Das Zentralamt für Statistik (KSH) publizierte auf über 100 Seiten eine Bestandsaufnahme des vergangenen Jahres. Wir blätterten uns für unsere Leser durch ein Zahlenmeer und fanden neben vielen bekannten auch manch verblüffende Daten.
In den vergangenen zwei Jahren verzeichnete Ungarn ein recht anständiges Wirtschaftswachstum. Es keimen neue Hoffnungen auf, dass der Rückstand zu Europa nicht unablässig größer wird. An dem Aufwärtstrend hatten die „produktiven“ Bereiche Industrie, Landwirtschaft und Bauwesen erheblichen Anteil. In der Landwirtschaft erhöhte sich die Wertschöpfung im Jahre 2014 um stattliche 13 Prozent, die Einkommen der in der Branche tätigen Unternehmen mehrten sich sogar um 17 Prozent. Die so oft verächtlich betrachtete Arbeitsproduktivität legte um elf Prozent zu. Der Agrarsektor konnte seinen Produktausstoß im vergangenen Jahr dem Volumen nach um 9,6 Prozent steigern, was neben um 4,9 Prozent fallenden Erzeugerpreisen im Wert noch für +4,2 Prozent gut war. Im Ackerbau wurden überdurchschnittliche 13 Prozent verzeichnet, in der Tierproduktion waren es 5,6 Prozent.
Wärmstes Jahr brachte Rekordernte
Maisertrag und Apfelernte fielen um ein Drittel höher als 2013 aus, bei dem neuen Schlageranbauprodukt Raps war es mehr als ein Viertel, bei Getreide ein gutes Fünftel. Ein verhalteneres Plus kam bei Kartoffeln (+12 Prozent) und Obst (+9,7 Prozent) zustande. Allerdings hatten die Bauern nicht in jedem Fall ungetrübte Freude an den Erträgen, denn die Erzeugerpreise purzelten für Kartoffeln, Obst und Futterpflanzen um knapp ein Fünftel in den Keller. Die ausgezeichneten Ernteerträge lassen sich in erster Linie auf die idealen Witterungsverhältnisse zurückführen. Denn 2014 war das wärmste Jahr seit Beginn der Wettermessungen in Ungarn überhaupt. Auf einen erstaunlich milden Winter folgte ein ausnahmsweise niederschlagsreicher Februar. In den Sommermonaten entwickelte sich lediglich im Juni eine Dürreperiode, in den gewöhnlich heißesten Monaten Juli und August regnete es hingegen zur Genüge. Und auf den feuchtwarmen Sommer folgte ein milder Herbst – die Landwirte durften sich die Hände reiben.
So wurden mehr als 7,7 Tonnen Mais pro Hektar geerntet – das bedeutete eine Ertragssteigerung gegenüber 2013 um gut 42 Prozent! Bei Zuckerrüben legte der Hektarertrag um ein Viertel auf 66,4 Tonnen, bei Raps um ein Fünftel auf 3,2 Tonnen zu. Rekordernten gab es bei Mais und Raps zu feiern: 9.169.000 Tonnen Mais (+36 Prozent gegenüber 2013) wurden selbst im Maisland Ungarn nie zuvor von den Feldern geholt, wogegen sich 680.000 Tonnen Raps (+28 Prozent) doch bescheiden ausnehmen. Die wiederentdeckte gelb blühende Rapspflanze hat den Hülsenfrüchtler Luzerne (knapp 600.000 Tonnen) inzwischen nach Anbaufläche und Ertrag verdrängt. Ebenso gehören Sonnenblumen (1.555.000 Tonnen) und Zuckerrüben (1.010.000 Tonnen) nicht mehr zu den Favoriten ungarischer Bauern.
Bei Letzteren, für die wegen der EU-Binnenmarktaufteilung eine einzige Zuckerfabrik in Ungarn übrig geblieben ist, konnte der 2014 erzielte hohe Hektarertrag immerhin die ständig schrumpfenden Anbauflächen kompensieren. An Gerste wurden im Vorjahr 1.279.000 Tonnen geerntet, der Hektarertrag von 4,5 Tonnen fiel ein Zehntel höher als noch 2013 aus. Die zweite große Pflanzenkultur auf landesweit 2,8 Mio. ha Agrarflächen ist in Ungarn neben Mais natürlich Weizen. Der Hektarertrag von 4,7 Tonnen lag nur geringfügig über dem ein Jahr zuvor erzielten Wert, dank leicht ausgeweiteter Anbauflächen ergab sich eine Weizenernte von 5.235.000 Tonnen, die ein Fünftel üppiger als im Mittel der letzten fünf Jahre ausfiel.
Produktschwemme drosselte die Aufkaufpreise
In der Tierzucht zeigt seit 2010 einzig der Rinderbestand stetig aufwärts; im Vorjahr wurden in Ungarn über 800.000 Rinder gezählt – 120.000 mehr als vier Jahre zuvor. In der Schweinehaltung scheint der Tiefpunkt von 2012, als der Bestand unter drei Millionen Stück sank, endgültig überwunden, denn die anstehende Mehrwertsteuersenkung für Schweinefleisch auf 5 Prozent erhöht natürlich die Attraktivität dieses Haustiers für die Bauern. Die im Vorjahr gezählten 3.136.000 Schweine blieben noch um 30.000 Stück gegenüber dem Bestand von 2010 zurück. Die Schafherden im Lande bewegen sich da weitgehend stabil um 1,1-1,2 Mio. Stück. Bei Geflügel war der Tiefpunkt 2013 erreicht, als der Gesamtbestand in Ungarn unter 38 Mio. Stück sank. Seither wurde ein weiterer Negativrekord von kaum mehr als 1 Mio. Gänsen registriert, wie auch 4,3 Mio. Enten gerade noch drei Viertel des Bestandes von 2010 ausmachen. Außerdem zählte das KSH landesweit knapp 2,8 Mio. Puten und 30,5 Mio. Hühner – in beiden Kategorien ging es wieder leicht bergauf.
