Dass Premier Viktor Orbán vor hochtrabenden, ja bombastischen Plänen nicht zurückschreckt, hat er mit der Bewerbung Ungarns um die Olympischen Sommerspiele 2024 eindrücklich bewiesen. Wie schon in seiner ersten Amtszeit als Regierungschef (1998-2002) war der Ministerpräsident auch jetzt treibende Kraft bei der Realisierung der Bewerbung für das sportliche Megaprojekt – die erste Regierung Orbán hatte noch die Olympischen Sommerspiele 2012 im Visier.
Dass die Austragung von Olympischen Spielen ein enormes finanzielles Risiko in sich birgt, zeigt nicht zuletzt das Beispiel Griechenlands, dass die Hypothek der Sommerspiele 2004 noch heute zu tragen hat. Fraglich ist weiterhin, ob Ungarn überhaupt imstande wäre, die kostspieligen und von ihrem Umfang her gigantischen Sportstätten für ein Megaereignis, wie es die Olympischen Sommerspiele sind, zeitgerecht aus dem Boden zu stampfen.
Zahlreiche Bauvorhaben der vergangenen Jahrzehnte, angefangen vom Bau der Metrolinie 4 über die Erneuerung der Budapester Margaretenbrücke bis hin zu den diversen Veranstaltungsstätten der Kulturhauptstadt Pécs (2010), lassen darauf schließen, dass Ungarn bei der Einhaltung von Baufristen nicht gerade gut dasteht. In Anbetracht dieser Unzulänglichkeiten in der Vergangenheit räumen Experten der ungarischen Bewerbung für Olympia 2024 kaum Chancen ein.
Mitbewerber von Budapest sind Paris, Rom, Hamburg und Boston
Hinzu kommt, dass das streitbare Naturell Orbáns und seine daraus resultierenden wiederholten Konflikte und Provokationen auf der Bühne der internationalen Politik bei den Entscheidungsträgern des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) wohl keinen besonders guten Eindruck hinterlassen dürften. Der ungarischen Bewerbung stehen zudem jene von gestandenen Weltstädten und erprobten Sportaustragungsstätten wie Paris, Rom, Hamburg und Boston gegenüber.
Von fundamentaler Bedeutung bei der Vergabe ist auch die gesellschaftliche Unterstützung einer Olympia-Bewerbung. Und da steht Ungarn ebenfalls nicht gut da. Binnen fünf Jahren schrumpfte der gesellschaftlichen Rückhalt für eine Bewerbung um die Olympischen Sommerspiele von 70 auf rund 60 Prozent – von jenen 70 Prozent, die eine Bewerbung vor fünf Jahren guthießen, hielten aber nur 20 Prozent eine Vergabe an Ungarn für wahrscheinlich.
Dennoch: Den grandiosen Träumen der Regierung Orbán gab vor allem ein Dokument des IOC Auftrieb, das mit „Olympic Agenda 2020“ betitelt ist. Darin werden nicht nur den Bewerbungen kleiner Länder gute Chancen eingeräumt, sondern es werden auch Bewerbungen favorisiert, wo die Bauvorhaben und Infrastrukturentwicklungen sich unter dem Gesichtspunkt der Vernünftigkeit und Nachhaltigkeit in die Zukunftspläne des Austragungsortes organisch einfügen, was in Budapest der Fall wäre.
Die Kosten sind mit einem großen Fragezeichen verbunden
Die Kosten einer Austragung der Sommerspiele sind schwer zu beziffern. Die unter der ersten Regierung Orbán erstellten Studien (für Olympia 2012) gingen von Kosten in Höhe von 408 Milliarden Forint aus. 2006 wurde diese Zahl bereits auf 518 Milliarden nach oben modifiziert (für eine mögliche Austragung der Olympischen Spiele 2016 – Rio bekam den Zuschlag). Was die Spiele 2024 angeht, erstellte das Wirtschaftsprüfungsunternehmen PricewaterhouseCoopers (PwC) eine Machbarkeitsstudie. Laut PwC würden sich die Kosten auf 774 Milliarden Forint belaufen. Auch die KPMG Tanácsadó Kft. kam auf eine ähnliche Summe.
Allerdings wurden bei den Berechnungen die zahlreichen Stadionerneuerungen und der Bau neuer Arenen nicht ins „Olympia-Budget“ einkalkuliert, für die bereits Ausgaben getätigt wurden (etwa für den 13,5 Milliarden Forint teuren Bau der Groupama Aréna des Fußballklubs Ferencváros Budapest) und die von der Regierung bereits beschlossen wurden – neben dem Neubau des Puskás Ferenc Stadions, der sich auf knapp 100 Milliarden Forint belaufen wird und vor der Fußball-EM 2020 abgeschlossen werden soll, der Ausbau des Dagály-Bades (Budaer Seite der Árpád híd) für die Austragung der Schwimm-WM 2017 (die veranschlagten Kosten liegen bei rund 49 Milliarden Forint). Addiert man diese Ausgaben zu den von PwC und KPMG errechneten Kosten der Olympischen Spiele hinzu, kommt man auf eine Summe, die über 1.000 Milliarden Forint liegt.
