Die Notenbank will nur von wenigen solchen Fällen wissen, im Kreis der Devisenkreditnehmer ist jedoch überall dort Unzufriedenheit anzutreffen, wo die Schuldner nicht die vom Staat „versprochenen“ 25 Prozent weniger tilgen müssen. Häufig sind die Belastungen sogar weiter gestiegen – allen Eingriffen der Fidesz-Regierung zum Trotz oder vielleicht gerade deshalb.
Die Tilgungsraten dürfen in keinem einzigen Fall über dem im Januar 2015 fixierten Niveau liegen, erklärte der Sprecher der Ungarischen Nationalbank (MNB), István Binder, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Freilich bezog sich seine Äußerung auf die Gruppe jener besonders angeschlagenen Schuldner, die mit der ständig steigenden Tilgungssumme ihrer Fremdwährungskredite schon früher überfordert waren. Für diese Kreditnehmer hatte sich die Regierung eine besondere Konstruktion der „fixierten Wechselkurse“ ausgedacht, bei der die Schulden in zwei Portionen aufgeteilt wurden, woraufhin die Schuldner fortan nur noch einen festgezurrten Betrag zahlen sollten (die „unberührte“ Restschuld ist nach Ablauf von fünf Jahren abzutragen). Diese Konstruktion basiert auf der naiven Vorstellung, die Menschen würden mit der Zeit schon wieder mehr Geld verdienen und also auch dem Schuldenberg mit einer gestärkten Brieftasche entgegentreten können.
Obgleich der Staat und die Banken dem Schuldner auf dem Papier jeweils ein Drittel der Kosten in einer Art Solidargemeinschaft abnehmen, braucht man kein Mathegenie zu sein, um dahinter zu steigen: Der „Gerettete“ wird fünf Jahre später viel mehr Geld zurückzahlen müssen. Natürlich handelt es sich hier um wahrhaft gestrandete Existenzen, Menschen, die durch die Krise ihrer Existenzgrundlage beraubt wurden, und solche, denen die Banken auch zu Friedenszeiten nie einen Kredit hätten ausreichen dürfen. (Diese moralische Mitschuld, entspringend aus der Gier der Banken, bloß nicht das Jahrhundertgeschäft zu verpassen, hat der Bankensektor unter dem Druck der Regierung in der Zwischenzeit eingestanden.)
Im Dienste der kleinen Leute!?
Der Fidesz wiederum wollte es allen Recht machen: den Schuldnern, weil man zu viele Wählerstimmen zu verlieren fürchtete, den Banken, die man mit der Schlusstilgung von 2011/12 noch anstandslos über den Tisch gezogen hatte, aber auch den Bürgern und Steuerzahlern, die sich aus Achtsamkeit nicht in Devisen verschuldeten und nun doch die Zeche für den Leichtsinn anderer zahlen sollen. Ministerpräsident Viktor Orbán behauptet auf die Fremdwährungskredite angesprochen bis heute, die Gerichte hätten der Regierung die Hände gebunden – was man tun konnte, habe man getan. Das ist natürlich eine sehr simplifizierende Sicht der Dinge, die Orbán nur die borniertesten Anhänger abnehmen.
Es reicht wohl darauf zu verweisen, dass die Gesetze, auf die sich alle Gerichtsinstanzen heute berufen, erst unlängst von der mit Zweidrittelmehrheit regierenden Fidesz-KDNP-Koalition im Dienste „der hart arbeitenden, kleinen Leute“ verabschiedet wurden. Fakt ist,
dass der Spagat bestenfalls in Orbáns Kopf gelingen konnte, in der Realität hofften die Strategen der Regierungspartei, das Thema mit der Zeit aus den Schlagzeilen zu verdrängen.
Die MNB spricht heute noch von „durchschnittlich“ 25 Prozent Kostenvorteilen der Schuldner, dabei ist dieser Knochen schon längst abgeknabbert. Egal wie die Finanzexperten der Notenbank den Durchschnittsvorteil auch kalkuliert haben mögen, es verhält sich wie mit dem Börsenspekulanten, der aller Welt die Ohren volljammert, wenn die Kurse plötzlich einbrechen. Dann ist die Rede von enormen Verlusten – wie viel der Spekulant im Vorfeld an Gewinnen gescheffelt hat, bindet er uns natürlich nicht auf die Nase. Den Devisenkreditnehmern geht es im Prinzip genauso, nur dass sie auf der Verliererseite stehen, nachdem sich die Banken mit dem Staat arrangieren konnten. Wem die Bank die Tilgung auf das Zwei- bis Dreifache hochgeschraubt hat, der wird logischerweise weder mit 25 noch mit 50 Prozent Kosten-„Rückerstattung“ ins Gleichgewicht zurückfinden.
Restschuld höher als Ausgangsschuld
Deshalb sollen hier ganz konkrete Beispiele folgen, die nicht eben deckungsgleich mit der Staatspropaganda sind. Es dürfte Konsens sein: Wer einen Kredit aufnimmt, muss ihn auch zurückzahlen. Auf Heller und Pfennig, hieß es früher, mit Zins und Zinseszins. Das wollen auch die Kreditnehmer. Warum sie nach all den Rettungsaktionen dennoch unzufrieden sind?
