Bora Bidik sitzt am Fenster des Krimó, draußen spazieren Touristen und Einheimische durch die Kazinczy utca. Mit der kleinen, zweigeschossigen Bar verbinden den 27-Jährigen viele Erinnerungen. Als er im September 2013 nach Budapest kam, verbrachte er hier vor allem viele Mittwoch- und Donnerstagabende, lauschte der Livemusik und genoss die Atmosphäre. In ebenjener Bar erzählt er der Budapester Zeitung fast zwei Jahre später, wie es ihn in die ungarische Hauptstadt verschlagen hat und was er seitdem im hiesigen Filmbusiness erlebt hat.
„Bora bedeutet im Türkischen ‚Wind‘“, erzählt der gebürtige Hannoveraner, dessen Eltern aus der Türkei stammen. Der Kameratechniker und freie Kranoperator selbst aber erzählt ruhig und bedacht, fast schon besonnen und nicht rau und schnell wie der Wind. Boras Genre ist der Film, sein Platz hinter der Kamera – zumeist an internationalen Filmsets in Budapest.
Um hier zu landen, musste Bora jedoch über 1.000 Kilometer aus dem fernen Hannover zurücklegen. Dort nämlich absolvierte er nach dem Abitur zunächst eine Ausbildung zum Mediengestalter Bild und Ton und machte sich dabei erstmals mit der Filmkamera vertraut. Die TV-Produktionsfirma, die Bora ausbildete, bearbeitete von der Bundesliga bis hin zum Konzert eine breite Palette an Themen und Formaten. Während der Ausbildung merkte Bora jedoch, dass nicht das Fernsehen, sondern der Film ihn fasziniert. So verschlug es ihn über einen Freund zu einer international tätigen, deutschen Firma, die selbst Kameras herstellt und verleiht. Bei dieser Firma absolvierte Bora ein halbes Jahr lang ein Praktikum in Köln, um Kontakte zu knüpfen und die Filmtechnik kennenzulernen. „In der Filmproduktion besitzt man in der Regel kein eigenes Equipment – man leiht es sich stattdessen“, erklärt Bora. „Denn die Technik ist so teuer und entwickelt sich ständig fort, da lohnt es einfach nicht, sich eigene Gerätschaften zu kaufen und diese mit zu den Drehs zu nehmen.”
„Ich dachte mir: Das kann spannend werden in Budapest“
Mit der in Deutschland gesammelten Filmerfahrung formte sich bei Bora das nächste Ziel: Auslandserfahrung zu sammeln. In der Europäischen Union gab es für den Hannoveraner zwei Optionen, um im Filmbusiness und speziell bei der Kameraverleihfirma zu arbeiten: London oder Budapest. Die Preise sprachen für Budapest, die schöne Stadt, die der 27-Jährige bereits auf einer 3-tägigen Durchreise kennenlernen konnte. „Ich dachte mir, das ist mal was Anderes, nichts Englisches – das kann spannend werden“, erzählt Bora.
So entschied er sich letztlich für die ungarische Hauptstadt, um hier sein Praktikum zu verlängern, dass ihm nach drei Monaten zunächst eine Festanstellung und dann viele Projekte durch Boras Freelancertum einbrachte: „Durch meinen Aufenthalt hier konnte ich das internationale Filmbusiness kennenlernen. Ungarn hat immerhin eine Tradition als beliebter Filmproduktionsstandort.“ Und das hat seinen Grund: 2008 nämlich wurden in Ungarn Steuervergünstigungen für internationale Filmproduktionen eingeführt. Hier gedrehte Filme erhalten eine Steuersubvention von 25 Prozent – für Ungarn eine kapitalgebende Kraft, die es so in Deutschland und Frankreich beispielsweise nicht gibt, wie Bora sagt.
„Dies ist vor allem für internationale Großproduktionen ein Vorteil, weil sich so längere Drehzeiten ergeben und auch das Personal günstig ist“, weiß Bora. Die Basis des Filmteams kommt zwar normalerweise aus dem entsprechenden Herkunftsland, doch Dienstleister und der Rest der Crew werden für gewöhnlich im Drehland angemietet. „Wobei ich es auch schon erlebt habe, dass das Catering einer internationalen Filmproduktion aus dem Herkunftsland mitgebracht wurde; so wichtig war dem Regisseur sein Essen“, sagt Bora schmunzelnd.
