Ausländer, die sie erlernen wollen, fürchten sie; Sprachforscher wie Grimm und Ebersberg, aber auch Theatermacher George Bernard Shaw schwärmten von ihrer Regelhaftigkeit und Präzision. Im mitteleuropäischen Raum steht sie sprachhistorisch als Einzelgänger da: Die ungarische Sprache fasziniert und gibt gleichzeitig Rätsel auf. In dieser Reihe gehen wir einigen von ihnen auf den Grund.

Im 18. Jahrhundert suchte man händeringend nach ungarischen Worten
für die Errungenschaften der modernen Welt. Oft wurden dabei deutsche
Wörter spiegelbildlich ins Ungarische übertragen.
Manchmal hat man es als Deutschmuttersprachler einfach leichter im Ungarischunterricht. Während Spanier und Engländer, obwohl sie die ungarischen Wörter tükör (deutsch Spiegel) und tojás (deutsch Ei) kennen, noch rätseln, was verflixt noch mal ein tükörtojás sein könnte, stellt sich uns gar nicht die Frage. Aber warum fällt es deutschsprachigen Schülern eigentlich so einfach, ungarische zusammengesetzte Nomen zu verstehen?
Katalin Szloboda, Lehrerin an der Budapester Sprachschule der Sommeruniversität Debrecen, erklärt, dass es sich bei dem ungarischen Wort für Spiegelei um eine „Spiegelübersetzung“ handelt. Dies ist das spiegelbildliche Übertragen von Konstruktionen aus einer Sprache in eine andere. In diesem Falle vom Deutschen ins Ungarische – gerade die Sprache der Magyaren ist voll davon. Da wäre beispielsweise der pályaudvar (deutsch Bahnhof), der sich wortwörtlich aus dem Wort für Bahn und Hof zusammensetzt oder álláspont (Standpunkt). Und auch das Wort für Spiegelübersetzung selbst – tükörfordítás – ist eine Spiegelübersetzung. Sogar verbale Vorsilben und ganze phraseologische Konstruktionen stimmen Wort für Wort mit ihrem deutschen Pendant überein. So beißt man auch im Ungarischen „ins Gras“ – fűbe harapni – wenn man das Zeitliche segnet und schlägt Wurzeln – gyökeret ver – wenn man zu lange an einem Fleck steht.
Die Wurzeln des gespiegelten Wortschatz‘ (auch das ungarische Wort hierfür, szókincs, ist eine Spiegelübersetzung) reichen bis ins 18. Jahrhundert zurück, so Katalin Szloboda: „Damals regte sich in Ungarn nicht nur langsam ein nationales Bewusstsein, sondern auch der Anspruch auf eine besser entwickelte ungarische Sprache.“ Bis dahin sprach man in hoher Gesellschaft und vor allem in Politik, Wissenschaft und Kultur vornehmlich Deutsch. Für neue Erscheinungen, Erfindungen und die Ideen der „modernen” Welt hatten sich im Ungarischen kaum Begriffe herausgebildet. Da es den Magyaren jedoch nicht an Kreativität mangelte, wurde flugs eine Flut an neuen Wörtern erfunden, aber aus Gewohnheit eben auch viele Wörter eins zu eins aus dem Deutschen übertragen. Die Ungarn von damals mögen zwar keine Fans der Habsburger Monarchie gewesen sein, aber die Sprachökonomie der zusammengesetzten Hauptwörter, für die die deutsche Sprache berühmt ist, war ihnen wohl einfach ans Herz gewachsen.
Wen jetzt die Lust gepackt hat, die ungarische Sprache noch besser kennenzulernen, dem sei ein Blick auf den Kurskatalog der Budapester Sprachschule der Sommeruniversität Debrecen geraten – hier können Anfänger bis Fortgeschrittene in Gruppen- und Privatstunden alle Finessen des Ungarischen erlernen.
- Katrin Holtz
Budapester Sprachschule der Sommeruniversität Debrecen
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In Ungarn brauchte sich das nationale Bewusstseinim 18. Jh. nicht zu regen, da es schon da war, getragen von den Traditionen unseres Adels und der Kurucenaufstände. In Ungarn dominierten damals in Kultur und Administration Latein und Deutsch, aber dies hat mit dem Bewusstsein der, von den Habsburgern als starrsinnige Hunnen angesehenen, Ungarn wenig zu tun. Dass der Alte Fritz gerne Französisch sprach, die französische Kultur schätzte (das für die Sprachforschung wichtige Nibelungenlied konnte er nicht ausstehen!) hinderte ihn ja auch nicht daran, im Bewusstsein seines Preußentums gegen Frankreich Krieg zu führen.
Natürlich musste die sehr alte und konservative Sprache der Magyaren im 18. Jh. deutsche und französische Begriffe übernehmen, um sich der Neuzeit anzupassen-genauso so, wie die Engländer nach der Schlacht von Hastings zahlreiche französische Begriffe übernahmen. Zu einem „Sprachenkampf“ kam es erst im 19. Jh., als sich das „bäuerische“ Ungarisch als Kultursprache gegen Deutsch und Französisch durchsetzen musste. Allerdings hielt sich der ungarische Adel, der mit den europäischen Standesgenossen in Französisch und Deutsch kommunizierte, durchaus für Magyarisch.
Das städtische Bürgertum sprach deswegen Deutsch, weil es sich dabei häufig um Deutsche handelte.
Wer unsere Sprache lernen will, sollte die in Ungarn lebenden Chinesen nach ihrem Erfolgsrezept fragen. Nach meinen Erfahrungen lernen diese weiter schneller und besser Ungarisch, als die eingewanderten Europäer und Muslime.