Die Vorbereitungen zur Erweiterung des einzigen ungarischen Atomkraftwerks laufen auf Hochtouren. Weil die Regierung den Bürgern nicht sagen will, welche Belastungen die gigantische Investition mit sich bringt, bat der Energieklub Experten von der Corvinus-Wirtschaftsuniversität um Kalkulationen. Das Ergebnis: Der Steuerzahler wird kräftig draufzahlen müssen.
Das zur staatlichen Energieholding MVM Zrt. gehörende AKW Paks erzeugte auch im vergangenen Jahr wieder für weniger als 13 Ft/kWh den billigsten Strom in Ungarn. Paks erzeugt bei einer Auslastung seiner eingebauten Kapazitäten von 2.000 MW mit durchschnittlich 90 Prozent stabil 13-15 TWh im Jahr, was ungefähr 40 Prozent der einheimischen Stromerzeugung sind. Während der ungarische Kraftwerkspark im Allgemeinen nur halb so intensiv ausgenutzt wird, steigen die Stromimporte kontinuierlich an, die zuletzt bereits über 30 Prozent des heimischen Bedarfs abdeckten.
Ungeachtet des landesweit am billigsten erzeugten Stroms realisiert das AKW Paks Jahr für Jahr Gewinne von mehreren 10 Mrd. Forint. Doch hat die Politik der sinkenden Wohnnebenkosten auch den größten, effizientesten und dabei nach eigener Darstellung „atomsicheren“ und umweltschonenden Stromerzeuger eingeholt: Die Umsatzerlöse fielen 2014 von 186 auf 173 Mrd. Forint (d. h. unter 600 Mio. Euro) zurück, obgleich die Kapazitäten bis an den Rand ausgelastet wurden. Die Dividende betrug noch 8,2 Mrd. Forint.
800 Mio. Euro und mehr für den Schuldendienst
Weil das Atomkraftwerk seine Schuldigkeit getan hat und die Lebensdauer der Kraftwerksblöcke nicht unendlich verlängert werden kann, hat die Regierung die Errichtung des AKW Paks II. beschlossen. Mit dessen geplanter Kapazität von 2.400 MW werden im Grunde genommen lediglich die zwischen 2032 und 2035 vom Netz gehenden veralteten Blöcke abgelöst.
Mit der Investition wurde das russische Staatsunternehmen Rosatom betraut. Eine Ausschreibung gab es nicht, doch lässt sich die Partnerwahl technologisch rechtfertigen, weil einzig die Russen das in Paks angewandte Know-how besitzen. Ministerpräsident Viktor Orbán vereinbarte mit Russlands Präsident Wladimir Putin, dass Ungarn für die Verwirklichung des Großprojekts ein Kreditrahmen von 10 Mrd. Euro eingeräumt wird. Dieser wird voraussichtlich zwischen 2018 und 2025 abgerufen. Die Eigenfinanzierung wird rund 2,5 Mrd. Euro betragen, die der ungarische Staat in Form von Kapitalerhöhungen einbringen wird.
Der russische Kredit wird zu einem Zinssatz von 3,95 Prozent bereitgestellt. Mit Inbetriebnahme erhöht sich die Verzinsung auf 4,5 Prozent. Ab 2026 sind binnen sieben Jahren 25 Prozent des Kreditvolumens zu tilgen, in den folgenden sieben Jahren ab 2033 dann 35 Prozent und schließlich ab 2040 über sieben Jahre hinweg nochmals 40 Prozent. Dabei klettert der Zinssatz im Siebenjahres-Rhythmus scheinbar unmerklich erst auf 4,8 Prozent und ab 2040 schließlich auf 4,95 Prozent. Während die jährliche Tilgung von anfänglich 357 Mio. auf 571 Mio. Euro steigt, verhält es sich mit den Zinszahlungen so, dass diese bereits im Jahr der Inbetriebnahme 2026 auf 450 Mio. Euro kumulieren. Der gesamte Schuldendienst erreicht 2026/27 mit jeweils rund 800 Mio. Euro den ersten „Höhepunkt“, gipfelt aber im Jahre 2033 (wenn die Kapitaltilgung auf 500 Mio. Euro steigt) sogar auf 865 Mio. Euro.
Sehr unwahrscheinlich, dass es sich rentiert
Diese Zahlen haben wir bereits dem Simulationsmodell entnommen, welches am Strategischen Forschungszentrum der Corvinus-Universität unter Leitung von Balázs Felsmann im Auftrag des Energieklubs erstellt wurde. Dort wurden die finanziellen Auswirkungen des gigantischen Projekts „simuliert“, weil die Regierung die meisten Dokumente und die (vielleicht gar nicht erstellten) Wirkungs- und Machbarkeitsstudien unter Verschluss hält. Mit der vergangene Woche vorgestellten Analyse wollten deren Verfasser herausfinden, ob das Projekt Paks II. in den dreißig Jahren von der Vorbereitung über die Bauausführung bis zur Inbetriebnahme und abschließenden Tilgung des russischen Darlehens womöglich weitere staatliche Finanzmittel benötigt – über die Eigenfinanzierung von 2,5 Mrd. Euro hinaus.
Um es vorwegzunehmen: Laut dieser Kalkulation wird der ungarische Steuerzahler Paks II. in den ersten zwanzig Jahren des Betriebs mit durchschnittlich 100 Mrd. Forint (gut 300 Mio. Euro) im Jahr stützen müssen. Rentieren wird sich das Projekt überhaupt nur bei unwahrscheinlich hohen Strompreisen, erklärte Felsmann bei der Präsentation der Forschungsergebnisse. Doch woher nehmen die Forscher derart ernüchternde Resultate?
