
ZuMission accomplished: KDNP-Chef Zsolt Semjén sieht die politischen Ziele der KDNP verwirklicht. (Foto: MTI)
Die Christdemokratische Volkspartei (KDNP) hatte bislang stets die Rolle des Juniorpartners in der Regierung inne. Gleichwohl gelang es der Partei wiederholt, ihre gesellschaftspolitischen Vorstellungen durchzusetzen. Ihre Wirkungsmächtigkeit ist größer, als man aufgrund ihrer Größe annehmen könnte.
In der ersten Legislaturperiode nach der Wende hatte die KDNP einen schweren Stand, stand sie seinerzeit doch im Schatten des Ungarischen Demokratenforums (MDF), das vier Jahre lang am Ruder war (1990-1994) und als maßgeblicher Repräsentant der ungarischen Christdemokratie galt.
Als „Schwesternpartei“ des MDF vermochte die KDNP damals dennoch einen Erfolg zu verzeichnen, der in Ungarn allerdings ziemlich kontrovers aufgenommen wurde: Unter Berufung auf die Autonomie der Kirchen gelang es ihr durchzusetzen, dass die Kirchenspitzen vom Spitzelgesetz, sprich der Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit des Landes, ausgenommen wurden, ja, dass die Kirchen die Spitzel-Frage intern klären durften (In den Reihen der katholischen und reformatorischen Kirche wurde diese Frage dann auch gehörig vertuscht).
Im Gegensatz zu Privatpersonen genossen die Kirchen auch bei der Zurückerlangung ihrer früheren Immobilien und Güter (die während des real existierenden Sozialismus verstaatlicht wurden) Sonderrechte.
Schwierige Zeiten nach 1996
Nach 1996 durchlief die KDNP höchst turbulente Zeiten. Aufgrund innerer Gegensätze, die in Parteiausschlüssen und wechselseitigen Klagen gipfelten, verschwand die KDNP eine Zeitlang von der Bildfläche. Als Folge der inneren Konvulsionen war im Parlament damals dem Namen nach nicht die KDNP anwesend, sondern der Bund Ungarischer Christdemokraten (MKDSZ), obendrein nur als Anhängsel der Fidesz-Fraktion.
Ihre rechtliche Integrität erlangte die KDNP erst in der Legislaturperiode 2002-2006 zurück. Gleichwohl blieb sie unverändert ein Appendix des Fidesz und damit Teil der Fraktion der Partei von Viktor Orbán. Ihren Verbleib im Parlament hat sie seit 2006 ausschließlich dem Fidesz zu verdanken, mit dem sie stets eine „Wahlallianz“ gebildet hat. Für Viktor Orbán und seine Partei ist das Attribut „christdemokratisch“ aber insofern wichtig, als es viele religiöse Wähler in Ungarn an den Fidesz bindet.
Im Gegenzug kann sich die KDNP einer unverhältnismäßig großen Machtfülle erfreuen. Zum einen ist KDNP-Chef Zsolt Semjén als stellvertretender Ministerpräsident und „höchster Hüter der Nationalpolitik“ einer der mächtigsten Politiker des Landes, zum anderen wurden in der Vergangenheit zahlreiche Initiativen des Juniorpartners vom Fidesz aufgegriffen und unterstützt. So hat sich eine Art von Arbeitsteilung herauskristallisiert, in deren Rahmen die KDNP bestimmte Themen in der Öffentlichkeit mehr forciert.
Die Christdemokraten betrachten es denn auch als eigenen Verdienst, dass in der Präambel des neuen Grundgesetzes (seit 2011 in Kraft), dem Nationalen Glaubensbekenntnis, die „nationserhaltende Rolle“ des Christentums hervorgehoben wird. Hierher gehört auch die Erwähnung der Heiligen Stephanskrone, die für die „verfassungsmäßige Kontinuität“ und „nationale Einheit“ Ungarns steht.
Erziehung der Öffentlichkeit
Eine der fixen Ideen der KDNP ist es, dass in Ungarn keine öffentliche Bildung, sondern vielmehr eine öffentliche Erziehung notwendig ist. Im Zeichen dieses Ziels spielte die KDNP eine maßgebliche Rolle dabei, das ungarische Bildungssystem seit 2010 zu zerschlagen und auf eine neue Grundlage zu stellen – federführend war dabei die KDNP-Politikerin Rózsa Hoffmann mit der Ausarbeitung einer Bildungsreform. Im Rahmen dieser wurde unter anderem beschlossen, dass Schüler der Grundschule bis vier Uhr am Nachmittag in der Schule bleiben müssen. Zudem wurde der Religionsunterricht – oder alternativ der Ethikunterricht – verpflichtend gemacht.
