Was haben ein Pferdepostbote, eine im Rollstuhl sitzende Bloggerin und der Brückenmeister der Budapester Kettenbrücke gemeinsam? Sie alle sind Ungarn mit einer interessanten, teils ungewöhnlichen Geschichte, über die Autor Sebastian Garthoff und Fotograf Daniel Kaldori berichten. Ort des Geschehens ist das Onlinemagazin-Format „Szenen aus Budapest“. Die Budapester Zeitung traf die beiden Männer zum Gespräch.
Es ist das „Ungarn abseits der Schlagzeilen“, das Sebastian Garthoff und Daniel Kaldori erkunden gehen, wenn sie sich in Ungarn für Recherchen treffen. In ihren Reportagen, die sie der Öffentlichkeit unter dem Titel „Szenen aus Budapest“ auf der Online-Publikations-Plattform Readymag zugänglich machen, sind es nicht die Aktualpolitik, die Tageszeitungsthemen, die die Hauptrolle spielen. Stattdessen stellen die beiden Menschen mit besonderen Hintergründen vor oder besuchen Orte in Ungarn, die jenseits von Touristenmassen und dem Scheinwerferlicht der Medien faszinieren. Der 31-jährige Sebastian lebt mittlerweile in Berlin, Daniel (39) noch in Budapest. Trotzdem kommen die beiden immer wieder in Ungarn zusammen und recherchieren neue Themen, die sie dann in der Reportage-Reihe verarbeiten können.
Sebastians Interesse an Ungarn begann – wie so oft – mit einer Frau: Erika Marozsán heißt sie, eine natürlich schöne, brünette Frau mit blauen Augen. 1999 spielte sie in dem deutsch-ungarischen Spielfilm „Gloomy Sunday“ mit, als der Wahl-Berliner sie das erste Mal sah. Bei einer Klassenfahrt 2002 nach Budapest kam die Liebe zur ungarischen Hauptstadt hinzu. Nach dem Abitur fand Sebastian sich dann erneut in Budapest wieder, „im Herbst 2006, als es gerade hoch herging.“ Gemeint sind die Straßenunruhen, die folgten, nachdem der damalige Premier Ferenc Gyurcsány in privaten Aufnahmen Lügen seiner Partei MSZP (Sozialisten) gestand. „Das war eine interessante Zeit, in Budapest anzukommen“, erinnert sich Sebastian, der damals zunächst ein Praktikum bei der deutschsprachigen Wochenzeitung Pester Lloyd absolvierte. Anschließend begann er auch dort zu arbeiten; daneben erlangte er seinen Abschluss in Mitteleuropäischer Geschichte an der Central European University.
Vereint durch Paprika
2008 arbeiteten Sebastian und Daniel das erste Mal eher zufällig zusammen, als sie im südungarischen Kalocsa, dem Zentrum des Paprika-Anbaus, über das wichtige ungarische Gewürz berichten sollten. „Was wir allerdings nicht wussten: Die Paprika wird im Spätsommer und Herbst geerntet – wir waren aber im Frühling da”, erzählen die beiden lachend. Bei der Geschäftsreise mit unerwartetem Ausgang entdeckten der Journalist und der Fotograf ihre ähnlichen Blickwinkel auf ungarische Themen. Im Anschluss taten sie sich immer wieder für gemeinsame Projekte zusammen.
Im Frühjahr 2009, als die Printausgabe des Pester Lloyd eingestellt wurde, kehrte Sebastian wieder nach Deutschland zurück, wo er für die Lokalredaktion der Thüringer Allgemeine zu schreiben begann. „Ich wollte auch mal über einen Kaninchenzüchter-Verein schreiben“, sagt er über seinen Entschluss, „und das journalistische Handwerk wirklich von der Pike auf kennenlernen.“ Mittlerweile lebt er mit seiner Frau in Berlin – die beiden erwarten in Bälde Nachwuchs – und arbeitet für eine Medienbeobachtungsfirma.
