János Brückner zieht seine Inspiration aus der Popkultur. In seinen Werken finden sich häufig Motive aus Alltagskultur, Massenmedien und der Welt des Konsums, aber auch aus Technologie und Wissenschaft. Innerhalb dieser überstimulierenden Welt versucht der 1984 in Budapest geborene Künstler Bausteine unserer Identität aus dem kontinuierlichen Fluss aus Content-Generierung und Informationsverwertung zu fischen und gezielt zu dekonstruieren.
Identität – das ist für Brückner das zentrale Thema in seiner Kunst, das er jedoch auf verschiedenen Ebenen betrachtet. Eine dieser Ebenen ist für ihn die nationale Identität und wie sie sich noch heute in unserer Alltagskultur niederschlägt. Brückner stellt sich Fragen wie: „Wie nehmen die Ungarn ihre Nationalhelden wahr?“ oder „Welche Bedeutung hat die Nationalhymne heute für uns?“ Dabei scheint der ungarische Künstler immer neue Blickwinkel zu entdecken. So beschäftigt sich Brückner nicht nur in seiner aktuellen Ausstellung unter dem Titel „A lánglelkűek“ (siehe Kasten) mit dem Thema nationaler Identität, sondern auch in vielen seiner vorangegangenen Bildserien. Ein Beispiel dafür ist seine Reihe „Famous Hungarian Hipster“ (2013), bei der Brückner Elemente des Mainstreams und der Hipster-Subkultur mit den Konterfeis wichtiger Persönlichkeiten der ungarischen Geschichte verbindet.
Das Obszöne in Szene setzen
Doch auch die Frage der sexuellen Identität beschäftigt den vielseitigen Künstler. Unter anderem reflektierte er in seiner Ausstellung „Default Pornography“ (2014) die kommerzielle Verwertung dieses eigentlich ganz „individuellen und intimen Teils unserer Identität“ in der Pornografie. „Ich habe versucht, mich dem Thema auf der visuellen Ebene zu nähern“, erklärt Brückner, „ohne dabei explizite Szenen zu zeigen – Pornografie ohne Pornografie.“ Die Arbeit mit diesen Inhalten beschreibt Brückner als befreiend: „Das Obszöne in Szene zu setzen verändert komplett die Bedeutung der Dinge“, so Brückner. Sexualität solle eigentlich ein alltägliches Thema sein, stattdessen sei es mit Tabus behaftet, an die sich selbst die Pornoindustrie halte: „Pornofilme zeigen, in welcher sexistischen und patriarchalischen Welt wir leben, in der uns vorgegeben wird, wie wir Sex zu haben haben“, kritisiert Brückner, der sich neben seiner künstlerischen Annäherung an das Thema auch auf akademischer Ebene damit auseinandersetzt.
Der Künstler als „Human Printer“
Die Frage nach der Identität des Künstlers im postdigitalen Zeitalter ist ein weiteres Thema, das sich wie ein roter Faden durch Brückners Werk zieht. Wie verändert sich der Schaffensprozess von Kunst in einem Zeitalter, das uns unendliche Möglichkeiten der Bildkreation und Bildgestaltung bietet? Angefangen beim Smartphone, mit dem jeder Fotos machen kann, bis hin zur Bilbbearbeitungs-Software. Brückner selbst identifiziert sich deshalb als „Human Printer“ (deutsch: menschlicher Drucker). „Ich wollte das Stereotyp des romantischen Malers auseinandernehmen“, beschreibt Brückner seine Erfahrung. Ein menschlicher Drucker zu sein, bedeutet für ihn, dass er Bilder am Rechner in einzelne Bildpunkte zerlegt und dann ähnlich einem mechanischen Drucker, Schicht für Schicht beginnt, diese Bildpunkte auf Leinwand zu übertragen. „Ich will sehen, was passiert, wenn ich meinen gesamten künstlerischen Charakter aus dem Prozess eliminiere“, erklärt Brückner die Philosophie hinter seiner Methodik. Mit dieser konzeptionell verstörenden, neuen Sichtweise erntet Brückner in Kollegenkreisen nicht von allen Seiten Verständnis.