Ihren wichtigsten politischen Vorsatz haben die Christdemokraten von den ehemaligen Kleinlandwirten übernommen: „Gott, Heimat, Familie“. Die Familie ist nach Lesart der KDNP ein Modell, in dem es nur einen Einkommensbezieher gibt; der Frau kommt hierbei eine traditionelle Rolle zu, sie hat die Kinder zu erziehen, am häuslichen Herd zu stehen und am Sonntag mitsamt ihrer Familie den Gottesdienst zu besuchen.
KDNP-Vorsitzender Zsolt Semjén hat die einschlägige Haltung seiner Partei einmal so zusammengefasst: „Die Christdemokratische Volkspartei ist die einzige politische Kraft in der Politikgeschichte Ungarns, die seit ihrer Gründung bewusst und konsequent auf der Grundlage des Naturrechts steht. Es ist unsere Überzeugung, dass das Parlament nur solche Gesetze verabschieden darf, die aus der natürlichen Ordnung der Dinge abzuleiten sind oder dieser zumindest nicht zuwiderlaufen. (…) Die Gesellschaft ist eine Gemeinschaft der Gemeinschaften und nicht eine eklektische Masse von Individuen. Es kann natürlich sein, dass jemand aus natürlichen oder gar übernatürlichen Gründen nicht in einer Familie lebt, die natürliche Ordnung der Gesellschaft besteht jedoch aus Familien, und sie gründet auf Familien.“

Realität als Nebensache: Fraktionsvorsitzender Péter Harrach meint, der einkaufsfreie Sonntag entspricht einem gesellschaftlichen Bedürfnis. (Foto: MTI)
Sind alle Ziele erreicht worden?
KDNP-Chef Zsolt Semjén erklärte kürzlich, dass alle Ziele der KDNP erreicht worden seien, sofern die Institution des Privatkonkurses in Gesetz gegossen werde (Dies soll bald geschehen). Semjén irrt allerdings. Die KDNP scheiterte nicht nur mit ihrem Ziel, die kirchliche Hochzeit verbindlich zu machen (wobei Semjén einer der lautesten Fürsprecher dieser Idee war), sondern auch mit ihrer Initiative, die Wahl des Staatsoberhauptes dem ungarischen Wahlvolk zu überantworten (Der Staatspräsident wird nach wie vor vom Parlament gewählt).
Dennoch: Das Gros ihrer Ziele vermochte die KDNP zu verwirklichen. Dies wirft unweigerlich die Frage auf, ob die Partei wirklich so mächtig ist. Die Antwort: Nein. Vielmehr ist zu sehen, dass KDNP und Fidesz im Laufe der vergangenen Jahrzehnte miteinander völlig verschmolzen sind. Was also von den Zielen der KDNP verwirklicht wird, entspricht auch dem Willen und den Vorstellungen von Viktor Orbán und der Fidesz-Führung.
So verhält es sich auch mit dem einkaufsfreien Sonntag, der ein originäres KDNP-Projekt ist (ebenso wie die kläglich gescheiterte und von vielen verlachte Verkuppelungsinitiative „Darf ich zum Tanz bitten?“, die auf die ungarische Jugend abzielte). Der einkaufsfreie Sonntag wurde von der KDNP bereits 2007 aufs Tapet gebracht. Der KDNP-Fraktionsvorsitzende Péter Harrach argumentierte damals wie folgt: „Worauf läuft dieser Anspruch hinaus? Dass der Sonntag der Familie, den Freunden, der Muße gehören soll, und erst recht den gläubigen Menschen. Der sonntägliche Ruhetag lässt sich nicht durch einen anderen Wochentag ersetzen. Er wird insofern einem gesellschaftlichen Bedürfnis gerecht, als am Sonntag weder die Familienmitglieder noch die Freunde arbeiten.“ Nach anfänglichem Zögern und Geplänkel innerhalb des Fidesz schwenkte die größere Regierungspartei schließlich auf die Linie der KDNP ein – dem Vernehmen nach auf ein Machtwort von Viktor Orbán hin. So konnten die Christdemokraten auch dieses Thema erfolgreich abhaken: „Mission accomplished!“