Abenteuer Reiseführer
Daniels Weg verlief etwas anders. Der Fotograf wurde in Budapest geboren, seine Familie zog allerdings mit ihm nach Wien, als er noch ein Kind war. Seine fotografische Leidenschaft begann, als Daniel mit 13 Jahren die Kamera seines Vaters auslieh, seine ersten Bilder schoss und sich einige Bücher zum Thema kaufte. Am liebsten hätte er nach dem Schulabschluss Fotografie studiert – damals gab es in diesem Feld jedoch noch keine große Auswahl an Studiengängen. „Ich habe dann Architektur studiert, bin aber noch rechtzeitig abgesprungen und habe meine Jugendliebe Fotografie gewählt und eine dreijährige Fachschule für Fotografie absolviert“, erzählt Daniel. Nach der Ausbildung arbeitete er als Fotoassistent und machte sich nach einer Weile selbständig – zunächst in Österreich, dann in Ungarn. Zurück kam Daniel ebenfalls wegen der Liebe: „Misi, unser zweijähriger Sohn, ist das schöne ‚Produkt‘ unserer Beziehung“, schwärmt er. „Ich habe dann für die mittlerweile verblichene ‚Független Hírügynökség‘ (unabhängige Nachrichtenagentur, Anm.) gearbeitet. Zurzeit mache ich Auftragsarbeiten, arbeite als Fotojournalist und mit Sebastian an unseren Reportagen.“
Doch auch ein anderes großes Projekt konnten die beiden Kreativen gemeinsam verwirklichen: Im Oktober 2014 erschien ihr erster Reiseführer beim Bruckmann Verlag, „Budapest – Zeit für das Beste“. Auf 288 Seiten wird Budapest darin mit all seinen Sehenswürdigkeiten vorgestellt, ohne die intimen, auch weniger touristischen Aspekte außer Acht zu lassen. Die Arbeit an dem Buch war so abenteuerlich, dass die beiden auf Readymag sogar einen mehrseitigen Eintrag dazu veröffentlichten. „Unter anderem haben wir uns in Visegrád den Fuß verstaucht und einen Sonnenstich geholt“, berichtet Daniel schmunzelnd. „Außerdem war die Stadt auch zur Zeit unserer Recherchen bereits voll mit Baustellen. Dabei schöne Fotos machen war nicht einfach.“ Den fertigen Reiseführer in der Hand zu halten, macht Sebastian und Daniel trotzdem stolz. Beide konnten Budapest durch die Arbeit an dem Buch noch viel besser kennenlernen, stammen doch alle Texte und Fotos im Buch, selbstverständlich, von ihnen selbst.
Ungarn für Liebhaber
Die „Szenen aus Budapest“ gibt es seit Ende 2013. „Wir haben einfach beim Berliner Collegium Hungaricum angefragt, ob sie nicht Interesse an einer Reportage-Reihe für die Webseite des Kulturinstitutes hätten, und da waren sie sehr offen und haben gleich zugesagt.“ 28 modern illustrierte Geschichten sind dort mittlerweile nachzulesen. Besonders Daniel ist froh über das Format, da es – anders als Artikel sonst – viele Fotos zulässt. Ziel von Sebastian und Daniel wäre es, die Texte in Buch- oder Magazin-Form auch gedruckt zu publizieren. „Natürlich ist das eher ein Liebhaberformat, da wir nicht über das Neueste berichten, was Orbán gesagt hat, sondern eben über das abseitige Ungarn jenseits der großen Schlagzeilen.“ Trotzdem konnten die „Szenen aus Budapest“ bereits viele Stammleser finden, auch ohne die Werbetrommel zu rühren.
Die Lieblingsorte der beiden im großen, aufregenden Budapest sind eher Ruhepole: Cafés zum Beispiel, wie die unzähligen in der Pozsonyi út in Újlipótváros. „Ich bin hier sehr gern, wegen der tollen Stimmung“, so Daniel. „Außerdem verbinde ich auch Kindheitserinnerungen mit dem Stadtteil. Hier ist einfach mehr Platz, man kann seine Ruhe haben oder die Innehöfe der Gegend erkunden.“ Sebastian hat das Kamara Café gegenüber der Großen Synagoge am Anfang der Dohány utca ins Herz geschlossen und ist dort seit Jahren regelmäßiger Gast. „Dort hat vor neun Jahren alles angefangen“, erzählt er. „Ich habe dort viele schöne Momente verbracht und sie auch im Reiseführer erwähnt. Wenn es das Café irgendwann nicht mehr gäbe, was ja passieren kann, wäre ich schon traurig.”
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