Egal, ob Innenstadt oder grüner Vorort, viele Menschen können sich ihr Leben ohne ihren geliebten vierbeinigen Mitbewohner schlicht nicht vorstellen. Umso schockierender sind die Bilder, die von Aktivisten in Ungarn im sozialen Netzwerk Facebook und andernorts online geteilt werden. Denn Tierschutz ist in Ungarn vielerorts ein Fremdwort.
„Die rechtlichen Rahmenbedingungen und Gesetze sind absolut ausreichend“, erklärt Anita Tornoczky, Leiterin der Állatvédőrség, dem Ungarischen Tierschutzbund. Tatsächlich gibt es in Ungarn seit mehr als zehn Jahren ein Gesetz, welches das Quälen von Tieren als Straftat deklariert und bis zu drei Jahre Haft vorsieht.
Rechtslage eindeutig – Wirklichkeit schockierend
Der Tierschutz gehört in Ungarn in die Zuständigkeit des Nationalen Amtes für die Sicherheit (Nebih) der Nahrungsmittelkette. Auch im Amt hält man die juristische Situation für gut geregelt: „Neben den EU-Richtlinien umfasst das ungarische Recht noch weitere Felder, wie die Haustiere und die Haltung von gefährlichen Tieren. Die Umsetzung der Gesetze obliegt der Stadtverwaltung, dem Amt für Tierschutz und in besonderen Fällen dem Amt für Umweltschutz. Im Falle des Verdachtes auf Tierquälerei nimmt die Polizei Ermittlungen auf.“ Sowohl Nebih als auch der Tierschutzbund sind sich indes einig, dass der Großteil der Tiere heute nicht bewusst und willentlich von ihren Besitzern misshandelt wird. Vielmehr wissen die Halter einfach nicht, was gut für das Tier ist.
Gabriele Jacoby ist seit 2008 im Tierschutz bei Animalife aktiv, einer Organisation, die sich dem Tierschutz in Griechenland – und mittlerweile auch in Ungarn verschrieben hat. Was sie beschreibt, deckt sich mit den Erfahrungen vieler Tierschützer: „Es gibt eine immer schlimmer werdende Überbevölkerung bei den Tieren. Oftmals wollen gerade Männer nicht, dass ihre Hunde kastriert werden, sie „gönnen ihnen den Spaß“. Das Ergebnis sind immer mehr Hunde und Katzen, die keiner will.“ Auch Zsanett Molnár von der Zivilorganisation FAPF (Foundation for Animal Protection Füzesabony) sieht in der fehlenden Sterilisation das größte Problem: „Wir führen einen Windmühlenkampf, solange es keine Pflicht zur Sterilisation gibt.“ Dabei würde sich wirksamer Tierschutz gerade hier zeigen. Um dies auch gesetzlich zu verankern, bräuchte es vor allem Lobbyarbeit, doch dafür hat Zsanett keine Kapazitäten. Wie viele andere Tierschützer auch engagiert sie sich neben einem 40-Stunden-Job und auf eigene Kosten für ihre Schützlinge. „So bleibt einfach nur zum Brandlöschen Zeit.“ Brandlöschen bedeutet in diesem Fall, Tiere aus gefährlichen, unwürdigen und quälenden Situationen zu befreien. Dies ist nicht immer leicht.
