In den vergangenen zwei Dekaden wurde viel erreicht in Bezug auf die Rechte und Anerkennung sexueller Minderheiten in der Welt. Für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, Transgender und Intersexuelle (LGBTQ) in den USA hat sich mit der Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe vor zwei Wochen sogar eine kleine Revolution ereignet. In Ungarn ist man davon noch weit entfernt. Darauf will unter anderem die kommende Budapest Pride-Demonstration aufmerksam machen. Mit ihrer 20-jährigen Geschichte blickt die Veranstaltung auf eine der längsten Traditionen der LGBTQ-Bewegung in Mittel- und Osteuropa zurück.
Laut Dominika Milanovich, Mitorganisatorin des Budapest Pride Festivals, sind sexuelle Minderheiten in Ungarn nach wie vor tagtäglichen Diskriminierungen ausgesetzt, müssen in Privat- sowie im Berufsleben mit erniedrigenden Vorurteilen kämpfen und sind weiterhin nicht vor dem Gesetz (in Bezug auf Ehe und Familie) gleichgestellt. Auch dem Bild, dass die ungarische Regierung versucht, im Ausland zu etablieren – nämlich dass sexuelle Minderheiten in Ungarn „friedlich und im Einklang“ mit dem Rest der Gesellschaft zusammenleben würden – könne Milanovich nicht zustimmen. Ihren Aussagen zufolge habe einer von drei Personen, die einer sexuellen Minderheit in Ungarn angehören, bereits Erfahrungen mit Ausgrenzung aufgrund ihrer sexuellen Orientierung machen müssen; viele würden sogar von ihrer Familie verstoßen.
Dass man in Ungarn nicht von einem friedlichen und gegenseitig wertschätzenden Zusammenleben sprechen kann, zeigen unter anderem Aussagen des Oberbürgermeisters István Tarlós im Vorfeld der Budapest Pride. So bezeichnete Tarlós den Umzug in einer Frühstückssendung im ungarischen Fernsehkanal TV2 als „unnatürlich und abstoßend“. Unterstützt vom Bezirksbürgermeister von Józsefváros. Máté Kocsis, forderte Tarlós ebenfalls, dass der Umzug nicht in der historischen Budapester Innenstadt stattfinden, sondern in die Außenbezirke der Stadt verlegt werden sollte. Von vielen Seiten erntete Tarlós, dessen Äußerungen die sexuellen Minderheiten, die für ihre Rechte demonstrieren, zu Bürgern zweiter Klasse degradierte, heftige Kritik. Vor diesem Hintergrund ist nur zu deutlich, dass auch 20 Jahre nach dem ersten Budapest Pride-Umzug 1995 das Event weder an Bedeutung noch Brisanz verloren hat. Dafür steht auch das Motto des diesjährigen Budapest Pride Festivals „Gestärkt durch 20 Jahre“.
Zahlreiche Kulturevents und Workshops
Schon lange steht Budapest Pride nicht mehr nur für den Protestmarsch allein. Dieser ist natürlich weiterhin wichtiger Bestandteil, doch mittlerweile ist die Budapest Pride zu einem über eine Woche andauernden Festival ausgewachsen: Dies begann offiziell mit der Eröffnungsparty am vergangenem Samstag und erreicht seinen Höhepunkt am 11. Juli mit dem traditionellen Umzug durch die Innenstadt. Insgesamt 60 Veranstaltungen in zehn Veranstaltungstagen sollen das gesamte Spektrum der Vielfalt der LGBTQ-Gemeinde abdecken. Darunter sind nicht nur Konzerte, Film- sowie Literaturabende, sondern auch Sportevents und Veranstaltungen für Familien. Auch Workshops mit Themen aus Politik, Gesellschaft und Wissenschaft unter dem Aspekt von Gender und Sexualität bereichern das abwechslungsreiche Programm.
