Vorgehensweise, in der die Flüchtlinge behandelt werden.
Mich beschleicht das Gefühl, dass Orbán bisher nicht eine Sekunde daran gedacht hat, die sogenannte Flüchtlingskrise zu lösen. Er will die Krise bloß verwalten und eine permanente Katastrophenstimmung aufrechterhalten. Der Albtraum Orwells ist eine kriegerische Regierung, die den Krieg im Grunde gar nicht gewinnen will, garantiert dies doch die Kontrolle über die Gesellschaft und die Legitimität des Regimes. Solange es also eine Flüchtlingskrise gibt, interessieren die staatlichen Agrarflächen (die privatisiert werden sollen; Anm.), die öffentlichen Ausschreibungen oder die Brokerskandale in Ungarn niemanden.
Ein korruptes spätkádársches Regime
Wen interessiert vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise schon das alltägliche Wirken des korrupten Orbánschen Staates? Doch gerade dieses korrupte spätkádársche System ist es, das die Regierung für einen humanen und effizienten Umgang mit der illegalen Zuwanderung ungeeignet macht.
Es ist ferner an der Zeit zu klären, dass das, was heute in Europa und Ungarn vor sich geht, ein Missbrauch des Asylrechts ist – die Aushöhlung eines wichtigen Wertes und einer wichtigen Institution. Diejenigen, die ihren Fuß nach Europa setzen, haben nicht Angst um ihr eigenes Leben, sondern riskieren es vielmehr in der Hoffnung auf bessere materielle Umstände. Wenn sie an der sicheren türkischen Küste ihre Familien in Boote setzen, um auf die stürmische See hinauszufahren, oder wenn sie in Ungarn in Kühllastwagen steigen, dann flüchten sie nicht vor dem Elend und den Schergen irgendwelcher Regime. Sie sind zwar verbittert und verzweifelt, aber keine politischen Flüchtlinge. Obwohl es auch davon viele gibt.
Wenn wir allerdings die Wirtschaftsmigranten tendenziös mit den politisch Verfolgten gleichsetzen, hat das nicht zur Folge, dass alle Wirtschaftsmigranten dieselben Rechte bekommen wie die politischen Flüchtlinge. Ganz im Gegenteil: Die politischen Flüchtlinge verlieren ihren Schutz und werden als Wirtschaftsmigranten betrachtet. Was eine Tragödie ist. Ebenso wie die gegenwärtige kopflose Migrationspolitik der Union, die immer neue Menschenmassen in die Klauen der Schlepperbanden und also in Lebensgefahr treibt.
Der Autor ist Kommentator. Der hier wiedergegebene Text erschien in der unabhängigen Wochenzeitung Nevem Senki.
Aus dem Ungarischen von Peter Bognar