Von Péter Demény
„Es gibt keinen französischen Chauvinismus – es gibt eine französische Angst“, sagte einst der ungarische Historiker Ferenc Fejtő über den Hass gegen die Zuwanderer. Diese Annäherung an die Frage ist nicht nur human, sondern auch umsichtig.
In Ungarn hat diese Art von Angst eine lange Tradition, sie manifestiert sich nicht zuletzt in einer Absonderung. Károly Kós‘ „Brief von der Versammlung in Balázsfalva“ (Károly Kós [1883-1977] war Architekt und Schriftsteller, der im rumänischen Siebenbürgen lebte; Anm.) habe ich bereits häufig zitiert. Ich möchte mich auch jetzt wieder darauf berufen. In dem Brief wird beschrieben, wie die Siebenbürger Rumänen das 50-jährige Bestehen ihres Kulturvereins ASTRA und die Siebenbürger Ungarn das Jubiläum ihres Pendants EMKE feierten. Während beim ersten Ereignis alle Rumänen teilnehmen durften, war das zweite eine geschlossene Veranstaltung: jener Hohepriester, Großbürger und Magnaten (Ehrengast der Veranstaltung war Graf Albert Apponyi), die eine offizielle Einladung in den alten Redoutensaal bekommen hatten. Das ungarische Volk in Siebenbürgen, die Bauern und urbanen Kleinbürger, waren nicht eingeladen, ja sie wussten nicht einmal davon. Die Versammlung endete mit einem Bankett im Festsaal des New York Hotels.
Ungarische Angst und ungarischer Dünkel
Die ungarische Angst hängt also mit dem ungarischen Hochmut zusammen: Deshalb war es so einfach, unzählige Menschen, zumal diejenigen, die ihre Hoffnungen in die „bürgerliche Partei“ (Fidesz; Anm.) setzen, davon zu überzeugen, dass die Einwanderer in Ungarn nichts verloren haben. Diese Partei hat mit dem Bürgertum herzlich wenig zu tun, sofern wir unter Bürgertum eine Gesellschaftsgruppe verstehen, die selbständiges Denken und eine umsichtige Lebensplanung auf ihre Fahne geschrieben hat. Sie hat vielmehr mit dem Kleinbürgertum zu tun, das seine Ängste als Ideologie und seine Frustrationen als Glauben betrachtet. Péter Nádas (zeitgenössischer Schriftsteller; Anm.) sagte über den ungarischen Kleinbürger, er habe es niemals gelernt, nach Pragmatismus, Differenzierung und Reflexion zu streben.
In Ermangelung der zuvor genannten Wesenszüge wissen die Vertreter des Kleinbürgertums allzu gut, wer Ungar ist und wer nicht, wer hier Zuhause ist und wer nicht und wer hereinzulassen ist und wer nicht. Die Orbánschen Definitionen des Ungarischen finden in der Seele dieses Kleinbürgertums ebenso Resonanz wie die gegen die EU gerichteten plumpen und provinziellen Trotzreaktionen, die als nationale Heldentaten betrachtet werden.
Die Kleinbürger haben das Wort
Vor elf Jahren entschieden dieselben Bürger darüber, dass die Auslandsmagyaren keine Ungarn sind. Welchem politischen Lager sich der Kleinbürger zugehörig fühlt, ist im Grunde nebensächlich, weil dies nicht den Kern des Problems berührt. Deshalb lässt sich auch nicht behaupten, dass seinerzeit (2004) „die Linke“ gegen die Doppelstaatsbürgerschaft gestimmt hat und für die egoistischen Argumente der damaligen Regierungskoalition offen und empfänglich war. Sehr viele Ungarn waren damals offen dafür.
Was aber noch bedauerlicher ist, ist der Umstand, dass die Abneigung des Kleinbürgers, den Dingen ins Auge zu blicken, auch in feingeistigen Intellektuellen zu finden ist. In Gefahrensituationen schlägt diese Abneigung nicht selten in Hysterie um. Die selbsternannten linken Intellektuellen sind heute in einer angenehmen Situation: Sie können vom Aufbau einer Diktatur schwadronieren und den Kopf in den Sand stecken. Beim Referendum 2004 war selbstredend alles anders, agitierte doch damals eine linke, sprich „eigene Regierung“ gegen die Auslandsungarn.
Was jedoch in hohem Maße verwundert, ist, dass das Gros der damaligen linken Intellektuellen an der Xenophobie (23 Millionen Rumänen machen sich nach Ungarn auf, um den Magyaren die Arbeitsplätze wegzunehmen und ähnliche Stumpfsinnigkeiten) nichts auszusetzen fand. Mehr noch, sie haben bei diversen Schurkereien immer wieder ein Auge zugedrückt, wenn es sich um Politiker handelte, die zu „ihnen“ gehören. Ihre gegenwärtigen Proteste sind mithin denkbar unglaubwürdig.
Der Autor ist Schriftsteller und Dichter. Der hier abgedruckte Text erschien in der Online-Ausgabe der linksliberalen Wochenzeitung hvg.
Aus dem Ungarischen von Peter Bognar