Gulag – diese fünf Buchstaben haben im 20. Jahrhundert traurige Berühmtheit erhalten. Die Abkürzung steht im bürokratischen Duktus der Sowjetunion für „Hauptverwaltung der Besserungsarbeitslager und -kolonien“. In einem immer noch vernachlässigten Kapitel der europäischen, im Besonderen auch der ungarischen Geschichte, wurden während der kommunistischen Herrschaft Millionen von Menschen aus den Ostblockstaaten in die sowjetische Gefangenschaft deportiert.
Im Zuge des ihnen gewidmeten Gedenkjahres erinnert das Haus des Terrors 70 Jahre nach der massenhaften Deportation ungarischer Zivilisten am Ende des Zweiten Weltkriegs mit einer bilingualen Ausstellung unter dem Titel „Verurteilt zum Schicksal eines Sklaven“ der Verschleppten. Auf der Andrássy út entführen die Tafeln den Vorbeiflanierenden in die Zeit der sowjetischen Besatzung und führen eindringlich das harte Schicksal der Verschleppten vor Augen.
Neben Soldaten gerieten in Ungarn vor allem auch politische Gegner sowie eine hohe Zahl an Zivilisten in die Lager. Das neue Regime warf im Kollektiv allen Deutschen, die auf dem Gebiet der besetzten Staaten lebten, Kollaboration mit den Nationalsozialisten vor. Auch Ungarn deutscher Herkunft oder mit deutschen Familiennamen wurden dabei zur Strafe in die Sowjetunion deportiert; um Quoten zu erfüllen, nahm man es mit der Nationalität nicht so genau. Dort mussten die Deportierten etwa in Kohleminen oder beim Bau von Eisenbahnen und Kraftwerken die Industrialisierung der Sowjetunion vorantreiben. Insgesamt 600.000 ungarische Zivilisten wurden so während des Zweiten Weltkriegs in die Sowjetunion deportiert – angesichts der ungarischen Bevölkerung von damals etwa zehn Millionen eine erschreckende Zahl. 300.000 kehrten nie zurück, sie starben in Gefangenschaft. „Wir waren keine Menschen, sondern Ersatz für Maschinen“, lässt die Ausstellung einem ungarischen Gefangenen zu Wort kommen.
In den Beschreibungen des Lagerlebens kommt vor allem das Ausmaß des Mangels im Leben der Gefangenen zutage: Der Alltag wird von Hunger beherrscht, Gefangene magern auf dreißig Kilogramm ab, essen das Futter für die Schweine im Lager, um satt zu werden. Unerfüllbare Arbeitsnormen fordern ihren Tribut. Skorbut, Typhus und andere Krankheiten grassieren in den Baracken und entkräften die körperlich Geschwächten zusätzlich.
Eingerahmt werden die historischen Fakten und Erinnerungen der Gefangenen durch Fotos, auf denen durch das Lagertor der Blick auf karge Baracken vor der Kulisse der einsamen Landschaft fällt, Bilder von ausgezehrten Gesichtern, Zeichnungen, mit denen Gefangene das Lagerleben darstellten und Erinnerungsstücke, wie in die Heimat mitgebrachte Löffel. Daneben stehen Zitate etwa des russischen Schriftstellers Alexander Solschenizyn, welcher mit seinem Roman „Archipel Gulag“ 1973 die Zustände in den Zwangsarbeitslagern im Westen einer großen Öffentlichkeit bekannt machte. Auf Karten wird die Verteilung der Gefangenen in Lagern auf dem Gebiet der Sowjetunion deutlich gemacht, vom Ural über Kasachstan bis nach Sibirien ziehen sich die Endstationen der Verschleppten.
Nach Josef Stalins Tod konnten die meisten Gefangenen zurückkehren, doch mussten sie im kommunistischen Ungarn über ihre Erfahrungen in Gefangenschaft schweigen. Auch deshalb ist es ein Anliegen der Ausstellung, ihre Schicksale in Erinnerung zu rufen. Dabei vertritt das Haus des Terrors einen klaren Standpunkt und verweigert sich bewusst einer rein berichtenden Neutralität: Sichtbar ist das Anliegen, die Verbrechen des Sowjetregimes anzuklagen und ein auch heute noch hinsichtlich seiner historischen Aufarbeitung vernachlässigtes Thema in die Öffentlichkeit zu rücken. Eine Tafel benennt unter der eindeutigen Überschrift „Täter“ politische Verantwortliche von Josef Stalin und Nikita Chruschtschow zum Sowjet-Geheimdienstchef Lawrenti Beria. Angesichts der dargestellten Zustände zynisch anmutende Zitate machen deutlich, wie die sowjetischen Verbrechen von westlichen Anhängern des Kommunismus geleugnet und heruntergespielt wurden. Wenn in den Worten des französischen Journalisten Pierre Daix sowjetische Umerziehungslager als „das ultimative Ende der Ausbeutung von Menschen durch andere Menschen“ erscheinen, könnte der Kontrast zu den dargestellten Lebensbedingungen in den Lagern nicht größer sein.
„Gulag bedeutet Sowjetherrschaft“
Aber auch die Verschleppten, vom ungarischen Premier István Bethlen, der 1945 verschleppt wurde, und in sowjetischer Gefangenschaft starb, bis zu einfachen Zivilisten werden in den Fokus gerückt. Eine eigene Tafel ist András Toma gewidmet, dem letzten ungarischen Rückkehrer aus der Kriegsgefangenschaft: Aus seiner Unterbringung in einer psychischen Klinik konnte er erst im Jahr 2000 in seine Heimat zurückkehren.
Die übergreifende Botschaft, die das Haus des Terrors vermitteln möchte: Die Zwangsarbeitslager waren ein integraler Teil des sowjetischen Systems, „Gulag bedeutet Sowjetherrschaft“ zitiert eine Tafel die Historiker Joël Kotek und Pierre Rigoulot. Gerade in Zeiten, in denen in Russland der Nationalismus erstarkt und die Sowjetunion als glorreiche Vergangenheit stilisiert wird, erscheint es wichtig, die Gräuel des kommunistischen Regimes in Erinnerung zu rufen. Auch wenn die Darstellung der Lagerverhältnisse in dieser Kürze zwangsläufig an der Oberfläche bleiben muss, die Mechanismen, die hinter dem gigantischen Zwangsarbeitssystem stecken, eine tiefgehende historische Betrachtung verdienen, so gelingt es der Ausstellung, dem Interessierten auf eindringliche Art einen Einblick in den „Archipel Gulag“ und das Leben seiner ungarischen Insassen zu geben.
Die Ausstellung „Rabszolgasorsra ítélve – Doomed to the life of slaves“ ist noch bis zum 30. Oktober vor dem Haus des Terrors an der Andrássy út 60 zu sehen.