Beim Parlamentariergespräch der Konrad-Adenauer-Stiftung sollte es zum Ende des „deutsch-ungarischen Freundschaftsjahres“ um „gemeinsame Herausforderungen und Perspektiven der bilateralen sowie europäischen Zusammenarbeit“ gehen. Aus aktuellem Ansatz – am Tag der Konferenz trat das neue Asylgesetz in Kraft – ging es dann speziell um die Flüchtlingskrise.
Am 11. September vor 26 Jahren öffnete Ungarn seine West-Grenze für DDR-Bürger. Das Parlamentariergespräch war wohl mit Blick auf dieses Datum angesetzt worden. Noch zu einem Zeitpunkt, als noch niemand ahnen konnte, was für ein brisantes Themen am Tag der Podiumsdiskussion die Nachrichten bestimmen würde. Moderator Jan Mainka, Chefredakteur der Budapester Zeitung, gratulierte dementsprechend den Veranstaltern von der KAS als erstes augenzwinkernd für das „perfekte Timing“. Denn just am Veranstaltungstag um 0 Uhr trat das neue ungarische Asylgesetz in Kraft, eine weitere Antwort der ungarischen Regierung auf die Flüchtlingskrise, welche die Beziehungen zwischen Deutschland und Ungarn seit Monaten sehr belastet.
Eingeladen zum Gespräch waren Michael Stübgen, Vorsitzender der deutsch-ungarischen Parlamentariergruppe im Deutschen Bundestag, und Gergely Gulyás, Vizepräsident des ungarischen Parlaments und stellvertretender Vorsitzender der ungarischen-deutschen Parlamentariergruppe. Gulyás ist außerdem Vorsitzender des Gesetzgebungsausschuss und war auch maßgeblich an der Erstellung des neuen Gesetzes beteiligt. Insofern war es wenig überraschend, dass dieses Thema im ersten Teil des Abends breiten Raum einnahm.
Gulyás: „Serbien ist ein sicheres Land“
Zunächst wollte der Moderator von Gulyás wissen, wie man als syrischer Flüchtling unter dem neuen Gesetz legal nach Ungarn einreisen könne. Der Fidesz-Spitzenpolitiker erklärt, dass man in einer Transitzone an der ungarischen Grenze einen Asylantrag stellen könne. Dort werde man mit Unterkunft, Essen und Kleidung versorgt, während man auf den Bescheid warte. Natürlich sei vorausgesetzt, dass man voll kooperiere und auch die Fingerabdrücke abgebe, wie das bei der Einreise in viele Länder, wie zum Beispiel die USA, ja auch üblich sei.
Mainka hakt nach: Ob es nach dem neuen Gesetz aber nicht so sei, dass man bereits in Serbien einen Asylantrag gestellt haben müsse, um in Ungarn eine Chance auf Asyl zu haben? „Im Kern entspricht das der Wahrheit“ bestätigt Gulyás. Serbien sei ein sicheres Land und eine Demokratie. Sogar EU-Beitrittskandidat. Was für einen Grund außer den besseren Lebensbedingungen in Deutschland oder anderen EU-Ländern gebe es für Flüchtlinge, dort nicht bleiben zu wollen? „Es gibt aber kein Recht, sich ein Land auszusuchen in das man fliehen möchte. Wie soll das gehen?“
Wer aber nur auf Grund von besseren Lebensbedingungen in die EU einwandern wolle, habe keinen Anspruch auf Asyl. „Wenn wir die Botschaft schicken, dass wir sie alle trotzdem aufnehmen, werden wir bald Millionen an unseren Grenzen haben.“ Denn anderswo sei der Kontrast zu den Lebensbedingungen in der EU noch viel größer. In Afrika würden immer noch jeden Tag tausende Menschen an Hunger sterben. Das Asylrecht sei aber nicht für sie alle gedacht. Deshalb rate er allen Flüchtlingen, die keinen abgelehnten Asylbescheid der serbischen Behörden vorweisen könnten, vor der ungarischen Grenze umzukehren. Er sehe kaum eine Chance, dass sonst ihrem Asylantrag stattgegeben werde. Zumindest sei es mit einem abgelehnten serbischen Asylantrag in der Hand einfacher, den ungarischen Behörden beim Asylverfahren den Fakt der serbischen Ablehnung zu beweisen. Wer aber in Ungarn schließlich dennoch abgelehnt werde, könne seine Ablehnung anfechten und von einem ungarischen Gericht überprüfen lassen.
„Ungarn erfüllt die europäischen Verträge“
Gulyás betonte, dass Ungarn damit die geltenden Verträge und Abkommen umsetze, welche die EU-und die Schengen-Länder getroffen hätten. Anders als Griechenland oder Italien hätte man sich stets und bis zuletzt daran gehalten, indem man sich bemüht habe, alle Flüchtlinge zu registrieren und unterzubringen an Orten, an denen sie den Ausgang ihres Verfahrens abwarten könnten. Jeder illegale Grenzübertritt verletze sowohl die ungarische Souveränität als auch das Schengener Abkommen. „Wir sind sogar stolz, mit dem neuen Gesetz den Anschluss an die europäischen Regelungen geschafft zu haben, und dass nun ein illegaler Grenzübertritt als Straftat gewertet wird.“ Man sei sich unter den EU-Außenministern auch einig, dass die Außengrenzen vor massenhafter unkontrollierter Einwanderung geschützt werden müssten. Wenn jemand eine bessere Alternative zu einem Zaun kenne, so möge er vortreten und sprechen. Zumindest die ungarische Regierung habe keine gefunden.
