Der vergangene Woche veröffentlichte Bericht der Deutschen Gesellschaft für Außenpolitik (DGAP) beschäftigte sich mit dem Ungarn-Bild, das deutsche Medien mit ihrer Berichterstattung zeichnen. Die Analyse sorgte für viel Aufsehen und noch mehr Kontroversen.
In der vergangenen Woche berichtete die BZ über den Bericht selbst. Doch ganz so eindeutig, wie es die DGAP darstellt, ist die Situation nicht. Das zeigt sich beispielsweise an der Mindermeinung des DGAP-Analysten Dániel Hegedűs sowie an einem Brief des SPD-Politikers Niels Annen, einem Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, an Botschafter Harald Kindermann, den Generalsekretär der DGAP.
Hegedűs äußerte sich wie folgt: Als regelmäßig mit meiner kritischen Meinung innerhalb der Arbeitsgruppe Ungarn der DGAP in der Minderheit bleibendes Mitglied, halte ich es für notwendig, meine abweichende Meinung öffentlich zu machen. (…) Die Arbeitsgruppe hat die Untersuchungen der einzelnen Gebiete mit Mehrheit beschlossen. Selbst der Bericht betont, dass es bei dem überwiegenden Teil der Fragen zwischen den Mitgliedern kein Konsens herrschte. Unglücklicher Weise haben diese Entscheidungen den Bericht aber mit zwei, voneinander abhängigen, nicht bedeutungslosen Fehlern belastet. Der erste Fehler ist fachlicher, der zweite Fehler ist politischer und moralischer Natur. Fachlich liegt im Bericht folgender Fehler vor: Der Fokus der Untersuchung sollte grundlegend auf der Qualität der Berichterstattung und deren Analyse liegen. Erklärtes Ziel war es, die Berichterstattung zu bewerten, nicht aber die Handlungen der Regierung zu verurteilen oder zu verteidigen. Dies ist in den meisten Fällen jedoch trotzdem geschehen, nicht ausnahmslos, aber doch zum überwiegenden Teil in verteidigender Form. So stellt die Kritik an der Personalpolitik der Regierung oder am Umgang mit verschiedenen Zivilorganisationen keineswegs ein wirkliches Gegengewicht dar im Vergleich zu all den Bereichen in denen die Regierung durch den Bericht entlastet wird. So geschehen im Zusammenhang mit dem Aushebeln des Rechtsstaates, mit der Umstrukturierung des Verfassungswesens und des Wahlsystems oder in der ideologisch-politischen Dimension mit Viktor Orbáns Réde in Tusnádfürdő.
Das Problem damit wurzelt unter anderem in der Tatsache, dass für solch eine Aussage die Analyse keineswegs in entsprechender Tiefe stattfand. (…) Ausgeschriebenes Ziel des DGAP-Berichtes war es, der einseitigen und oberflächlichen internationalen Berichterstattung mit einer auf Fakten beruhenden, objektiven Analyse einen Spiegel vorzuhalten. Zwar könnte dieses Ziel richtig und unterstützungswürdig sein, das Endergebnis ist in seiner Gattung mindestens ebenso oberflächlich und lediglich der anderen Seite einseitig verschrieben. (…) Die Arbeitsgruppe hat sich weiterhin nicht damit beschäftigt, in welchem Maße der Bericht später im Bereich der ungarischen Politik instrumentalisiert werden kann, geschweige denn, welche Wirkung er generell auf den Diskurs in der ungarischen Politik haben wird. Dieser schweren politischen und moralischen Verantwortung hätte man einerseits durch eine tiefere inhaltliche Analyse und zweitens durch wesentlich zurückhaltendere und ausgewogenere Wertung innerhalb des Berichts gerecht werden können. (…) Egal, wie sehr es das Ziel gewesen war, den öffentlichen Diskurs in Deutschland zu beeinflussen, es wäre (unsere) minimale – moralische sowie fachliche – Pflicht gewesen, auch an die Auswirkungen in Ungarn zu denken.
Brief an Botschafter Kindermann
SPD-Politiker Annen formuliert in seinem Brief an DGAP-Generalsekretär Kindermann folgendermaßen: “Der Bericht stärkt die Auffassung, Ungarn sei in erster Linie ein Opfer falscher oder voreingenommener Medienberichterstattung in den meisten Ländern Westeuropas oder der USA. Diese Sichtweise korrespondiert sehr stark mit der innerungarischen Wahrnehmung insbesondere auf Seiten der Regierung Orbán, die in den vergangenen Jahren immer wieder eine angebliche Verschwörung des Auslands gegenüber Ungarn ausmachte und diese innenpolitisch zu instrumentalisieren versuchte. (…)
Der gesamte Bericht hinterlässt den Eindruck, die ungarische Regierung und ihr Premierminister Orbán seien in den letzten Jahren zu Unrecht an den medialen Pranger gestellt worden. Sicher finden sich in den Medien mitunter auch Berichte, die über das Ziel hinausgestoßen sind und die es mit der Wahrheit nicht immer ganz genau genommen haben. So etwas erlebe ich als Abgeordneter auch in meiner täglichen Arbeit. Deswegen darf man jedoch die Sorge über gewisse innerungarische Entwicklungen, wie sie auch in jüngster Zeit erneut vom Präsidenten des EU-Parlaments, Martin Schulz oder dem Vorsitzenden der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker artikuliert wurden, nicht ignorieren.”