In das Jahr 2015 ging die ungarische Wirtschaft mit großem Schwung. Die Regierung war optimistisch, diese Dynamik aufrechterhalten zu können, Skeptiker sehen weiterhin keine Nachhaltigkeit in den Prozessen. Wo steht das Land zur Jahresmitte?
Die aktuellste Wachstumszahl zeigt für das I. Quartal ein Plus von 3,5 Prozent. Das ist zwar weniger als auf dem Höhepunkt der seit 2013 anhaltenden Konjunkturphase im Frühling des Vorjahres zustande kam (da kratzte die Wirtschaft kurzzeitig an der 4-Prozent-Marke), aber doch wieder mehr, als im Herbst/Winter fabriziert wurde. Diese Leistung ist schon deshalb nicht zu verachten, weil die Weltkonjunktur laut IWF stagniert, während der Dreiviertelpartner EU Anfang 2005 durchschnittlich zu zwei Prozentpunkten weniger Wachstum imstande war.
Getragen wird das ungarische Wachstum wie „üblich“ durch die Ausfuhren: Im Zeitraum Januar-Mai wurden Güter im Gesamtvolumen von 27,2 Mrd. Euro exportiert, wieder sieben Prozent mehr als vor einem Jahr um diese Zeit. Derweil verbesserte sich der Handelsüberschuss um knapp 750 Mio. auf 3,5 Mrd. Euro. Begünstigt wurde dies durch die Kursentwicklung des Forint, der im I. Halbjahr nur in der Parität zum Euro stagnierte, wohingegen die heimische Währung in der Dollarrelation um 23 Prozent (!) abwertete.
Die laufende Zahlungsbilanz wies nach Angaben der Ungarischen Nationalbank (MNB) schon im I. Quartal einen ungewöhnlich hohen Überschuss von 2 Mrd. Euro auf, nahezu 800 Mio. Euro mehr als Anfang 2014. Dabei musste die Wirtschaft wie im Vorjahr einen Kapitalabzug von unterm Strich 500 Mio. Euro verkraften. Freilich trug auch in diesen Monaten wieder ein positiver Saldo von 1,3 Mrd. Euro bei den EU-Transfers zur Stabilität der Kapitalbilanz bei.
Die Auslandsschulden summierten sich Ende März auf 92,5 Mrd. Euro – leider ist auf diesem Gebiet keine Entwarnung angebracht, denn der Zuwachs zum Vorjahr erreichte erneut drei Prozent. (Die deutlich niedrigere Nettoverschuldung der öffentlichen Hand legte im Jahresvergleich gar um ein Fünftel zu.) Zumindest der Staatshaushalt gilt unter der Orbán-Regierung als stabil, doch bewegt sich das Defizit zur Jahresmitte mit 823 Mrd. Forint auf einem Niveau, welches für das II. Halbjahr das Produzieren von Überschüssen verlangt. Dass der Währungsrat der Notenbank den Leitzins seit Jahresanfang in fünf Schritten weiter auf das neue historische Tief von 1,35 Prozent kappte, erleichtert natürlich die Refinanzierung der Schulden – für Diskontschatzbriefe beispielsweise sind die Erträge auf unter ein Prozent gepurzelt.
Welch schwerer Weg noch vor Ungarn liegt, zeigen die derzeit wieder intensiver geführten Debatten über die Rolle als verlängerte Werkbank Deutschlands. In diesem Zusammenhang kann auch jene OECD-Statistik keine Zuversicht streuen, wonach Ungarn das Land mit der höchsten Belastung (Steuern und Abgaben) auf dem Mindestlohn ist. Mit 35 Prozent werden ungarische Mindestlohnempfänger mit Abstand am heftigsten geschröpft; in Lettland (auf Platz 2 der Negativliste) sind es zum Vergleich 27 Prozent, in Polen und Deutschland jeweils 26 Prozent. Da sorgt auch die Senkung der Einkommensteuer um einen Prozentpunkt ab 2016 kaum für Abhilfe, denn auf diese 15 Prozent kommen noch 10 Prozent für die Rentenversicherung, insgesamt 7 Prozent für die Krankenkasse und 1,5 Prozent als Arbeitsmarktabgabe. In der Slowakei wird der Mindestlohn mit insgesamt 13 Prozent, in Tschechien gar nur mit 11 Prozent belastet – der ineffiziente ungarische Staat liegt wie Blei auf der Wettbewerbsfähigkeit des Landes.
Die Regierung forciert ausgerechnet die Entwicklung der Industrie, deren Anteil am Bruttoinlandsprodukt auf 30 Prozent gesteigert werden soll. Dabei zahlt deren Flaggschiff Automobilindustrie mit durchschnittlich rund 200.000 Forint netto nur ein Viertel über dem volkswirtschaftlichen Durchschnitt, und davon profitieren kaum mehr als 100.000 Arbeitnehmer, denn neben der Chemie produziert der Fahrzeugbau besonders intensiv. Chemie und die von der Regierung favorisierte Pharmazie sind aus dem Blickwinkel des Arbeitsmarktes marginal, das andere Steckenpferd Nahrungsmittelindustrie (wo die meisten Industrie-Arbeitnehmer in Lohn und Brot stehen) zahlt wiederum unter dem Durchschnitt.
