
So schaut es aus, wenn 199 gewählte Volksvertreter am Haushaltsentwurf arbeiten. Das Foto der amtlichen Nachrichtenagentur MTI entstand am vergangenen Freitagvormittag im Parlament. (Foto: MTI)
Der Haushaltsplan für 2016 wird in diesen Tagen in den zuständigen Parlamentsausschüssen behandelt, am Dienstag passierte er erfolgreich den Haushaltsausschuss. In drei Wochen ist mit der Schlussabstimmung zu rechnen – zum ersten Mal wird ein Budget noch vor der Sommerpause verabschiedet. Damit hat die dritte Orbán-Regierung nicht nur symbolisch einen weiten Weg zurückgelegt.
Ministerpräsident Viktor Orbán machte im Frühling klar, dass er es ernst meint mit der vorgezogenen Haushaltsplanung. Das Wirtschaftsressort arbeitete das Dokument bis Mitte Mai aus, in der vergangenen Woche begann die allgemeine Parlamentsdebatte. In früheren Jahren hatte sich dieser Prozess über den Herbst hingezogen, manchmal mussten die Politiker sogar um ihr Weihnachtsfest bangen. Orbán begründete die Eile mit der neuen Qualität der Wirtschaftspolitik: Die ungarische Wirtschaft steht heute auf stabilen Fundamenten, ihre Planungssicherheit werde durch einen früh in Stein gemeißelten Staatshaushalt auf jeden Fall erhöht. Er weiß, wovon er redet.
Als György Matolcsy noch dem Wirtschaftsressort vorstand, wetteiferte in der Planung des Ministeriums die Anzahl der Nachtragshaushalte mit jener der Steuererhöhungen. Das wenig konstruktive Chaos wurde bald zur unorthodoxen Wirtschaftspolitik getauft – unter diesem Leitbild fügte sich das Ganze wundersam zu einem stimmigen Gefüge. Heute diskutieren die Verfechter des Matolcsy-Kurses und seine Gegner bestenfalls darüber, ob die eingeschlagene Wachstumsbahn denn tatsächlich nachhaltig sei. Über die brutalen Opfer, die der Bevölkerung wie bei jedem ungarischen Sonderweg abverlangt wurden, schweigen sich die Politiker lieber aus. Der Staatshaushalt ragt als Erfolgssäule aus dem Konstrukt dieser neuartigen Wirtschaftspolitik heraus, denn das Defizitziel von unter drei Prozent am Bruttoinlandsprodukt (BIP) wurde nach 2010 einbetoniert.
Ausgabensenkung um 600 Milliarden Forint
So etwas hätte es unter den sozialistisch-liberalen Regierungen in Ungarn (und vermutlich auch anderswo auf der Welt) nie gegeben. Zwar lamentieren die linken Medien bei jedem neuen Stadionbau, diese Milliarden wären in Bildung und Gesundheitswesen besser aufgehoben. Dabei ist die Haushaltspolitik abgesehen von diesem Orbán-Hobby so streng, dass bereits eine Ausweitung der Steuervergünstigungen für zwei und mehr Kinder um umgerechnet 8 Euro im Monat als einer der größten Fortschritte im Budget für 2016 angepriesen werden muss. Die Regierung rührt die Werbetrommeln, weil sie sich vorgewagt hat, die Mehrwertsteuer (Áfa) auf Schweinefleisch auf fünf Prozent zu kappen. Man wolle prüfen, ob in der Folgezeit weitere Schritte in dieser Richtung machbar sind. Nun ja, in Rumänien sinkt die Mehrwertsteuer gleich für sämtliche Lebensmittel auf neun Prozent! (Der gewöhnliche Umsatzsteuerschlüssel von 24 Prozent im Nachbarland soll ab 1. Januar 2016 auf 20 Prozent gesenkt werden, in Ungarn beträgt er bekanntlich 27 Prozent.)
Die Senkung bei der Einkommensteuer wird einen ganzen Prozentpunkt betragen, so dass die ungarischen Steuerzahler im kommenden Jahr nur noch 15 statt der aktuellen 16 Prozent zahlen müssen. Da kann sich dann jede Familie einen größeren Einkauf oder eine Verkehrsbuße mehr im Jahr leisten. Den Staat kostet dieses Zugeständnis in der Tat beachtliche 120 Mrd. Forint. Daran gemessen nehmen sich die gesenkte Schweinefleisch-Áfa mit 25 Mrd. Forint, die Steuervergünstigungen für Familien mit 15 Mrd. Forint oder aber sinkende staatliche Gebühren mit 10 Mrd. Forint fürwahr bescheiden aus.
All diese Maßnahmen sind freilich nur „Bauernopfer“ gemessen an den Beträgen, die von der Orbán-Regierung zu dem einzigen Zweck umgeschichtet werden, Investitionsprojekte zu beschleunigen. Mit rund 200 Mrd. Forint sollen Löcher gestopft werden, weil etwa EU-Fördermittel weniger üppig fließen, damit der Konjunkturmotor nicht ins Stottern kommt.
