
Dr. Thomas Narbeshuber, Geschäftsführer der BASF Hungaria Kft.: „Einmal von den Volten mancher Gesetzesänderung abgesehen, kann man die Rahmenbedingungen in Ungarn als recht stabil und wirtschaftsfreundlich bezeichnen.“
Der 150. Geburtstag des deutschen Chemieriesen BASF wurde auch in Ungarn gebührend gefeiert. Ende April lud Dr. Thomas Narbeshuber, Geschäftsführer der BASF Hungaria Kft., zu einem Festakt mit anschließender Wissenschaftsmesse in den Millenáris Park. Aus diesem Anlass unterhielten wir uns mit ihm.
Sie haben uns während Ihrer 150-Jahrfeier eindrücklich gezeigt, wie stark BASF als globales Unternehmen aufgestellt ist. Gibt es für die BASF auch mit Blick auf die Zahlen in Ungarn Grund zum Feiern?
Insbesondere in unserer Region, also Südosteuropa, gibt es Grund genug zum Feiern. Wir konnten unseren Umsatz in den vergangenen fünf Jahren bereinigt um Sondereffekte um 10 Prozent pro Jahr auf 221 Millionen Euro steigern, dem schwachen Gesamtwirtschaftswachstum zum Trotz.
Woher kommt das gute Wachstum über so lange Zeit bei sonst schwachem GPD Wachstum?
Mit unserer „We create chemistry“-Strategie fokussieren wir uns sehr stark auf innovative und damit wachsende Branchen, wie zum Beispiel die Automobilindustrie, den Agrarsektor und die Wasch- und Reinigungsmittelindustrie. Darüber hinaus liegt uns der Dialog mit unseren Kunden sehr am Herzen, wie es unser Leitsatz „Chemie, die verbindet“ schon ausdrückt. Damit stellen wir sicher, dass wir die passenden Innovationen liefern können, die unsere Kunden nach vorne bringen.
Welche Geschäftsbereiche entwickeln sich besonders gut, welche weniger dynamisch?
Besonders gut haben sich die Umsätze in den eben genannten Marktsegmenten entwickelt, sehr schwach verläuft seit Jahren der Bausektor. Dort ist vorläufig auch keine nennenswerte Erholung erkennbar, jedoch dürften wir die Talsohle erreicht haben. Das registrieren wir mit Freude, schließlich hat BASF auch auf diesem Gebiet sehr viele nachhaltige Innovationen anzubieten.
Neben dem Thema Innovationen spielte auch die Nachhaltigkeit in Ihrer Ansprache eine besondere Rolle. Was ist davon in Ungarn zu spüren?
Die Automobilindustrie in Ungarn nutzt bereits sehr oft innovative, nachhaltige Lösungen von BASF, so etwa Hochleistungskunststoffe, die Metall ersetzen und damit im Automobilbau erhebliche Gewichts- und damit Treibstoffeinsparungen ermöglichen. Ein großes Potenzial besteht nach wie vor bei der Sanierung von bestehenden Gebäuden hinsichtlich ihrer Energieeffizienz. Wären alle Gebäude nach dem heute möglichen Stand der Technik ausgerüstet, könnte man vermutlich 25 Prozent des Primärenergiebedarfs von Ungarn einsparen. Außerdem ist auch in Ungarn unser biologisch abbaubarer Kunststoff Ecovio auf dem Vormarsch. Dieser kommt etwa bei Plastiktüten, Kaffeekapseln, Einwegtrinkbechern oder Agrarfolien zum Einsatz. Wir sind in Ungarn auch innerhalb des Business Council for Sustainable Development aktiv. Dort arbeiten wir gemeinsam mit anderen beteiligten Partnerfirmen an dem Programm „Action 2020”. Dabei geht es darum, das Bewusstsein für die Notwendigkeit nachhaltigen Wirtschaftens zu stärken, indem die Partnerfirmen ganz gezielt an nachhaltigen Projekten arbeiten. Dazu bedarf es manchmal aber auch der Veränderung der Rahmenbedingungen.
Können Sie uns ein Beispiel geben?
