Eine Stadt, eine Woche, 15 Fotografen. Sie schwärmen durch Budapest, um das wahre Gesicht unserer Stadt zu entdecken und festzuhalten. Das Ergebnis ist ein umfassendes und zugleich detailverliebtes Panorama. Und man soll von den Fotos der Profis lernen können, wie man selber besser fotografiert. Wir haben sie auf ihrer Expedition einen Tag lang begleitet.
Stefan Heinze steht auf der Kettenbrücke und wartet. Auf das richtige Licht. Die richtigen Leute. An genau dem richtigen Ort. Er wartet auf das perfekte Foto. Warten kann anstrengend sein. Aber dazu ist er hier. Heinze ist in Deutschland Journalist und Fotojournalist. Und er ist Landmarker.
„Landmarker“, das ist ein lockerer Zusammenschluss von semiprofessionellen und professionellen Fotografen, die sich regelmäßig treffen um Reisefotografie zu machen. Dabei geht es ihnen nicht nur um Stadtansichten in außergewöhnlich schönem Licht, sondern immer auch um die Menschen und eine journalistische Sicht auf den jeweiligen Ort und das Geschehen. Aber eben auch um die klassischen Sehenswürdigkeiten: Parlament, Kathedrale, Burgberg, Kettenbrücke. Stefan Heinze war überall schon. Wie fotografiert ein Profi einen Ort, den jeder fotografiert?
„Die Stadt ist eine Bühne“, sagt Rolf Nobel. Nobel ist Fotojournalist und Professor für Fotografie in Hannover. „Und Budapest bietet ein Bühnenbild per excellence. Aber es ist leer ohne Menschen. Die Menschen die hier leben, die hier arbeiten oder hier zu Gast sind: das sind die Schauspieler. Und wir müssen warten, bis die Schauspieler die Bühne betreten und im richtigen Moment abdrücken.“ Und diese Szenen ergäben sich eher selten vor den touristischen Highlights, sondern viel öfter auf den Wegen dazwischen oder abseits davon. Sie, so Nobel, zeigen den Charme und das Leben einer Stadt viel mehr. Wichtig sei hier ein offener Blick und Neugier, zum Beispiel Hinterhöfe zu erkunden.
Weil die Landmarker so viele sind, können sie in kurzer Zeit viel von der Stadt entdecken. Sie haben vorher ausgiebig recherchiert und Kontakte geknüpft mit Menschen vor Ort. Jeden Morgen teilen sie die noch zu besuchenden Orte unter sich auf, um ein möglichst umfassendes Panorama zu schaffen. „Aber natürlich rennen wir nicht einfach los und knipsen unseren Laufzettel ab“, so Nobel. „Viel wichtiger als das richtige Motiv ist letztlich der richtige Moment.“ Und für den braucht man eben – Geduld. Und Zeit. Genau diese Zeit und diese Geduld fehle den meisten Fotografen, sagt Nobel. Vor allem solchen, die für die Presse arbeiten. Die Landmarker bringen aber genau das mit. Das ermöglicht ihnen außergewöhnliche Bilder.
Nobel hat die Gruppe vor fast 10 Jahren mit ins Leben gerufen. Jedes Jahr besuchen sie mit maximal 15 Fotografen eine Stadt. Über die Jahre ist das Niveau immer weiter gestiegen. 2014 gab es die erste Ausstellung. Im Oktober erscheint erstmals ein Buch im Verlag Morisel: „Mit der Kamera in: Istanbul“. Es soll das erste einer ganzen Reihe von Fotoreiseführern sein, die nicht nur tolle Fotos bieten, sondern zur Nachahmung anstiften wollen. Und ganz konkrete Tipps geben, wie man selber richtig gute Fotos macht: mögliche Tageszeiten, Standorte, Perspektiven, aber auch, wo man z.B. Genehmigungen braucht und wie man diese bekommt. Es soll ein Buch sein für „Menschen, die leidenschaftlich fotografieren“ (Nobel) und sich intensiv auf die Stadt vorbereiten wollen, die sie als nächstes besuchen.