Stübgen stimmt mit Gulyás darin überein, dass der Zaun eine folgerichtige Umsetzung des Dubliner Abkommens sei. „Man kann ja unterschiedlicher Meinung sein, was diesen Zaun betrifft, aber es geht gar nicht, so zu tun als sei der Zaunbau ein Bruch von Dublin, wobei das Gegenteil der Fall ist.“ Stübgen wies weiterhin darauf hin, dass Ungarn mit dieser Haltung eigentlich eine Rolle übernommen habe, die sonst Deutschland für sich in Anspruch genommen hat: nämlich auf die geltenden rechtlichen Grundlagen hinzuweisen. Auch da, wo sie nicht gut funktionieren. „Und da kriegen wir normalerweise keinen Beifall für.“ Jetzt sei Ungarn in dieser Rolle, und in der Tat müsse man einsehen, dass die Art und Weise, wie das Problem bisher in der EU angepackt werde, keinen rechten Sinn mache. Dazu hätte eine Kette von Versäumnissen bei der europäischen Kommission geführt. Vor allem sei das Dublin-Abkommen nur zu zwei Dritteln verhandelt worden. Natürlich hätte man damals schon absehen können, dass die Regeln für Flüchtlingswellen unzureichend seien – aber man habe über das Verfahren schlicht keine Einigung erzielt. Dafür erhalte man nun die Quittung.
Deswegen, so Stübgen weiter, dürfe man erst Recht die Erstzutrittsländer bei der Bewältigung der Krise nicht alleine lassen. Es müssten schnell neue, grundlegende und sinnvolle Regeln her. Denn auch wenn die ungarische Grenze jetzt zu sei und damit der Zustrom erst einmal gestoppt, werde es nicht lange dauern, bis sich der Flüchtlingsstrom neue Routen gesucht habe, dann über Kroatien oder Rumänien oder woher auch immer.
Auch Gulyás machte sich keine Illusionen, dass man mit dem Zaun die Flüchtlingskrise gelöst habe. „Aber hier bei uns können wir das Problem überhaupt nicht lösen.“ Dazu müsse man das Problem an der Wurzel packen, indem die Gründe beseitigt werden, aus denen Menschen sich auf den Weg in die EU machen. Dies sei Aufgabe der gesamten EU und dafür müsse natürlich auch Geld in die Hand genommen werden. Ungarn sei bereit, dazu beizutragen, beispielsweise menschenwürdige Zustände in türkischen Lagern herzustellen oder auch andere Länder zu unterstützen, in denen Kriegsflüchtlinge Schutz gefunden hätten. „Alle werden wir nämlich nicht aufnehmen können. Das geht nicht“, so Gulyás. Und über Quoten werde man erst reden, wenn wieder eine vernünftige Übereinkunft darüber bestehe, wer überhaupt aufgenommen werden solle. Die ungarische Regierung werde keine Katze im Sack kaufen. Das tue sie aber, so lange einzelne Länder wie Deutschland massenhaft Einwanderer unkontrolliert zu sich einladen würden.
Stübgen erklärt daraufhin die Entscheidung der deutschen Regierung, die Grenzen für die Flüchtlinge aus Ungarn zu öffnen, so, dass man damit Druck aus der Situation in Ungarn habe herausnehmen wollen. „Das hat nicht wirklich funktioniert“ gibt Stübgen zu. Denn daraufhin setzten sich noch viel mehr Flüchtlinge in Bewegung nach Ungarn.
Die Abstimmung untereinander muss besser werden
Schließlich wollte der Moderator noch wissen, ob die deutsche Grenzöffnung vom 4. September denn in irgendeiner Weise mit der ungarischen Regierung abgesprochen gewesen sei. Weder Gulyás noch Stübgen war davon etwas bekannt. Stübgen hat sowohl von der Grenzöffnung wie auch von der Einführung der Kontrollen nur aus dem Ticker erfahren. Dass in Krisensituationen die Abstimmung nicht gut ist, kann er verstehen – kritisieren müsse er es trotzdem. Es ist die wichtigste Erkenntnis des Abends, dass hier dringender Nachholbedarf besteht. Auch Deutschland und Ungarn sollten wieder enger zusammenarbeiten. „Vor 26 Jahren habe dies schließlich schon einmal ausgezeichnet funktioniert“, erinnerte der Moderator und schloss damit eine Klammer zum eigentlichen Hintergrund der Veranstaltung.
Dass die deutsche Delegation sich im Anschluss an die Veranstaltung mit dem ungarischen Sozialminister Zoltán Balog zum Abendessen traf, darf als guter Anfang betrachtet werden. Immerhin.