Kollateralkosten möglicher Sommerspiele wären enorm hoch
Und das sind erst die Kosten, die sich direkt auf die Sommerspiele beziehen. Noch mehr Geld verschlingen jene Infrastrukturentwicklungen, die auch ohne Olympia-Austragung in den kommenden 15 bis 20 Jahren zu realisieren sind. Bei einer erfolgreichen Bewerbung indes müssten sie umgehend umgesetzt werden. Vor fünf Jahren wurden die Ausgaben für diese „Kollateralkosten“ mit 4.654 Milliarden Forint beziffert. Wenngleich sich diese Summe aufgrund bereits realisierter oder laufender Infrastrukturentwicklungen (etwa die Metrolinie 4, die Erneuerung des Fuhrparks der Metrolinie 2, die Erneuerung und Erweiterung von Straßenbahnlinien) reduziert hat, werden sich die „Kollateralkosten“ auch so auf mehrere tausend Milliarden Forint belaufen.
Die konkrete Summe ist deshalb nicht bekannt, weil die 1.300 Seiten umfassende Machbarkeitsstudie der Olympischen Sommerspiele nicht publik ist. Geht man aber von den da und dort verlautbarten Summen aus, ist insgesamt mit Kosten von vier- bis fünftausend Milliarden Forint zu rechnen, was in etwa der Größenordnung des umstrittenen Ausbaus des Atomkraftwerks Paks entspricht.
Regierung und PwC gehen von positivem Olympia-Saldo aus
Sowohl das Ungarische Olympische Komitee (MOB) als auch die Regierung erwarten eine positive Bilanz, sollten im Jahr 2017 die Sommerspiele 2024 an Budapest vergeben werden. Die Opposition hält dem entgegen, dass die Regierung die Kosten deutlich unter-, den zu erwartenden Nutzen jedoch überschätzen würde. Das Wirtschaftsprüfungsunternehmen PwC jedenfalls kalkuliert mit einem Überschuss für die ungarische Volkswirtschaft in Höhe von mehr als dreitausend Milliarden Forint. Von dieser Summe blieben 1.100 Milliarden beim Staat, der Rest bei den Unternehmen und den Privathaushalten. Die Befürworter der Olympischen Spiele führen diesbezüglich ins Treffen, dass jeder einzelne ungarische Staatsbürger in den nächsten zehn Jahren hierfür nur läppische 600 Forint pro Monat zahlen müsste.
Von diesem Geld würde unter anderem eine neue Donaubrücke am südlichen Ende von Budapest gebaut, wo der geplante Hauptstandort der Olympischen Sommerspiele wäre (Csepel). Überhaupt soll die Donau sozusagen das Bindeglied zwischen den einzelnen Wettbewerbsstätten von Olympia werden, weshalb auch die Budapester Donauschifffahrt auf Vordermann gebracht werden soll. Darüber hinaus könnten auch die rund 40.000 Sportler und deren Begleitpersonal zum Teil auf Hotelschiffen entlang der Donau untergebracht werden. Neben Budapest wären die möglichen Standorte der Olympischen Sommerspiele Győr, Veszprém, Székesfehérvár, Balatonfüred, Szombathely, Miskolc, Debrecen, Szeged und Dunakeszi-Alag, wo die Pferdewettbewerbe stattfinden würden.
Risiko Korruption
Kritiker der ungarischen Olympia-Bewerbung argumentieren, dass die damit einhergehenden gigantischen Infrastrukturentwicklungen ein idealer Nährboden für Korruption wären, die ja in Ungarn bekanntlich floriert. Überdies bliebe angesichts der horrenden Ausgaben für die mit Olympia verbundenen Infrastrukturentwicklungen kein Geld für andere notwendige Bauprojekte in Ungarn. Schließlich zeigten die Beispiele bisheriger Austragungsorte Olympischer Sommerspiele, dass die überdimensionierten und teuren Wettbewerbsstätten, insbesondere Stadien, nach Olympia weithegend ungenutzt bleiben und in einen verwahrlosten Zustand geraten.
Budapest bewirbt sich für 2024
Die Bürgerschaft von Budapest hat am Dienstag dennoch zugestimmt, dass sich die Hauptstadt Ungarns gemeinsam mit dem Ungarischen Olympischen Komitee (MOB) um die Ausrichtung der Olympischen und Paralympischen Sommerspiele 2024 bewerben wird. Die Vorlage von Oberbürgermeister István Tarlós wurde mit 25 Stimmen bei nur einer einzigen Gegenstimme und einer Stimmenthaltung angenommen. Fidesz, Jobbik, MSZP und PM stehen hinter der Bewerbung, die DK ist unentschieden und einzig die grünalternative LMP dagegen. Das Parlament muss der Absichtserklärung der Hauptstadt und des MOB noch zustimmen. Bis Februar 2016 wird Budapest detaillierte Pläne für die Olympia-Infrastruktur inklusive Sportanlagen, Unterkünften und Verkehrsnetz vorlegen müssen. MOB-Präsident Zsolt Borkai macht sich für die Bewerbung stark, weil das IOC in der Agenda 2020 vom Gigantismus vergangener Spiele abzurücken gedenkt. Damit steigen die Chancen für wirtschaftlich weniger starke Bewerber wie Ungarn, das als einzige der großen Sportnationen der Welt noch nie Gastgeber der Olympischen Spiele war.