Nehmen wir biologisch abbaubare Kunststoffe, wie etwa das eben erwähnte Ecovio von BASF. In Italien oder der Stadt San Francisco wurden konventionelle Plastiktüten gesetzlich verboten und damit biologisch abbaubare eingeführt. Diese Tüten sind kompostierbar oder werden in Biogasanlagen in wertvolle Energie umgewandelt. Das ist ein ganz praktisches Beispiel dafür, wie der Staat einen Beitrag für mehr Nachhaltigkeit leisten kann.
Wie zufrieden sind Sie insgesamt mit den Rahmenbedingungen in Ungarn?
Einmal von den Volten mancher Gesetzesänderung abgesehen, kann man die Rahmenbedingungen in Ungarn als recht stabil und wirtschaftsfreundlich bezeichnen.
Eine dieser Volten war das zur Jahreswende überraschend eingeführte Frachtkontrollsystem EKÁER. Wie sieht es momentan diesbezüglich aus? Können Sie mit dem derzeitigen Zustand leben?
Die Einführung von EKÁER ohne nennenswerte Vorbereitungsphase hat zu Rechtsunsicherheit und einem deutlich erhöhten Administrationsaufwand geführt. Dies wird sich auf absehbare Zeit nicht ändern. Wir mussten unsere Belegschaft aufstocken, um die Anforderungen zu erfüllen. Derzeit arbeiten unsere IT-Experten an einer elektronischen Lösung, dies kann aber noch einige Monate dauern. Wir hoffen, dass sich bis dahin das System nicht schon wieder geändert hat.
Wie bewerten Sie die Einführung von EKÁER rückblickend?
BASF ist der Einhaltung rechtlicher Vorschriften und ethischer Grundsätze strengstens verpflichtet und erwartet von allen Mitarbeitern, dass sie sich an diese halten. Wir begrüßen daher Maßnahmen gegen Steuerbetrug. Ob dies in Ungarn mittels EKÁER erreicht wird, müssen Sie die Steuerbehörde fragen. Die Kosten wurden in jedem Fall den Unternehmen übertragen und die mangelnde Kommunikation und Konsultation haben sicher nicht zum Ausbau des Vertrauens ausländischer Investoren in den Standort Ungarn geführt.
Sie sind ja nicht nur für Ungarn, sondern auch für die Region Südosteuropa zuständig. Wie steht Ungarn im Vergleich zu „Ihren“ anderen Ländern da?
Eine funktionierende Staatsadministration, Rechtssicherheit und eine gute Infrastruktur sind wesentliche Rahmenbedingungen, die Investoren anlocken. Dabei hat Ungarn in Südosteuropa sicher die Nase vorne.
Wie sieht es hinsichtlich des Angebots an gut ausgebildeten Nachwuchskräften aus?
Aufgrund der demografischen Entwicklung werden wir bereits sehr bald in Ungarn in wesentlichen Bereichen der Natur- und der technischen Wissenschaften einen Mangel an Arbeitskräften haben, die Abwanderung von Spitzenkräften ins Ausland noch gar nicht eingerechnet.
Was müsste der Staat hier machen?
Das Problem – und das ist nicht spezifisch für Ungarn – ist die mangelnde Begeisterung junger Menschen für Naturwissenschaft und Technik bereits im Schulalter. Schulen und Universitäten und deren Lehrkräfte – sofern nicht von der Industrie durch Drittmittel unterstützt – sind erheblich unterfinanziert. Eine Ausbildung auf Weltklasse-Niveau wäre ein echtes Differenzierungsmerkmal. Eine aktuelle OECD-Studie unterstreicht dies: Das Bruttoinlandsprodukt Ungarns könnte auf das Dreifache anwachsen, hätten alle 15jährigen eine ausreichende Grundbildung erhalten.
In Ihrem Vortrag sprachen Sie sich auch für innovationsfreundlichere Rahmenbedingungen in Europa aus. Themen der Hochtechnologie wie Gentechnik, Fracking oder Nanotechnologie sind auch in Ungarn negativ besetzt. Wie kann die gesellschaftliche Diskussion solcher Themen versachlicht werden?