Harte Jahre des Projektanlaufs
Ausgehend von einer langfristigen Prognose der Europäischen Kommission wird der Strompreis von heute 43,39 Euro/MWh (Daten für 2013) bis zum Jahr der Inbetriebnahme der neuen Blöcke 2026 zu realen Preisen um ein Viertel zulegen. In diesem Sinne unterstellte die Simulation einen „Ausgangspreis“ von 63,89 Euro/MWh, mit dem Paks II. einst ans Netz gehen wird. Bei einer jährlichen Stromerzeugung von ca. 16 TWh werden sich die Umsatzerlöse von Anbeginn oberhalb von 1 Mrd. Euro bewegen. Bis 2035 dürfte der Strompreis auf 73 Euro/MWh steigen, was einen zusätzlichen Umsatzsprung um ein Viertel generieren würde. Wenn Ungarn erst den russischen Kredit abgestottert hat, wird sein stolzes AKW Paks II. bereits 1,5 Mrd. Euro an Umsatzerlösen generieren. Der langfristigen Vorausschau zufolge könnte der Strompreis 2057 über 100 Euro/MWh klettern, ein Jahrzehnt später würde Paks aus dieser Entwicklung zwei Milliarden Euro an Umsätzen ziehen.
Das operative Ergebnis würde in den letzten Jahren der bis ins Jahr 2085 angesetzten Lebensdauer die Hälfte der Umsatzerlöse ausmachen (über 1,3 Mrd. Euro), und auch eine in Euromilliarden ausgedrückte Dividende würde möglich. Das klingt nicht übel, doch wird es vor 2056 keine Ausschüttungen geben, jedenfalls nach besagter Simulation nicht. In der Kreditlaufzeit wird Paks II. wenig verwunderlich durchweg rote Zahlen schreiben. Die wirklich harten Jahre stehen den Steuerzahlern aber während des Projektanlaufs bevor, der enorme Aufwendungen verlangt, ohne einen Nutzen, sprich Strom abzuwerfen. Bis 2026, wenn Paks II. theoretisch ans Netz gehen soll, wird das Unternehmen Verluste von 2,5 Mrd. Euro in seinen Büchern mitschleppen. Die Gewinnrücklage wird noch in jenem Jahr, da der russische Kredit abgezahlt ist, mehr als -9 Mrd. Euro ausweisen. (In diesen Kalkulationen ist übrigens kein Platz für Kostenexplosionen. So müssten die Kosten auf dem veranschlagten Niveau gehalten werden, was neuerdings nicht einmal den Deutschen mehr gelingt.)
Der ungarische Staat wird als Eigentümer immer wieder Geld hinzuschießen müssen, im Extremfall 650 Mio. Euro (2026). Rentieren wird sich das neue Atomkraftwerk nur, wenn sich die Strompreise möglichst rasch verdoppeln und wenn der Staat keine Gewinnerwartungen mitbringt. Die Simulation setzt nämlich „klassisch“ eine Renditeerwartung von 8 Prozent an, die ein privater Investor hegen dürfte, der sein Kapital ja schließlich nicht verbrennen will. Ganz offensichtlich haben die Forscher an der Corvinus-Universität noch nicht den Geist der Politik der sinkenden Wohnnebenkosten verinnerlicht. In ihrer Matrix der möglichen Szenarien zur durchschnittlichen Auslastung des AKW und zur Erhöhung der Strompreise geben sie jenem Szenario die größte Wahrscheinlichkeit, wonach Paks II. anfänglich zu 85 Prozent und ab 2035 sogar zu durchschnittlich 92 Prozent ausgelastet sein wird, während die Strompreise in der Zwischenzeit um ein Viertel zulegen. In diesem Fall müsste der Staat binnen zwanzig Jahren 2.000 Mrd. Forint zuschießen, woraus sich die oben genannten 100 Mrd. Forint im Jahr ergeben, die dem Steuerzahler abverlangt werden. Selbst bei einem Strompreisanstieg um real 50 Prozent müssten noch 910 Mrd. Forint aus öffentlichen Kassen berappt werden.
Russen vor und nach der Wende
Das klingt erst einmal alles sehr negativ. Tatsache ist jedoch auch, dass überall auf der Welt Atomkraftwerke gebaut werden. Bekanntlich will niemand sein investiertes Geld in den Sand setzen. Die dem freien Markt eigentlich sehr verbundenen Briten bauen auch; dort rechnet man mit einer Verdopplung der Strompreise. Die Umweltgefahren an der Donau insbesondere im Jahrzehnt der „Doppelbelastung“ durch die zwei parallel betriebenen AKW müssen sehr ernst genommen werden. Mit dem Korruptionsrisiko beschäftigt sich die Studie der Corvinus-Universität zum Glück erst gar nicht, was es leider nicht verschwinden lässt. Gerade hat sich der Staat die Bewerbung für die Olympischen Spiele 2024 aufgehalst. Dort wird ein enormer Bedarf an teuren Infrastrukturentwicklungen vorgezogen; selbst der Regierungsbeauftragte räumte die Gefahr ein, dass viele Gelder in dunkle Kanäle fließen könnten.
Ebenso wenig beschäftigt sich die Studie aber auch mit den positiven Arbeitsmarkt- und Konjunktureffekten bei der Umsetzung des Megaprojektes. Dabei müssten eigentlich, wenn immer wieder von den diversen Belastungen für die Steuerzahler die Rede ist, durchaus auch die zahlreichen positiven Auswirkungen für den Fiskus erwähnt und bei einsprechenden Modellen mit einkalkuliert werden. Wenn bezüglich Paks II. eine Kosten-Nutzen-Analyse auf volkswirtschaftlicher Basis aufgemacht wird, sollte im Interesse der Aussagekraft möglichst kein Aspekt weggeblendet werden.