Mit Geduld zum Ziel
„Je bekannter wir sind, desto mehr Anrufe bekommen wir, dass Hilfe benötigt wird“, erklärt Zsanett. Die Rettungen laufen nach zwei Mustern ab: Entweder ist ein Tier allein unterwegs, am Straßenrand angebunden oder in sonst einer misslichen Lage. Der Notruf geht zu einer der Hilfsorganisationen ein, Freiwillige machen sie sich dann auf den Weg, um das Tier einzufangen. Das ist oftmals schwierig, denn die Tiere sind verängstigt und hungrig. Erfahrene Aktivisten haben für solche Fälle immer ein paar leckere Häppchen für die zukünftigen Schützlinge dabei. Wichtig ist, dem Tier nicht unnötig Angst einzujagen, da gerade Hunde aus Angst bissig werden können. „Man muss sich dem Hund sehr langsam nähern und das Ganze am besten in der Hocke, also quasi auf Augenhöhe mit dem Hund. Bei der letzten Rettung saß ich zehn Minuten einfach nur da und habe dem Hund Zeit gegeben, dass er sich an meine Gegenwart gewöhnt“, berichtet Frida Härjerud, Aktivistin bei FAPF. Dann kamen die Häppchen zum Einsatz. „Außerdem ist es wichtig, fortwährend mit ruhiger und sanfter Stimme zum Hund zu sprechen, ihn zu beruhigen. Alle Bewegungen sollten so langsam wie möglich sein, damit sich der Hund nicht erschreckt.“ Hat der Vierbeiner etwas Vertrauen gefasst und frisst aus der Hand, kann man ihn streicheln und langsam und vorsichtig versuchen, ein Halsband und eine Leine anzulegen. Frida warnt aber: „Wer keine Erfahrung mit verängstigten Hunden hat, sollte unbedingt eine Hilfsorganisation anrufen!“ Der zweite Fall, in dem Tierschützer aktiv werden, ist um Einiges komplizierter. „Viele unserer Schützlinge gelangen über Meldungen zu uns. Das sind zumeist Telefonanrufe von Nachbarn, die den Zustand der Tiere beschreiben.“ Dabei gibt es auch hier große Unterschiede zwischen den Meldungen. Gelegentlich steht Missgunst zwischen den Nachbarn oder ein Streit im Hintergrund, aber manchmal fehlen auch einfach bestimmte Kenntnisse. Anita erinnert sich an einen Fall, in dem eine Meldung über einen abgemagerten Hund einging: „Dank unseres landesweiten Netzwerks aus Freiwilligen konnten wir schnell reagieren und ein Freiwilliger fuhr los, um sich das Ganze anzuschauen. Der „abgemagerte Hund“ war ein ungarischer Agar, der von Natur aus dünn ist und genau so aussehen muss.“ Dies ist einer der glücklicheren, aber leider keinesfalls typischen Fälle. Viel häufiger ist, dass vor allem Hunde unter unbeschreiblichen Bedingungen gehalten werden.
Gabriele Jacoby von Animalife kann ihre Wut kaum zügeln, wenn sie über einige der Hunde spricht, die sie im Laufe der vergangenen Jahre gerettet hat: „Einmal hat uns jemand gesagt, Tiere sind die kostenlose Alarmanlage. Das zeigt doch ganz deutlich, welchen Wert sie ihren Tieren beimessen!“ Oftmals werden gerade Hunde an zu kurzen Leinen ohne Schutz vor Regen und Wind auf dem Hof gehalten. Auch Anita vom Tierschutzbund und Zsanett von der FAPF wissen um diese Zustände. Ihr einziges Mittel in solchen Fällen: Überredungskunst. Zsanett ist täglich im Einsatz für ihre Schützlinge und gerät oft in Situationen, in denen sie sich nur auf sich und ihre Kommunikationsfähigkeit verlassen kann: „Wenn wir zu einer Familie fahren, von der wir den Hund abholen wollen, haben wir keinerlei rechtliche Basis, wir können lediglich versuchen, den Besitzer davon zu überzeugen, dass der Hund bei uns besser aufgehoben ist.“ Hier ist jede Menge Überzeugungskraft gefragt, denn oftmals ist den Menschen gar nicht klar – oder es interessiert sie schlicht nicht – worauf es bei der richtigen Haltung von Tieren ankommt. „Eine an die Wand gelehnte Satelittenantenne ist kein ausreichender Schutz vor Wind und Wetter für einen Hund, ebenso wenig ist eine ein Meter lange Leine genügend Auslauf“, erklärt Anita.