Europa wird seit Jahren zunehmend Risiko-avers. Dies führt dazu, dass wesentliche Forschungsgebiete, beispielsweise die Pflanzenbiotechnologie, in andere Regionen abwandern. Wir haben vergessen, dass der Wohlstand in Europa hauptsächlich durch Innovationsleistungen zu Stande kam. Nichts weniger als dieser Wohlstand steht auf dem Spiel. Innovationen beinhalten naturgemäß Risiken, welche allerdings wissenschaftlich bewertet werden müssen, statt mit Polemik und Unwissenheit die gesamte Technologie zu verteufeln. BASF macht sich deshalb, mit anderen forschenden Unternehmen, für die Einführung des Innovationsprinzips bei der Europäischen Union stark. Es ist sehr einfach formuliert: Sobald Gesetze vorbereitet werden, soll deren Auswirkung auf die Innovationslandschaft und damit auf Wachstum und Arbeitsplätze beleuchtet werden.
Welchen Handlungsspielraum hätte Ungarn, hier etwas zu bewegen? Welche Chancen böten sich dem Land?
Ungarn und insbesondere Budapest, das ja Innovationshauptstadt des Jahres 2020 werden möchte, könnte hier eine Vorreiterrolle in Europa einnehmen. Dazu bedarf es mutiger Politiker, die in der Lage sind, die Bevölkerung für Wissenschaft und Technik zu begeistern, ihr die Risiken und die Chancen zu erklären, aber auch Konflikten mit verschiedenen Interessensgruppen standzuhalten. Darüber hinaus bedarf es einer exzellenten Schul- und Universitätsbildung wie oben erwähnt. Dies alles liegt im Vermögen einer langfristig erfolgsorientierten Regierung. Ist einmal der Grundstein für ein positives Innovationsumfeld gelegt, siedeln sich automatisch innovative Unternehmen der Hochtechnologie an, was mittelfristig zu hochqualifizierten Arbeitsplätzen, zu Wachstum und damit zu Wohlstand führt. Geschieht dies nicht, zieht die Karawane weiter. Unternehmen sind in einer zunehmend globalisierten Welt mobil, Staaten sind dies nicht.
Zur Realität gehören Politiker, die über Dinge entscheiden, von denen sie keine oder nur eine geringe Ahnung haben und Medien, denen die Ressourcen fehlen, sich über die Ebene von Klischees hinaus mit den angesprochenen Themen ernsthaft auseinanderzusetzen. Wie soll so ein vernünftiger gesellschaftlicher Dialog entstehen?
Wie das zukünftige Geschäftsmodell der Medien im Zeitalter kostenfreier Information durch das Internet aussehen kann, weiß ich nicht. Medien sollten eigentlich dem Leser die Arbeit der Informationsbewertung abnehmen. Da dies im Internet nicht mehr gegeben ist, bedarf es heute auf der Konsumentenseite einer erhöhten Kritik- und Bewertungsfähigkeit, das heißt die Leser der Informationen müssen zunehmend in der Lage sein, richtige von unrichtigen, plausible von unplausiblen Informationen zu trennen. Die herkömmlichen Schulen bereiten unsere Jugendlichen nicht darauf vor. Dazu bedarf es einer grundlegenden Änderung der Schulsysteme. Hier sind die internationalen Schulen Vorreiter.
Die BASF Hungaria ist in Ungarn mit Blick auf die Nachwuchsförderung sehr aktiv, obgleich sich Ihre Firma hier nur mit dem Verkauf von BASF-Produkten beschäftigt. Warum?
Wir haben in den vergangenen vier Jahren 10.000 ungarischen Schülern ermöglicht, in unserem Schülerlabor (BASF Kids‘ Lab) die fantastische Welt der Naturwissenschaften zu entdecken, und versuchen damit, ihre Begeisterung zu wecken. Unser Schülerlabor zielt auf die Altersgruppe von 8-12 Jahren ab. Für ältere Schüler veranstalten wir immer wieder Wissenschaftswettbewerbe, zum Beispiel „Chain Reaction“ im Jahr 2013 und „Future Heroes“ in diesem Jahr. Insgesamt möchten wir damit zur naturwissenschaftlichen Ausbildung und zu einem positiven Bild der Naturwissenschaften in der ungarischen Gesellschaft beitragen.

