Claudia Cardinale wurde am Wochenende auf dem Jameson CineFest in Miskolc der Ehrenpreis für ihr Lebenswerk verliehen. Mit Filmen wie „Spiel mir das Lied vom Tod“, „8 ½“, und „Der Leopard“ verzauberte und inspirierte sie die Kinobesucher. Dabei ließ sie sich nie in eine Schublade stecken: Ihre raue Stimme, ihr tiefes Lachen, ihre fahrigen Bewegungen – bis heute ist sie eine vielschichtige Persönlichkeit.
Sie trägt ein silbrig glitzerndes Oberteil zu einer eleganten Hose. Die gefärbten, auftoupierten Haare rahmen das etwas zu stark geschminkte Gesicht ein. Claudia Cardinale kann ihre 77 Jahre nicht verbergen – sie will es auch nicht. In dem Moment, in dem sie die Bühne betritt, erstrahlen ihre Augen, ihr Gang wird leicht und ihre Bewegungen wirken jugendlich. Neben überdimensionalen Blumensträußen überreicht man ihr den Ehrenpreis für ihr Lebenswerk. Sie bedankt sich, sie fühlt sich geehrt, sie liebt das Land und die Leute und kann es kaum erwarten, ihren großen Klassiker „Spiel mir das Lied vom Tod“ in digital restaurierter Version wieder zu sehen. Sie war damals 30 Jahre und auf dem Höhepunkt ihrer Karriere angelangt: die „göttliche CC“, das italienische Sexsymbol. Dabei wollte die „Wilde, Stumme, Schöne“ – wie sie in ihrer Kindheit in Tunesien genannt wurde – gar nicht beim Film landen. Die Budapester Zeitung trifft sie im Schlosshotel Lillafüred für ein Exklusiv-Interview. Claudia Cardinale über Marlon Brandos Liebesavancen, chaotische Dreharbeiten im Dschungel und schwierige Zeiten am Anfang ihrer Karriere.
Herzlichen Glückwunsch – Sie haben gestern den Jameson CineFest Ehrenpreis für Ihr Lebenswerk erhalten!
Ja, ich weiß gar nicht mehr, wohin mit all den Preisen!
Dabei haben Sie Ihr Lebenswerk noch lange nicht abgeschlossen, Sie drehen ununterbrochen. Gerade erst haben Sie zwei weitere Filme fertiggestellt.
Ja, in „All roads lead to Rome“ spiele ich neben Sarah Jessica Parker die zweite Hauptrolle. Und im Oktober fahre ich nach Bulgarien zur Premiere von „Twice upon a Time in the West“ von Boris Despodov.
Gehen wir ein wenig zurück. 2005 haben Sie Ihr Buch „Mes étoiles“ (Mein Paradies) veröffentlicht. Was war ihre Absicht?
Na ja, eigentlich wollte ich es gar nicht schreiben, man hat mich darum gebeten. Das Buch handelt von all den Menschen, denen ich begegnet bin. All die Schauspieler, all die Regisseure, all das war unglaublich. In dem Buch erzähle ich auch die Geschichte mit Marlon Brando, wie er an meine Tür geklopft hat…
…und Sie ihn weggeschickt haben…
Ja! Der erste Film, den ich damals in Tunesien gesehen habe, war mit Marlon Brando und Brigitte Bardot. Brando war mein Lieblingsschauspieler. Er hatte irgendwo gelesen, dass ich das gesagt habe. Als ich dann nach Los Angeles gezogen bin, hat er an meine Tür geklopft und alles versucht, um mich zu verführen. Nach einer Weile hat er angefangen zu lachen und gesagt: „Ok, du bist Widder wie ich“. Als ich die Tür hinter ihm zugemacht hatte, dachte ich mir: ich bin wirklich ein Idiot. (Sie lacht)
Marlon Brando, Alain Delon, Jean- Paul Belmondo… Haben Sie jemals bereut, all diese Männer weggeschickt zu haben?
Ich habe immer widerstanden, ich wollte nie mein Privatleben mit der Arbeit vermischen. Ich hatte einen Mann in meinem Leben – das reicht. Pasquale Squitieri, mit dem ich zehn Filme gemacht habe und seit vierzig Jahren glücklich zusammenlebe. Wir haben eine Tochter, Claudia. Ich wollte nie heiraten, aber sie heißt Claudia Squitieri, als wären wir doch verheiratet!
Sie waren doch zwischen 1966 und 1975 mit Franco Cristaldi verheiratet?
Nein, nein, nein… Er hat in den USA eine Hochzeit organisiert, ohne dass ich etwas davon wusste. Als ich wieder in Italien war, habe ich die Hochzeit aufgelöst.
Cristaldi muss ein sehr eigenwilliger Mensch gewesen sein.
Er war ein sehr großer Produzent. Er war Präsident der Internationalen Föderation der Produzenten. Mit ihm habe ich großartige Filme gemacht. Er war ein einzigartiger Mensch, sehr gebildet – aber ich wollte nicht heiraten.
Sie haben einen für Sie nicht sehr vorteilhaften Vertag mit seiner Produktionsfirma Vides unterschreiben müssen.
Ja, es war ein bisschen wie ein amerikanischer Vertrag. Sie haben mich wie eine Angestellte bezahlt, monatlich. Dabei habe ich vier Filme im Jahr gemacht und sehr wenig Geld bekommen.