Bedürfnisse werden außer Acht gelassen
Doch das Desinteresse an den Bedürfnissen der Tiere geht noch weiter: Regelmäßig treffen die Tierschützer auf Hunde mit eingewachsenen Halsbändern. Diesen Hunden wurde im Welpenalter noch ein Halsband angelegt und einfach ignoriert, dass, so wie der Hund wächst, auch das Halsband größer werden müsste. Noch schlimmer als Desinteresse sei jedoch, wenn Besitzer ihre Tiere willentlich misshandelten. Anita berichtet von einem Fall, in dem ein sechs Monate alter Dackelwelpe von seinem Besitzer mit heißem Wasser verbrüht wurde, „um ihn zu maßregeln, nicht so viel zu springen“. Generell fänden Tierquäler immer eine Begründung, warum sie mit ihren Tieren so umgegangen sind, rein aus erzieherischen Zwecken, versteht sich. Anita findet klare Worte: „Es ist schwer, jemandem begreiflich zu machen, dass er sein Tier nicht schlagen und misshandeln darf, wenn er auch sein Kind und seine Frau prügelt.“ In solchen Fällen hilft nur eines, sagt Zsanett von FAPF: Sich bewusst machen, warum man hier ist: „Man glaubt gar nicht, mit welchen Beschimpfungen wir teilweise bedacht werden, wenn wir losfahren, um Tieren zu helfen.“ Doch Aufgeben ist keine Alternative und so werden die Besitzer mit viel Überzeugungskraft dazu gebracht, die Tiere herauszugeben. „Dabei versuchen wir immer, dass eine Verzichtserklärung unterschrieben wird, denn nur dann sind die Tiere adoptierbar“, erklärt Tierschützerin Anita. Sind die Tiere einmal in der Obhut der Hilfsorganisationen, werden sie an Pflegebesitzer vermittelt. Das System der zeitweiligen Unterbringung der Hunde bei Menschen und nicht in Tierheimen ist enorm wichtig, da nur gut sozialisierte Tiere zur Adoption angeboten werden können. Außerdem ist es auch für die Tiere essentiell, dass ihr Vertrauen in die Menschen wiederhergestellt wird. „Viele Menschen trauen sich nicht, sich als zeitweilige Herrchen und Frauchen zu versuchen, weil sie Angst haben, dass das Tier „bei ihnen versackt“. Aber das ist noch nie vorgekommen!“ Zsanett und ihre Organisation FAPF nehmen die Kooperation mit den Übergangsbesitzern sehr ernst: „Wenn uns jemand sagt, er kann einen Hund für zwei Monate aufnehmen, dann sind diese zwei Monate in Stein gemeißelt. Sollte der Vierbeiner in dieser Zeit kein neues Zuhause gefunden haben, nehmen wir ihn wieder zurück beziehungsweise kümmern uns um eine andere Unterbringung. Ebenso wie sich die „Übergangseltern“ nicht um das Adoptionsverfahren kümmern müssen, das machen alles wir von FAPF, selbst für Futter und medizinische Versorgung kommen wir auf. Alles, was wir von unseren „Fosterparents“ erwarten, sind Hingabe und Verantwortungsbewusstsein dem Tier gegenüber.“
Rechtspraxis lässt zu wünschen übrig
Immer wieder kommt es jedoch zu Fällen, in denen die Polizei Ermittlungen wegen des Verdachts auf Tierquälerei einleitet, jüngst geschehen im Falle ungarischer Vizsla. Judit Whelat ist Gründerin der Magyar Vizsla Mentők und war vergangene Woche Mittwoch als Zeugin geladen. Die Geschichte hinter dem Fall ist erschreckend, aber keinesfalls einmalig. Die Lebensgefährtin des Besitzers verließ das gemeinsame Haus und zog weg, angeblich hatte er auch sie öfter geschlagen. Kurze Zeit später ist auch der Besitzer aus dem Haus ausgezogen und hat die insgesamt sechs Hunde (zwei erwachsene Viszla, drei Welpen und einen Fox Terrier) schlicht im Garten gelassen. „Sechs Wochen waren die Hunde allein im Garten, sechs Wochen in denen die Nachbarn davon wussten, dass die Besitzer weggezogen waren. Sechs Wochen haben die Nachbarn mitangesehen, dass die Tiere dort auf sich allein gestellt waren.