„Wir haben in den vergangenen vier Jahren 10.000 ungarischen Schülern ermöglicht, in unserem Schülerlabor BASF Kids‘ Lab die fantastische Welt der Naturwissenschaften zu entdecken, und versuchen damit, ihre Begeisterung zu wecken.“
In Ihrem Vortrag äußerten Sie sich sehr zuversichtlich zum Thema E-Mobilität. Viele sehen dieses Thema allerdings etwas skeptisch. Einfach wegen der objektiven Limits durch die Energie-Speicherfähigkeit von Batterien bei vertretbarer Masse.
Daran wird eifrig geforscht – und BASF steht mit an der Spitze der Forschung und Entwicklung von hochleistungsfähigen Batteriematerialien. Die Begrenzung der Reichweiten von elektrisch betriebenen Fahrzeugen stellt allerdings nicht die einzige Hürde dar, die es zu bewältigen gilt. Eine weitere ist etwa die flächendeckende Versorgung mit Ladestationen. Diese Infrastruktur muss erst geschaffen werden. Hier hat die Regierung das Potenzial erkannt und stellt in Budapest für elektrisch betriebene Autos entsprechende Schnellladestationen zum Nulltarif zur Verfügung. Insgesamt bin ich sehr zuversichtlich, dass Elektromobilität ein vielversprechender Ansatz für den urbanen Verkehr der Zukunft ist.
Welche Zusammenarbeit gibt es vor Ort bezüglich der Verbesserung der Rahmenbedingungen mit anderen großen Unternehmen bzw. Verbänden?
BASF ist in den Vorständen der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer, des Deutschen Wirtschaftsclubs, des Ungarischen Chemieindustrieverbandes und der ungarischen Pflanzenschutzvereinigung vertreten. Diese Plattformen ermöglichen uns eine gemeinsame Positionierung und den Anstoß zu Diskussionen mit der jeweiligen Behörde beziehungsweise mit der Öffentlichkeit.
Sie haben vor genau einem Jahr Ihre Position als Geschäftsführer der BASF Hungaria angetreten. Vorher waren Sie unter anderem vier Jahre in China. Was waren besondere Eindrücke dieses ersten Jahres in Ungarn?
Unsere Mitarbeiter sind sehr stark lösungs- und nicht problemorientiert und zudem sehr flexibel. Da wir hier eine recht kleine Organisation sind, gibt es bei uns die klassische Arbeitsteilung wie an größeren Standorten nur bedingt. Im Alltag müssen die Mitarbeiter eben auch mal woanders zupacken und das funktioniert hier sehr gut und professionell. Erstaunt war ich über das manchmal sehr pessimistische Bild der Ungarn über ihr eigenes Land. Ich sehe das Glas lieber halb voll als halbleer, adressiere die Probleme und packe sie an.
Wie fühlen Sie sich privat hier? Was haben Sie schon von Budapest beziehungsweise der Provinz schon gesehen? Was hat Ihnen besonders gefallen?
Ungarn ist mir als gebürtigem Wiener natürlich kulturell sehr nahe, deshalb fühlte ich mich hier nach vier Jahren in China auch sofort zu Hause. Bemerkenswert war und ist die Höflichkeit und Hilfsbereitschaft der Menschen in Ungarn, selbst wenn manchmal sprachliche Barrieren trennen. Außerdem schmecken mir – ganz profan gesagt – die ungarischen Gerichte besonders gut, die ich dann in den Hügeln von Buda auf meinem Fahrrad wieder abtrainiere. Darüber hinaus konnten meine Familie und ich bisher auch die Kulturschätze Budapests sowie die Weinregionen um Villány und Eger erkunden. Was uns bislang noch nicht gelang, ist ein Besuch des Plattensees, der aber definitiv noch in diesem Jahr ansteht.