Deutsche Botschaft unterstützt Pride
Wesentlich mehr als in den vergangenen Jahren erhält die Budapester Pride in diesem Jahr Unterstützung von internationalen politischen Institutionen. So haben 25 ausländische Botschaften in einem gemeinsam unterzeichneten offenen Brief der Budapest Pride ihre Unterstützung ausgesprochen. Das Dokument appelliert unter anderem an den ungarischen Staat, auch weiterhin die LGBTQ-Bewegung in ihren Bestrebungen zu unterstützen, „friedlich und auf legalem Wege“ auf die Anliegen von sexuellen Minderheiten aufmerksam zu machen. Zu den Unterzeichnern gehörten die Botschaft von Australien, Belgien, Brasilien, Kanada, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Israel, Italien, Litauen, Malta, Norwegen, Portugal, Slowenien, Spanien, Schweden, der Schweiz, den Niederlanden, Neuseeland, Österreich, dem Vereinigten Königreich sowie den Vereinigten Staaten. Natürlich nützt die Unterstützung auf dem Papier recht wenig und man darf hoffen, dass Vertreter der jeweiligen Botschaften auch Einladungen zu den diversen Veranstaltungen beziehungsweise dem eigentlichen Pride-Umzug nachkommen.
Andernfalls entpuppen sich die Bekundungen für Toleranz und Gleichberechtigung schnell als leere Fassade. So erging es beispielsweise Society-Sternchen und Ehefrau des Fraktionsvorsitzenden Antal Rogán, Cecília Rogán. Diese färbte nach der historischen Entscheidung des Supreme Courts in den Vereinigten Staaten, die gleichgeschlechtliche Ehe zu legalisieren, das Profilfoto ihres Facebook-Accounts in Regenbogenfarben. Eine Geste, die viele Nutzer der sozialen Plattform verwendeten, um der LGBTQ-Bewegung ihre Unterstützung und Empathie auszudrücken. Wer jedoch vermutet, dass dies auch damit gleichbedeutend ist, dass Frau Rogán dasselbe Anliegen auch in Ungarn unterstütze, liegt schmerzlich falsch. Eine persönliche Einladung zur Eröffnung des Budapest Pride Festivals lehnte Rogán mit der Begründung ab, dass sie sich „mit dem exhibitionistischen und bewusst provokanten Umzug nicht identifizieren könne.“
- Budapest Pride-Umzug am 11. Juli
Insbesondere im rechtskonservativen Umfeld wird der Umzug regelmäßig als Provokation empfunden: Seit es 2007 und 2008 zu gewaltsamen Ausschreitungen gegen friedliche Demonstranten der Budapest Pride kam, wird die Veranstaltung regelmäßig aus Sicherheitsgründen von der Polizei abgeschirmt. Trotzdem steigt die Zahl der Teilnehmer von Jahr zu Jahr, und auch am kommenden Samstag werden mehrere Tausend bunte Demonstranten erwartet. Anders als im vergangenen Jahr startet der Pride-Umzug in diesem Jahr nicht in der Nähe des ungarischen Parlaments auf der Alkotmány utca, um sich bis zum Heldenplatz fortzusetzen, sondern nimmt seinen Anfang auf der Andrássy út an der Ecke Nagymező utca. Von hier aus sollen sich die bunten Massen bis nach Buda in den ersten Bezirk schlängeln. Genaue Details zur Route des Umzuges werden kurz zuvor auf der Facebook- und Webseite der Veranstaltung bekanntgegeben. Nichtdemonstranten sollten an diesem Tag mit enormen Verkehrsbehinderungen in der Innenstadt nahe der Route des Umzugs rechnen. Mitmachen und mitlaufen kann übrigens jeder, der möchte – ganz egal welcher sexuellen Orientierung man angehört, wie alt man ist, woher man kommt oder ob man zum ersten oder schon zum 20. Mal dabei ist. Jeder ist willkommen.
Budapest Pride Festival
- bis 12. Juli 2015
Kontakt unter info@budapestpride.hu
www.facebook.com/budapestpride