Eine Familie nahm im Januar 2008 17 Mio. Forint auf und zahlte seither ohne jeden Verzug 17.618.000 Forint zurück. Nach erfolgter „Abrechnung mit der Bank“ bleiben 18.290.714 Forint als Restschuld. Die monatliche Tilgungsrate ist mit 188.331 Forint genauso hoch wie vor einem Jahr. Doch sie könnte bald steigen, denn der Zins war bislang auf Jahre fixiert, mit der Umstellung des Darlehens auf Forint wird die Bank aber schon nach einem Jahr an der Zinsschraube drehen können.
Andere sehen acht Jahre vergeblicher Abzahlungen, aus 7,5 Millionen wurden in der Zwischenzeit 7,9 Millionen, das Verfassungsgericht lehnte eine Klage ab, nun bleibt ihnen Strasbourg. Die Leute verstehen nicht, wenn sie über Jahre hinweg den Preis für ein Haus abgezahlt haben, wofür ihr gesamtes Erspartes und alle Einkünfte der letzten Jahre verheizt wurden, warum sie heute mit der Tilgung praktisch wieder beim Ausgangsniveau anfangen müssen. Viele Familien hat der Fremdwährungskredit vollständig ruiniert.
Ein anderer Devisenkreditnehmer bedankt sich für monatliche Mehrkosten von 25.000 Forint, weil die Regierung ja den Familien helfe. Er rechnet mit immer mehr Selbstmorden und Obdachlosen. Der nächste verweist auf das Wechselkursregime, das den Forint bis 2008 in einem Band von +-15 Prozent an den Euro band. Erst wurden die Leute mit Fremdwährungskrediten angefüttert, dann der Forintkurs liberalisiert. Wenn eine Bank bei der Kreditvergabe überhaupt vor dem Kursrisiko warnte, dann mit dem Hinweis, mehr als 30 Prozent könnte der Forint nie schwanken.
Mehr Verwaltungskosten als Tilgung
Immer wiederkehrend zu hören, ist das Argument, wonach die „auf Devisenbasis ausgereichten Darlehen“ nie auch nur einen Schweizer Franken oder Euro gesehen hätten. Die Banken konnten Devisenpositionen öffnen und schließen, wie ihnen das im Tagesgeschäft gelegen kam; mit den Kreditausreichungen hatte das nur bedingt zu tun. Es gibt Beispiele von im Ausland arbeitenden Kreditnehmern, deren Euro-Überweisungen zunächst in Forint und dann weiter in Franken umgetauscht wurden – selbstverständlich nicht zum Nulltarif. In einem Fall mit Kreditabschluss Mitte 2006 wurden dem Kunden jetzt knapp 580 CHF an „unkorrekt“ berechneten Tauschkursbeträgen zurückerstattet. An einer Vortilgung von gut 30.000 CHF (in Devisen!) aus dem Jahre 2009 verdiente die Bank derweil 1.260 CHF – das bescheinigt sie dem Kunden schwarz auf weiß in ihrer „Abrechnung“ auf der Grundlage der Fidesz-Gesetze, mit denen die Geldhäuser angeblich zur Rechenschaft gezogen werden.
Einem Kunden wurde die Rate von 32.000 auf 76.000 Forint im Monat angehoben. Ist das kein Wucher? Ein anderer flüchtete in die Konstruktion der „fixierten Wechselkurse“, weil er die von 45.000 auf 150.000 Forint (!) im Monat angestiegene Rate nicht mehr bedienen konnte. Das brachte eine „entspannte“ Monatsrate von 106.000 Forint, wovon nur ein Viertel an Kapital getilgt, die Hälfte für Zinsen und ein Viertel für die Verwaltungskosten der Bank – knapp 100 Euro monatlich für einen Kredit – zu zahlen sind!
Zur Erinnerung: Die meisten Kredite wurden in Schweizer Franken zu Kursen zwischen 145 und 185 HUF/CHF vergeben – daran angelehnt wickelte der Fidesz die Schlusstilgung zu 180 HUF/CHF ab, an der die Banken rund 250-300 Mrd. Forint verloren. Als im vergangenen Jahr endlich die Rechtsnormen für die Umstellung der Fremdwährungskredite in Forint zusammengebastelt worden waren, bewegte sich der Kurs zwischen 240 und 260 HUF/CHF, die Position der Kreditnehmer hatte sich im Vergleich zur Schlusstilgung um 40 Prozent verschlechtert. Die Zinsen befinden sich jedoch im Keller; die Banken hätten ihren Schuldnern etwas Luft gewähren können. Stattdessen müssen jetzt viele Kreditnehmer mit zwei-, dreifachen Raten fertigwerden; hier wurden demnach alle den Banken vom Staat aufgebürdeten Kosten aus Sondersteuern und Auflagen nach besten Kräften auf die Kunden abgewälzt.
Leider kommt man bei diesem Verhalten von Seiten Staat und Banken nicht um die Schlussfolgerung herum, sie wollen die Bürger wirklich für ein Leben davon „heilen“, sich zu verschulden. Das Jahrhundertgeschäft der Fremdwährungskredite kostete die unbedarften kleinen Leute eine Unsumme Geldes, die vielleicht nie jemand genau erfassen wird, die Banken zahlten letztlich im Konflikt mit der Fidesz-Regierung mehrere Milliarden Euro, die Notenbank kassiert mindestens eine Milliarde Euro. So sieht die Spieltheorie in der ungarischen Praxis aus.