Späte Entscheidung zur Kunst

Hipster, Porno, Pixel: Kunst ist für den 30-jährigen János Brückner der einzige Weg, sich selbst und die schnellebige Welt, in der wir leben, zu begreifen.
Nicht immer war für Brückner klar, dass eine Karriere als Künstler Teil seiner eigenen Identität werden würde. So entschied sich der heute 30-Jährige nach dem Abitur zunächst für ein Studium der Philosophie und Literatur an der Budapester Eötvös Loránd Universität, das er 2010 mit einem Masterabschluss beendete. Mit dem Zeichnen und Malen begann Brückner schon während seines Studiums, doch erst sein Universitätsprofessor ermutigte ihn, diese auch mit anderen Künstler zu teilen und sich für Rückmeldung zu öffnen.
Zwar war der Weg holprig: „Die Künstler denen ich meine Werke zeigte, sagten mir gerade heraus, dass das, was ich mache, Müll ist. Und, sollte ich jemals etwas mit Kunst machen wollen, ich schleunigst Zeichenstunden nehmen müsse“, erinnert sich Brückner, doch entmutigt hat ihn das nicht. So wurde er schließlich beim ersten Versuch an der Ungarischen Akademie für Bildende Künste angenommen, von der er 2012 graduierte. Seit 2010 ist der aufstrebende Künstler in Gruppen-und Soloausstellungen vertreten. Außerdem erhielt Brückner zahlreiche ungarische Auszeichnungen und Stipendien, darunter bereits zum dritten Mal das renommierte Gyula Derkovits Stipendium.
Seine künstlerische Zukunft sieht Brückner trotzdem eher im Ausland. „Die ungarische Kunstszene ist sehr klein, und es herrscht ein starker Konkurrenzkampf. Auch denke ich, dass meine Art, Kunst zu machen, im internationalen Rahmen besser aufgenommen würde“, so Brückner. Für September plant der Budapester eine Ausstellung in Warschau. Auslandserfahrung sammelte er aber auch bereits in Deutschland: In Berlin verbrachte der damalige Kunststudent 2010 ein sechsmonatiges Praktikum, und auch heute verbinden ihn noch viele künstlerische Kontakte und professionelle Projekte mit Deutschland.
Katrin Holtz
Aktuelle János Brückner-Ausstellung im Literaturmuseum Petőfi
„Sie waren die Avantgarde ihrer Zeit“
Wer in der Welt der ungarischen Literatur zu Hause ist, wird in der aktuellen Ausstellung „A lánglelkűek“ (in der englischen Übersetzung: „Flame Hearts“) im Literaturmuseum Petőfi auf viele vertraute Gesichter treffen: Mit ein bisschen Anstrengung lassen sich auf den Werken an den Wänden schnell Größen wie Endre Ady, Mihály Csokonai Vitéz oder Attila József, Júlia Szendrey und natürlich auch Sándor Petőfi erkennen. Sie waren nicht nur literarische Helden, sondern auch die Trendsetter ihrer Zeit, geht es nach Künstler János Brückner.
Auf den ersten Blick wirken die Gesichter dieser berühmten Literaturhelden entstellt, sind ihre Gesichtszüge doch auf geometrische Punkte, die durch Linien verbunden sind, reduziert. Doch der Wiedererkennungswert der jedem ungarischen Kind aus Lehrbüchern bekannten Poeten ist so groß, dass er sich selbst in diesem Kontext durchsetzt. Die Struktur der Darstellung basiert, auch wenn Sie Brückner von Hand gezeichnet hat, auf denselben Algorithmen mit denen auch moderne Gesichtserkennungs-Softwares arbeiten. Die technokratische Auffassung geliebter und romantisch verklärter Charaktere der ungarischen Literaturgeschichte ermöglicht für Brückner eine neue Sichtweise auf universale Ikonen der ungarischen Kultur. Eine weitere Bedeutungsebene eröffnet der aufstrebende Künstler, indem er die bekannten Poeten in den Kontext heutiger Modeerscheinungen stellt. Dazu verwendet er nicht nur Symbole einschlägiger Modemarken wie Adidas oder Kappa, sondern auch Symbole kurzlebiger neuer Moden wie dem Normcore. „Diese Persönlichkeiten waren die Avantgarde ihrer Zeit“, so Brückner, und dies wirft wohl auch die Frage auf, ob ein Sándor Petőfi, würde er heute leben, auf MTV Slampoetry-Duelle moderieren würde oder Endre Ady seinen eigenen YouTube-Channel hätte.