Man kann es immer besser machen
Wir treffen Rolf Nobel im Hotel Mercure, wo sich die Gruppe einquartiert hat. Hierher bringen die Landmarker die Ergebnisse ihrer Streifzüge, sichten, sortieren, bearbeiten und bewerten sie. Und dann bringen sie sie zu Nobel. „Er ist unser Guru“, sagt Stefan Heinze und lacht. Mit ihm, dem Professor für Fotografie, besprechen sie ihre Bilder. Bei einem Bild von Stefan Heinze ist eine Hand zu groß, die sich in Richtung Kamera bewegt. „Etwas weniger Weitwinkel, dafür eine höhere Brennweite, dann passiert sowas nicht“, kommentiert Nobel. Nächstes Bild. Nobel ist kritisch. Von 30 oder 40 Bildern, die unter den Hunderten eines Tages für ihn ausgewählt wurden, kommen meist nur zwei oder drei in die Auswahl für das Buch. „Von mir hat er einmal eine ganze Serie abgekanzelt, von der ich vorher total überzeugt war“, erzählt Gesine Pannhausen, die nach Heinze mit den Fotos dran ist. „Da musste ich schon schlucken.“ Die freie PR-Beraterin ist mit Mann und kleinem Sohn in Budapest. Es ist eine Station ihres Jahresurlaubs, den die Familie mit einem VW-Bus in Osteuropa verbringt. „Nach so einer Ansage schmeißt du entweder hin oder machst es besser. Also bin ich noch mal hin.“
Mit Gesine Pannhausen gehen wir am späten Nachmittag ins Szechenyi-Bad. Die Sonne geht gerade unter. Das Licht ist golden und schwer, dafür liegen manche Teile des Bads schon im Schatten. Leider auch der größte Teil der Wasserfläche. Es scheint, als seien wir ein paar Minuten zu spät gekommen. „Ach was“, winkt Pannhausen ab, „zu viel Licht kann auch hinderlich sein.“ Ob sie sich schon mal geärgert habe, weil sie eine gute Gelegenheit verpasst habe? „Nein, der Spaß steht für mich im Vordergrund. Und das Gruppenergebnis.“ Und wenn ein Motiv ihr doch keine Ruhe lasse, dann gehe sie eben noch einmal hin und mache das bessere Foto. Bei den Landmarkern gehe das, deswegen ist sie so gerne dabei.
Zwischen Reisefotografie und Journalismus
Später treffen wir im Budapester Ostbahnhof zufällig noch Wolfgang Noack. Auch er ein Landmarker. Gerade drängen sich hunderte Flüchtlinge vor einem Bahngleis, auf dem bald der Zug nach Wien abfahren soll. Dutzende Polizisten blockieren aber noch den Eingang zum Gleis. Noack ist auf eine Mauer geklettert um eine Übersicht zu haben, als wir ihn entdecken. Ob diese Fotos auch ins Buch kämen, fragen wir ihn. „Nein, eher nicht“, antwortet Noack. Natürlich seien sie immer auch Journalisten, wenn sie eine Stadt besuchen. Aber das Buch solle als Fotoreiseführer möglichst zeitlos sein. Es ist unwahrscheinlich, dass man in einem Jahr, wenn das Buch erscheint, diese Szene nochmals so fotografieren könnte. Dann steht vielleicht ein ganz anderes Land im Brennpunkt. „Aber jetzt muss ich sie eben doch fotografieren“, so Noack.
Sie gehört zu Budapest. Zumindest im Moment.
Informationen zum Fotoreiseführer „Mit der Kamera in: Istanbul“ und bald erste Ergebnisse der Landmarker-Reise nach Budapest gibt es unter www.landmarker.de