Wie dem auch sei: Der Staat gedenkt 2016 insgesamt rund 600 Mrd. Forint weniger auszugeben. Mit gut 16.500 Mrd. Forint vereinnahmt der Fiskus zwar immer noch die Hälfte des Nationaleinkommens für sich. Das Defizit aber soll im kommenden Jahr unter 800 Mrd. Forint fallen und nur noch 2,2 Prozent am BIP betragen, das wiederum bei 35.200 Mrd. Forint (rund 115 Mrd. Euro) erwartet wird.
Zu den Bereichen, die ungeachtet der nicht kommunizierten, aber eifrig praktizierten Sparpolitik mehr Geld bekommen, gehört das Rentenkapitel (+40 Mrd. Forint). Da die Verbraucherpreise mittelfristig wieder um 2-3 Prozent jährlich steigen sollen, wäre das aber weniger als ein Inflationsausgleich. Infolge der zu Jahresbeginn mit der EBRD getroffenen Vereinbarung werden die Banken ungefähr 60 Mrd. Forint weniger an Sondersteuern beitragen. Für verschiedene Berufsgruppen im Staatssektor sollen 140 Mrd. Forint zusätzlich fließen, Polizisten und Ärzte werden weiter hingehalten. Für das Wundermittel des Arbeitsmarktes werden nochmals 70 Mrd. Forint zugebuttert: Die Zahl der an öffentlichen Arbeitsprogrammen beteiligten Personen soll um 40.000 auf einen neuen Rekordstand von durchschnittlich 240.000 Personen klettern – das kostet den Steuerzahler dann 340 Mrd. Forint. Der Staat saniert zudem die Budapester Verkehrsbetriebe (BKV) und legt zweimal 100 Mrd. Forint als Haushaltsreserve bzw. für außerordentliche Zwecke zur Seite.
EU-Land Ungarn: Ein Nehmen und Geben
Natürlich stützt sich das ungarische Budget auch 2016 nicht unwesentlich auf EU-Gelder. Für Wirtschaftsentwicklung und Innovationen werden nahezu 300 Milliarden, für die Verkehrsinfrastruktur halb so viel und auch für Umweltschutz und die Entwicklung des ländlichen Raums jeweils rund 100 Mrd. Forint bereitgestellt – für die betreffenden Operativprogramme muss der Staat im Durchschnitt nur ungefähr ein Siebtel an Eigenmitteln zuschießen. Norwegen und die Schweiz geben dem EU-Land Ungarn mehr als 14 Mrd. Forint, Brüssel für grenzüberschreitende Projekte (insbesondere mit der Slowakei) gut 8 Mrd. Forint. Andersherum darf Ungarn insgesamt mehr als 300 Mrd. Forint zum EU-Haushalt zuschießen, darunter weiterhin 20 Mrd. Forint für die „Korrekturzahlung“ an Großbritannien.
Derweil erhält die für die Ost- und Südöffnung zuständige Eximbank insgesamt 50 Mrd. Forint. Die Hochschuleinrichtungen des Landes wirtschaften aus 280 Mrd. Forint, für Familienzuschüsse und Kindergeld sind rund 400 Mrd. Forint vorgesehen. Diese Dimensionen sprengt allein der Schuldendienst. Für Zinszahlungen auf Staatsanleihen müssen 2016 sage und schreibe 670 Mrd. Forint bereitgestellt werden, weitere 235 Mrd. Forint fließen an Ausländer, die in Devisen begebene Anleihen halten. Diskontschatzbriefe werden ihre privaten Besitzer um 50 Mrd. Forint reicher machen. Aus den Einnahmen der Einkommensteuer (1.660 Mrd. Forint) ließe sich der Schuldendienst allerdings locker bewältigen. Die Umsatzsteuer spielt sogar doppelt so viel ein (3.350 Mrd. Forint), zusätzlich steuern die Bürger auf dem Wege von Verbrauchsteuern 950 Mrd. Forint und mittels Transaktionssteuer 200 Mrd. Forint bei. Die Gewinnsteuern der Unternehmen erreichen insgesamt ca. 550 Mrd. Forint, über weitere Positionen von der Kfz-Steuer für Firmenwagen bis zur Werbesteuer für Medienunternehmen kommt nochmals annähernd so viel Geld zusammen. Die e-Maut ist mit 140 Mrd. Forint zu einer wichtigen Kalkulationsgröße im ungarischen Staatshaushalt herangewachsen.
Richtig, aber unverhältnismäßig
Im Haushaltsausschuss des Parlaments kritisierten die Oppositionsparteien weniger Mittel für Gesundheit und Bildung, die überdurchschnittliche steuerliche Belastung von Menschen mit geringen Einkünften und die Verzerrung des Arbeitsmarktes durch die Ausweitung der öffentlichen Arbeitsprogramme. Der Fidesz konterte mit dem Argument, die 2010 eingeschlagene Wirtschaftspolitik konsequent fortzusetzen, deren Richtigkeit ja mittlerweile auch dem letzten Skeptiker aufgegangen sein sollte. Da bleibt selbst konservativen, will sagen der Regierung wohl gesinnten Medien nur der Hinweis auf unverhältnismäßig gesetzte Prioritäten, wenn sie mahnen, dass der ungarische Staat nicht einmal die Hälfte des EU-Durchschnitts für das Bildungswesen bereitstellt. Wenn ein einziges Fußballstadion mehr Geld bekommt, als das landesweite Turnhallenprogramm für den Schulsport…