Beleidigungen, Ausgrenzung, Mobbing: Ob Schüler, Student oder Angestellter, Opfer, Täter oder Zeuge – Viele müssen in ihrem Leben Erfahrungen mit diesen Themen machen. Laut einer Studie der Leuphana-Universität Lüneburg wurde an weiterführenden Schulen fast jeder dritte Schüler schon einmal von Klassenkameraden schikaniert. Um Aufmerksamkeit zu schaffen und seine eigene Erfahrungen aufzuarbeiten, schrieb ein Abiturient des Budapester Thomas Mann Gymnasiums ein Musical über das Thema.

Musical-Macher Niclas Schilling (Bildmitte im weißen Hemd) und das Ensemble
mit Hauptfigur Laika im lilafarbenen Hemd (unten Mitte).
Laika ist ein ungewöhnliches Mädchen. Sie hört Musik, wo keine ist und sieht Dinge, die es in der Realität gar nicht gibt. Was ihre Mitschüler, Lehrer und sogar die eigene Mutter als krank ansehen, ist eigentlich nur ein Symptom ihrer blühenden Fantasie. Anstatt zu versuchen, Laika so zu nehmen wie sie ist, wird sie jedoch in der Schule gehänselt. Allein die Musik gibt dem Mädchen die Kraft, zu sich zu stehen und nicht an den Mobbing-Attacken zu zerbrechen. Wenn Niclas Schilling über die Hauptfigur in seinem gleichnamigen Musical spricht, klingt es fast, als sei Laika real. Der 18-Jährige, der kurz vor seinem mündlichen Abitur an der Deutschen Schule Budapest steht, schrieb noch vor zwei Wochen die letzten Zeilen des Stücks fertig. Die vergangenen Wochen bestanden aus Lernstress und Proben, doch die Mühe hat sich gelohnt: Zwischen dem 15. und 18. Mai wird das erste Musical, das der 12-Klässler je geschrieben hat, endlich aufgeführt.
Den Entschluss, ein Musical zu schreiben, fasste Niclas im vergangenen Sommer. „Ich habe mir überlegt, wovon das Stück handeln könnte. Und da kam mir die Idee mit den Themen Mobbing und Ausgrenzung, denn das ist etwas, womit ich mich auskenne.“ Der Multi-Instrumentalist musste sich früher selbst Gemeinheiten von seinen Mitschülern anhören, doch die Musik half ihm heraus aus dem Mobbing-Sumpf. „Ich konnte mir dadurch Respekt verschaffen, aber die Erfahrungen auch in mein musikalisches Schaffen einfließen lassen.“ Inhaltlich habe „Laika“ viel mit ihm zu tun, doch das Musical sei nicht autobiografisch, betont Niclas. Da es mit Mobbing an jeder Schule Probleme gäbe, hielt er es jedoch für wichtig, das auch zu thematisieren. „Es wäre toll, wenn sich durch das Stück manche angesprochen fühlen, egal ob Täter oder Opfer. Ich möchte mit dem Musical dazu beitragen, Ausgrenzung zu verhindern.“

Abiturient und Musical-Autor Niclas Schilling:
„Ich möchte mit ‚Laika‘ dazu beitragen, Ausgrenzung zu verhindern.“ (BZT-Fotos: Nóra Halász)
Ausnahme-Musical mit Tiefgang
Die Deutsche Schule Budapest hat eine langjährige Tradition im Bereich der Theater- und Musical-Aufführungen. Jedes Jahr wird hier von den Schülern ein Musical aufgeführt – 2015 ist jedoch in vielerlei Hinsicht eine Ausnahme. Nicht nur ist es das erste Mal, dass das selbstgeschriebene Stück eines Schülers aufgeführt wird, auch die Ernsthaftigkeit und Aktualität des Inhalts ist ein Novum. Musicals sind oft große, spektakuläre Produktionen wie „Der König der Löwen“ und „Starlight Express“ – gerade deshalb sind sie jedoch auch von manch einem als trivial und rein Show-orientiert verschrien. Dazu kommen oft horrende Summen für den Eintritt. Ganz anders bei „Laika“: Die Kostüme, die die am Musical beteiligten Schüler selbst entworfen haben, sind schlicht und schwarz-weiß, für das Ticket muss keiner bezahlen, und thematisch wird auf Tiefe gesetzt.