Die Bauern dürfen allgemein mit einem verbesserten Marktabsatz rechnen. Die goldene Zeit der Jahre 2010-2012 ist jedoch vorbei; die Produktschwemme hat die Aufkaufpreise um insgesamt nahezu 15 Prozent gedrosselt. Gegen den Abwärtstrend hielt im vergangenen Jahr eigentlich nur der Milchpreis (+6 Prozent) an. Neuinvestitionen der Landwirte kam zupass, dass sie für wichtige Kostenkomponenten wie Futtermittel, Kunstdünger und Energie 4-11 Prozent weniger bezahlen mussten.
Automobilwerke ziehen ganze Regionen mit
Die Industrie Ungarns wird zu gut neun Zehnteln durch das verarbeitende Gewerbe geprägt. Dessen Ausstoß legte 2014 um überdurchschnittliche 8,6 Prozent zu. Beim Flaggschiff Fahrzeugindustrie ist das Exportgeschäft maßgeblich, dessen Zuwachs von 21 Prozent aber mit 29 Prozent vom Inlandsmarkt in den Schatten gestellt wurde. Das Plus der im heutigen Ungarn leider nur noch marginalen Textil- und Lederindustrie von 16 Prozent ist ebenfalls überwiegend dem Fahrzeugbau zu verdanken. Am Ende des Jahres lag der Auftragsbestand des verarbeitenden Gewerbes um ein Fünftel höher, als ein Jahr davor, was für 2015 auf eine Fortsetzung des Aufwärtstrends hoffen lässt. Doch während der Auftragsbestand in der Fahrzeugindustrie um ein Zehntel zulegte, verdreifachte (!) er sich in der Pharmaindustrie. Innerhalb Europas legte die Industrieproduktion 2014 nur in Irland schwungvoller als in Ungarn zu.
Großunternehmen mit mindestens 250 Mitarbeitern stehen für 70 Prozent der Industrieproduktion des Landes – diese Unternehmensgruppe generierte ihr Wachstum im Vorjahr wieder beinahe ausschließlich auf Außenmärkten. Der Mittelstand steuert ein Fünftel der Produktion bei. Die Kleinfirmen mit bis zu 50 Mitarbeitern leben gewöhnlich vom Inlandsmarkt, doch selbst in diesem Kreis zeigte sich eine sechsmal höhere Absatzdynamik im Ausland.
Die Mitarbeiterzahl in Industriebetrieben wuchs 2014 um 2,5 Prozent, der Ausstoß pro Angestellten um 5,1 Prozent. Im verarbeitenden Gewerbe wurde ein Produktivitätszuwachs gegenüber 2013 von 5,9 Prozent gemessen, darunter in der Fahrzeugindustrie von 9,7 Prozent. Wenig überraschend ging es mit der Produktivität des Energiesektors weiter bergab (-8,6 Prozent). Mittelungarn mit der Hauptstadt Budapest und dem Komitat Pest, also gewissermaßen dem „Speckgürtel“ sowie den weniger geballten Gebieten am Rande von Pest, erwirtschaftete 2014 ein Industrievolumen von 5.500 Mrd. Forint. Dank der Fahrzeugindustrie schoss der Ausstoß in West-Transdanubien um 18 Prozent auf 4.900 Mrd. Forint nach oben, womit Zentral-Transdanubien mit 4.700 Mrd. Forint auf den 3. Platz im Regionalvergleich verwiesen wurde. In ähnlicher Weise hängte die Südliche Tiefebene mit 3.000 Mrd. Forint (+16 Prozent) die Nördliche Tiefebene ab. Nicht schwer zu erraten, dass sich die zwei großen Automobilwerke von Audi und Mercedes in den beiden besonders dynamisch wachsenden Regionen Ungarns befinden.
280 Wohnungen in Nordungarn
Im Baugewerbe wurde der Tiefpunkt 2012 durchschritten, im vergangenen Jahr übertraf die Bauleistung 2.000 Mrd. Forint. Der Auftragseingang fiel jedoch gegenüber 2013 um 17 Prozent zurück. Dass die Branche weiterhin auf schwachen Beinen steht, zeigt der Wohnungsneubau, der selbst mit einem Plus von 15 Prozent und 8.360 Wohnungen nicht einmal ein Fünftel des Vorkrisenniveaus erreichte. In den drei Komitaten Nordungarns wurden zusammengenommen nur 280 Wohnungen bezugsfertig – statistisch zweieinhalb Wohnungen auf 10.000 Einwohner. Bei derart geringen Aktivitäten ist wenig verwunderlich, dass Neubauten am Wohnungsmarkt gerade mal einen Anteil von 2,5 Prozent erreichen.
Die ersten beiden Teile der Serie können Sie hier („Zahlenspiele mit Milliardenbeträgen“) und hier („Bürger schnuppern Wohlstand“) nachlesen.