Gleichzeitig erinnert Brückner den Besucher jedoch daran, dass diese Persönlichkeiten einer anderen Zeit entspringen. So sind die strukturellen Hintergründe, auf denen die Konterfeis von Petőfi, Szendrey und Co. prangen, bewusst auf alt getrimmt.

Kunst zum Mitgestalten:
Bis zum Ende der Ausstellung sollen
alle Bildpunkte gefüllt werden, sodass
das Portrait eines der berühmtesten Poeten Ungarns enthüllt wird.
Fast schon charakteristisch für Ausstellungen Brückners ist, dass sie oft interaktive Elemente enthalten. Dazu gehören in Brückners aktueller Ausstellung beispielsweise der Szendrey- und Petőfi-Simulator, aber auch seine bereits erprobte Technik des „Human Printer“. Der Besucher ist eingeladen, selbst am Schaffensprozess teilzuhaben und sich somit als menschliche Druckmaschine zu betätigen. Ein großes zahlenkodiertes Rasterbild soll nach Anleitung gefüllt und zum Porträt eines der berühmtesten ungarischen Poeten zusammengesetzt werden. Ein wenig erinnert dies an den berühmten Kinderzimmerklassiker „Malen nach Zahlen“, und viele Besucher der Ausstellung zeigen daran auch eine ähnlich kindliche Freude.
Freude löst auch das Video zu Brückners Adaption der ungarischen Nationalhymne „Hymn 2.0“ aus, das in der Ausstellung gezeigt wird. Brückner visualisiert darin in Form von Infografiken und Diagrammen den Inhalt der von Ferenc Kölcsey verfassten „Himnusz“. Begleitet wird das Video von einer 8 bit-Version der von Ferenc Erkel komponierten Melodie. Durch das überbemühte Erklären der Inhalte und die Versimplifizierung von Text und Musik führt Brückner diesen identitätsstiftenden Teil der ungarischen Kultur ad absurdum. Kein Vergnügen für die Ohren, aber eine durchaus berechtigte Reflektion auf die ungarische nationale Identität.
Brückners Bilder scheinen klare Botschaften zu übermitteln und geben dem Ausstellungsbesucher das Gefühl, nicht im Trüben fischen zu müssen. Dennoch lässt die Ausstellung genügend interpretativen Spielraum, um auch Stunden später zu unerhofften Reflektionen und Gedankenblitzen zu führen. Wer die Chance nutzen möchte und sich selbst ein Bild der Ausstellung machen möchte, kann dies neben den normalen Öffnungszeiten des Literaturmuseums auch während der Nacht der Museen an diesem Samstag (20. Juni) tun. Dabei kann man sogar den Künstler selbst treffen – denn ab 22 Uhr findet in den Ausstellungsräumen eine Podiumsdiskussion mit János Brückner und weiteren Experten zum Thema „Neue Ästhetik“ statt.
Ausstellung „A lánglelkűek“ von János Brückner noch bis zum 13. September
Literaturmuseum Petőfi
Budapest V. Károlyi Mihály utca 16
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag zwischen 10 und 18 Uhr
Eintrittspreis: 480 Forint / ermäßigt 240 Forint
Weitere Informationen unter www.brucknerjanos.hu oder www.everybodyneedsart.com