Musikalisch geht es bei „Laika“ hauptsächlich in Richtung Pop. „Ich mag Pop- und Musical-Musik“, erzählt Niclas, „aber ich habe mich teilweise auch von Punk inspirieren lassen, besonders, um Kontraste bei den Liedern zu erzeugen.“ Der 18-Jährige spielt im Stück sein Hauptinstrument, das Klavier, worauf er „Laika“ auch geschrieben hat. Daneben beherrscht er jedoch auch eine Vielzahl an Instrumenten: Neben dem Singen liegen ihm unter anderem das Gitarren-, Schlagzeug-, Ukulele-, Bass-, Geige- und Akkordeonspiel. „Meine Familie ist sehr musikalisch“, so Niclas. Einfach war es anfangs trotzdem nicht, die Eltern davon zu überzeugen, dass er Berufsmusiker werden möchte. „Das gab eine riesen Diskussion mit meinem Vater, kann ich auch verstehen. Aber da ich mit der Musik teilweise schon Geld verdiene und es einfach total mein Ding ist, haben sie irgendwann eingesehen, dass ich es ernst meine.“ Niclas gibt Musikunterricht und hat vor etwa einem Jahr sogar ein Album herausgebracht. Über die Musikprojekte des Künstlers, kann man sich unter www.facebook.com/nic.alex.music informieren, und gibt man bei YouTube „nic alex“ ein, dann findet man zahlreiche Musikvideos von ihm.
Noten – nein Danke
Kaum zu glauben, dass der Schüler trotz seiner Leidenschaft für Musik wenig für Noten übrig hat: „Um ehrlich zu sein, ist Notenlesen und -schreiben nicht so meine Stärke. Es war für das Musical jedoch auch nicht nötig, das zu beherrschen.“ Um den Schauspielern in „Laika“ die Stücke beizubringen, nahm Niclas Demos auf. Mit dem Anhören dieser konnten seine Mitschüler die Lieder ganz einfach – nach Gehör – erlernen. „Diese Methode hat auch den Schauspielern mehr zugesagt als mühsames Notenlesen, das mögen wir alle nicht so gern“, so der Abiturient lachend.
Trotzdem plant Niclas, sich nach dem Abitur in einem Gap Year nochmals mit Musiktheorie auseinanderzusetzen, um sich für die Eignungsprüfung an der Mannheimer Popakademie vorzubereiten. „Ich finde Budapest toll, es ist die schönste europäische Stadt, die ich je gesehen habe. Mein Studium plane ich aber trotzdem in Deutschland.“ Niclas kam in der 9. Klasse mit seinen Eltern und beiden Brüdern nach Ungarn. Durch die Arbeit seines Vaters hat er bereits in den USA und in mehreren deutschen Städten gelebt, das viele Reisen hat ihn dennoch nie gestört: „Es hat mich offen gemacht und mir die Fähigkeit gegeben, überall schnell Leute kennenzulernen.“ Die Stärke, die Niclas in sich trägt, erfährt schließlich auch seine Hauptfigur Laika im Musical. „Ich habe schon auch mit dem Gedanken gespielt, ob am Ende des Stücks Laika ihr Leben beenden soll. Doch um die Story für alle, auch für Kinder, zugänglich zu machen, kann ich verraten, dass sich am Ende doch noch alles zum Guten wendet.
„Laika“
Musical in zwei Akten, in deutscher Sprache
Uraufführung: 15. Mai, 19 Uhr
Weitere Vorführungen: 18. und 19. Mai, jeweils 18 Uhr
Aula der Deutschen Schule Budapest
Budapest XII. Cinege út 8/c.
Eintritt frei.