Topliste der umsatzstärksten Unternehmen 2014
Mol und die Deutschen
Das Wirtschaftsmagazin Figyelő und die Wochenzeitung HVG wetteifern seit Jahren bei der Veröffentlichung der Toplisten der größten Unternehmen Ungarns. In der vergangenen Woche war es wieder soweit: Die nahezu identischen Listen des Jahres 2014 wurden präsentiert. Auf dem Siegerpodest das gewohnte Bild mit Mol, Audi Hungaria und GE-Holding.
Im Spitzenfeld der umsatzstärksten Unternehmen Ungarns gab es auch im Vorjahr kaum Veränderungen, nur dass die Mol-Gruppe unter den gedrückten Rohölpreisen zu leiden hatte, wohingegen die Audi Hungaria Motor Kft. nicht mehr „nur“ als größtes Motorenwerk der Welt glänzt (mit einem Ausstoß von annähernd zwei Millionen Aggregaten!), sondern auch das neue Automobilwerk in Győr zum ersten Mal ein komplettes Produktionsjahr beisteuern konnte. Mit dem Ergebnis, dass der Rückstand zum ungarischen Primus Mol von zuvor einem Drittel auf knapp die Hälfte verkürzt wurde. Der amerikanischen GE Holding wiederum könnte die staatliche Energieholding MVM auf den Leib rücken, die im Vorjahr die von E.ON übernommene ungarische Gassparte konsolidierte und ständig auf der Suche nach Akquisitionsmöglichkeiten im Energiesektor ist – ganz zu schweigen vom Großprojekt AKW Paks 2, das allmählich auf Touren kommen dürfte.
Von 7 auf 5 vorgerückt ist das Mercedes-Werk Kecskemét; ähnliche Wachstumssprünge wie in den bisherigen Jahren wird die zweite deutsche Premiummarke aber fortan kaum vorzulegen vermögen, nachdem man mit der Einführung der dritten Schicht ab Mai 2014 an die Kapazitätsgrenze gelangte. Die Bosch-Gruppe hat den 6. Platz im „Gesamtklassement“ verdient; ihre Flaggschiffe Robert Bosch Elektronika Kft. und Robert Bosch Energy and Body Systems Kft. belegen auf der Creditreform-Liste der HVG gesondert die Plätze 13 und 31.
In der TOP10 dominieren deutsche Unternehmen; neben den drei großen Namen der Automobilindustrie ist deutsches Kapital tonangebend im Telekommunikations- und Energiesektor vertreten. Neben einer börsennotierten und einer staatlichen ungarischen Gesellschaft zählen amerikanische und asiatische Multis zu den größten Unternehmen im Lande.
Zu den ertragsstärksten Unternehmen gehören neben GE und Audi Hungaria einigermaßen bemerkenswert die Diskontfluggesellschaft Wizz Air und die Magyar Telekom, aber gleich drei Unternehmen der in Ungarn traditionell gut aufgestellten Pharmabranche (Teva, Sanofi-Aventis und Richter). Als größte Arbeitgeber präsentieren sich neben den Staatsbetrieben Post und MÁV (Eisenbahn-Transport) der Bankenprimus OTP sowie bereits auf Platz 6 die Handelskette Spar (wo bleiben Tesco, CBA & Co.?). Unter den TOP50 sind weitere deutsche Unternehmen insbesondere in den Branchen Handel, Energiesektor und Automobilindustrie platziert, wie z. B. Lidl (27.), Elmű (35.) und Continental (36.) oder LuK Savaria (38.).
Anmerkung: Der einzige Unterschied in den TOP10-Listen der beiden Publikationen ergab sich daraus, dass die Bosch-Gruppe einmal als Ganzes und einmal nach ihren Einzelunternehmen aufgeführt wurde. In letzterem Fall reichte es für Bosch nicht in die Top10, von Samsung bis Flextronics rückten alle Gesellschaften einen Platz auf und Magyar Suzuki belegte mit 485 Mrd. Forint Umsatz den 10. Platz.
Die Skeptiker sehen keine Nachhaltigkeit in den Prozessen-seit wie vielen Jahren schon?
Sind das nicht die selben Fachleute, die bei der Wirtschaftskrise von 2007/8 und beim Einbruch der Eurokrise aus allen Wolken gefallen sind?
Ungarns unorthodoxe Wirtschaftspolitik hat das Land stabilisiert, während zB die auf Orthodoxie eingeschworenen Slowenen rechtgläubig untergegangen sind.
Ungarn investiert in die Industrie? Hat Deutschland nicht deswegen seine führende Rolle in Europa behalten, weil es den Trend zur Entindustrialisierung nicht mitmachte?
So lange diese Experten nicht mit Ungarn zufrieden sind, bin ich beruhigt.