“ Im Laufe der Ermittlungen sind auch eben diese Nachbarn befragt worden. Einhellig gaben sie an, niemand hätte sie gebeten, die Tiere zu versorgen. „Während der Verhandlung gab der Besitzer zu, er habe die Hunde zurück gelassen, aber den Wasserhahn im Garten ein wenig offen gelassen und eine Wanne darunter gestellt, sodass die Hunde frisches Wasser hätten.“ Wie die Tiere so sechs Wochen überleben konnten, ist Judit bis heute ein Rätsel. Einmal bei den Vizsla-Rettern angelangt, galt es, die Tiere medizinisch zu versorgen. „Wir haben die Proben der Hunde in drei oder vier Labors schicken müssen, weil uns einfach niemand sagen konnte, mit welcher Art von Parasiten und Pilzen sich die Tiere infiziert hatten, da die schlimmen Hautinfektionen einfach nicht heilen wollten.“ Das alles geschah im vergangenen August, knapp acht Monate später kam es zur gerichtlichen Verhandlung. Das Ergebnis: Acht Monate Freiheitsstrafe auf ein Jahr zur Bewährung ausgesetzt. „Der Richter wollte damit ein Exempel statuieren, da bisher nie jemand rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe wegen der Misshandlung von Tieren verurteilt worden war.“ Und genau hierin sieht Judit und viele ihrer Mitstreiter im Tierschutz eines der größten Probleme: Zwar sind die rechtlichen Bedingungen gut und Misshandlung und Tierquälerei kann durchaus rechtlich geahndet werden, aber die Rechtssprechung ist weit hinter dem zurück, was tatsächlich abschreckende Wirkung hätte. „Außerdem fehlen auch einfach die Kontrollinstanzen“, gibt Anita vom Tierschutzbund zu bedenken. Denn theoretisch kann nach eingehender Prüfung oder eben nach einen Gerichtsurteil das Verbot der Tierhaltung für bestimmte Menschen beantragt werden. Dies muss, so sieht es das Gesetz vor, vom Notar der jeweiligen Stadt- oder Bezirksverwaltung überwacht werden. „Aber seien wir ehrlich, die Notare haben einfach so unglaublich viel zu tun und so viele Aufgaben, dass da der Tierschutz nach hinten rutscht.“
Was tun also? Zsanett von der FAPF sieht vor allem in groß angelegten Kastrationsaktionen Sinn, denn solange sich Tiere ungehemmt vermehren können, solange wird es auch immer Streuner oder eben unerwünschte Nachkommen geben. Doch daneben ist es essentiell, die heranwachsenden Generationen einen anderen Umgang mit Tieren zu lehren. Gabriele Jacoby weiß, dass nur so langfristig Änderungen erreicht werden können: „Wir haben damals in Griechenland viele Schulen besucht und Aufklärungskurse mit Kindern über verantwortungsbewusste Tierhaltung geführt. Und tatsächlich ist heute, Jahre später spürbar, wo wir viel Arbeit in die Ausbildung der Kinder gesteckt haben, hat sich auch die Haltung gegenüber Tieren heute stark verbessert.“
Die Sommerferien stehen kurz bevor und Tierschutzorganisationen im ganzen Land sind schon jetzt in Sorge, wo sie ihre Schützlinge unterbringen werden, da viele der „Übergangsbesitzer“ während der Ferien das Land – zumindest zeitweilig – verlassen. FAPF bittet deswegen um Unterstützung und sucht für den Sommer dringend(!) Kurzzeit-„Fosterparents“. Daneben gibt es auch die stetig wachsenden Tierarzt- und Verpflegungskosten, welche die Hilfsorganisationen vor dauerhafte Probleme stellen.
Mehr Informationen unter:
FAPF: www.fuzallatvedelem.hu
Ungarischer Tierschutzbund: www.orszagosallatvedorseg.hu
Ungarische Vizsla-Retter ( Elveszett Állatok Alapítvány Vizslamentés): www.vizslamentes.hu
Animalife via: www.gabriele-jacoby.at
Ich habe Beitrag gesehn in Ungarn von Tierschützer, alle sollten sich schämen, dass man Geschöpfe so behandelt!!! Anstatt nur materielles mal für diese Armen Kreaturen Geld spenden!!!