Sie haben diesen Vertrag unterschrieben, weil Sie wussten, dass Sie schwanger sind. Eine ungewollte Schwangerschaft aus einer furchtbaren Beziehung hat zu Ihrer Karriere geführt.
Ja, das war der Grund, dass ich angefangen habe, Filme zu machen. Ich wollte eigentlich gar nicht. Ich habe zugesagt, weil ich unabhängig sein wollte. Zu der Zeit war meine Schwangerschaft ein Skandal; ich war sehr jung, ich durfte mit niemanden darüber reden. Alle mussten denken, es sei das Kind meiner Mutter. Nur meine Mutter und meine Schwester wussten Bescheid. Das Kind heißt übrigens Patrick, weil es in London geboren wurde und in der St. Patrick’s Cathedral getauft wurde.
Es ist bemerkenswert, wie Sie immer auf Ihre Selbstständigkeit geachtet haben – und auf ihre Persönlichkeit. Sie haben Alles und Alle abgelehnt, die Sie zum Objekt machen wollten.
Ja, ich habe mich auch immer geweigert, mich in den Filmen auszuziehen. Ich wollte nie meinen Körper verkaufen. Das mag ich nicht. Es gibt so viele, die sich ausziehen, ich nicht. Ich glaube, es ist viel erotischer, wenn man ahnt, statt zu sehen.
Wie in „Spiel mir das Lied vom Tod“.
Eben, man sieht nur meinen Rücken. (sie lacht)
Es gibt eine Anekdote von dem Dreh dieser Szene mit Henry Fonda.
Ja, das war fürchterlich. Wir haben die Liebesszene in Cinecittà gedreht. Die Frau von Henry war direkt neben der Kamera und hat mich die ganze Zeit beobachtet. Er war ja ein Cowboy, er durfte mich nicht küssen oder so. Seine Frau war sehr eifersüchtig, sie hat mich die ganze Zeit angesehen. Mamma Mia!
Wenn wir schon bei den Männern sind: Marcello Mastroianni hat jahrzehntelang versucht, Sie von seiner Liebe zu überzeugen.
Und ich bin nie darauf hereingefallen. Es ist schon unglaublich. Einmal, er lebte schon in Paris mit Catherine Deneuve zusammen, hat man eine ganze TV-Sendung über ihn gemacht. Der Regisseur der Sendung hat mich eingeladen und gemeint, ich solle eine Überraschung für ihn sein, wir haben ja so viele Filme gemeinsam gemacht. Die Sendung war live und als er mich sah, stand er auf und rief „Ich war in dich verliebt, und du hast mir nie geglaubt!“ Danach hat mich Catherine Deneuve jahrelang nicht angesehen.
Brigitte Bardot war in Ihrer Kindheit Ihr Idol…
Ja! Die schönste aller Frauen.
…und dann haben Sie „Petroleum-Miezen“(1971) mit ihr gedreht. Wie war das?
Es war einzigartig! Als wir diesen Film gemacht haben, waren alle Paparazzi am Set versammelt. Die waren alle überzeugt, dass wir uns umbringen werden. BB vs. CC! Die Blonde gegen die Brünette! Aber wir sind gute Freunde geworden. Sie hat mir Jahre später einen wunderschönen Brief geschrieben: „An meine geliebte Petroleum-Mieze…“
Es war eine eher seichte Western-Komödie. Sie haben aber auch mit den größten Schwergewichten des europäischen Kinos zusammengearbeitet.
Luchino Visconti, Federico Fellini…
Gerade mit diesen zwei Regisseuren haben Sie in 1962 sogar parallel gedreht („8 ½“ und „Der Leopard“). Dabei arbeiteten die beiden auf sehr unterschiedliche Weisen.
Ja, mit Visconti war es, als hätte man Theater gemacht, alles war so präzise. Bei Fellini gab es nicht einmal ein Drehbuch, alles wurde improvisiert, die Stimmung war wie im Zirkus!
Und Werner Herzog? Erzählen Sie unseren deutschsprachigen Lesern etwas von Herzog und Kinski und vom Dreh zu Fitzcarraldo (1982).
Das war großartig! Fitzcarraldo im Urwald am Amazonas. Das war das schönste Abenteuer meines Lebens.
War es beizeiten nicht sehr schwierig?
Ich mag es, wenn es schwierig ist! Aber bei diesem Film gab es tatsächlich ernsthafte Probleme. Einige Mitglieder der Crew sind im Irrenhaus gelandet, weil… Sagen wir, die Natur war dort so stark dass es viele nicht ausgehalten haben.
Sie hatten öfter Rollen, die Ihnen auch privat nahe gingen, wie die Rolle der Aida in Valerio Zurlinis „Das Mädchen mit dem Koffer“ (1961). Sie spielten eine Nachtclub-Sängerin und junge Mutter, die sich durchs Leben schlägt. Eine Situation, die Ihnen nicht ganz unbekannt gewesen sein dürfte.
Ja, man muss innerlich sehr stark sein. Du musst jemand anderes sein vor der Kamera. Und nach dem Dreh wieder du selber. Es hat aber auch seine Vorteile. Ich lebe gerne mehrere Leben. Statt einem einzigen hatte ich hunderte!