Budapest, die falsche Stadt
Ein weiterer Vorteil am Drehort Ungarn ist laut Bora, dass man hier viel nachstellen kann, was an den originären Orten viel teurer wäre: „Gerade hier in Budapest mit seiner tollen Architektur kann man fast jede andere europäische Stadt faken.” Dabei sieht der 27-Jährige gleichzeitig individuelle Seiten der Stadt, die selbst den meisten Budapestern nicht auffallen dürften: „Das Licht ist sehr speziell hier, es ist anders als in anderen Städten”, sagt Bora. „Es hat eine andere Temperatur, und es reflektiert auf eine besondere Art von den Gebäuden.“
Der erste Film, an dem Bora in Budapest mitarbeitete, war der US-amerikanischer Abenteuerfilm „Hercules“von Brett Ratner, der 2013 mit Dwayne Johnson in der Titelrolle gedreht wurde. An diesem Punkt war Bora zwar als Kameratechniker in einer wichtigen Position, physisch jedoch nur wenig am Filmset. Genau das aber ist es, was ihn reizt und antrieb, vom Kameratechniker zum Kranoperator umzusatteln: „In großen Produktionen werden oft Kamerakräne genutzt, aber es gibt wenige Leute, die diese bedienen können“, erklärt Bora den Beruf. „In dieser Position hat man direkten Kontakt mit den Kameraleuten und dem Director of Photography und hat auch auf die Bildgestaltung Einfluss.“ Da die Drehtechnik teuer sei, handle es sich um einen Nischenbereich. In Deutschland, so Bora, benutze man eher kleinere Geräte, bei internationalen Filmproduktionen aber sind Drehs mit Kränen recht beliebt. Ein Vorteil also für den Wahl-Budapester.
„Es war eine Ehre für mich, mit Ridley Scott zu arbeiten“
Auf die Frage, welche Filmproduktion Bora besonders in Erinnerung geblieben ist, fällt ihm sofort „The Martian“ vom britischen Regisseur Ridley Scott ein, der bei Filmerfolgen wie „Blade Runner“ (1982) und „Gladiator“ (2000) Regie führte. Der Science Fiction-Film wurde zwischen Dezember 2014 und Februar 2015 mit Hauptdarsteller Matt Damon in Budapest gedreht und soll diesen Herbst in die Kinos kommen. Auch hier arbeitete Bora als Kranoperator, wodurch er den Filmstars vor und hinter der Kamera sehr nah war. „Am Set verhält man sich natürlich ganz professionell, man rennt nicht hin und sagt, dass man ein riesiger Fan ist“, so Bora. Ohnehin seien Menschen wie Ridley Scott oder Matt Damon bei so einer Filmproduktion auch schlicht ein Teil vom Team: „Das sind keine Geister, sie sind Menschen wie du und ich. Aber es war selbstverständlich trotzdem eine Ehre für mich, mit Ridley Scott arbeiten zu dürfen“, sagt Bora lächelnd.
Einer von Boras Lieblingsfilmen ist „Good Fellas“ von Regisseur Martin Scorsese. Kamera führte hier der deutsche Michael Ballhaus, der kommenden August 80 Jahre alt wird. „Ballhaus ist auf jeden Fall eine Art Vorbild für mich. Er ist einer der größten Kameramänner überhaupt.” Doch auch die ungarische Kameramann-Legende Vilmos Zsigmond durfte Bora bereits treffen, als er am Budapester Teil der CNN-Serie „Parts Unknown“ mit dem US-amerikanischen Koch Anthony Bourdain mitwirkte. Eine „coole“ Erfahrung, wie Bora sagt – „besonders weil ich ja irgendwie selbst nur zu Besuch in Budapest bin, so wie Bourdain es war.“
Wie lang Bora noch in Budapest verweilen kann, weiß er nicht. Die Auftragslage als Kranoperator sei momentan schwierig, auch wenn Tom Hanks aktuell für die „Inferno“-Verfilmung in der Stadt ist und Bora auch bereits an dem Filmset gearbeitet hat. Die Stadt hat den Filmliebhaber jedoch ohnehin in vielerlei Hinsicht bereichert. „Budapest ist eine kontrastreiche Stadt, ständig zwischen Tradition und Wildheit hin- und hergerissen. Die Film-Community ist hier recht klein, und im Nachtleben ist Budapest sehr konzentriert. Da kann man auch mal zufällig Jude Law in einer Bar treffen, so wie ein Freund von mir.“
Bora ist der Überzeugung, dass man sein Schicksal selbst in die Hand nehmen muss, um seine Ziele zu erreichen: „Mein Traum wäre es, Director of Photography zu werden. Dann ist man – ähnlich wie ein Filmregisseur – Künstler und nicht bloßer Techniker.” Der Director of Photography leitet alle Kameraleute an und ist für die gesamte Licht- und bildatmosphärische Gestaltung zuständig. Und wann ist es so weit? „Dafür braucht man das gewisse Etwas, eine gewisse Lebenserfahrung. Also in 30 Jahren vielleicht“, schließt Bora schmunzelnd.