
Erzwungener Abstieg: Die Spieler des ETO Győr müssen sich in Zukunft mit der Regionalliga begnügen. (Fotos: MTI)
Bis 2020 wird Ungarn mehr als 34 Mrd. Euro an EU-Fördermitteln erhalten. Brüssel wünscht eine bestmögliche Effizienz beim Einsatz der Gelder, die der Modernisierung zurückgebliebener Regionen und letztlich der globalen Wettbewerbsfähigkeit der Gemeinschaft dienen sollen. Sofern sie nicht im Sumpf der Korruption versickern.
Die im ersten Teil begonnene Aufzählung ließe sich leider ohne Weiteres fortsetzen. Gerade hat die Regierung großzügig erklärt, sie wolle die Zahlung für knapp 150 Kommunalprojekte übernehmen, wenn Spielplätze vollkommen überteuert abgerechnet worden waren. Oder überhaupt nicht gebaut wurden, weshalb jene Gemeinde noch froh sein kann, wo am Ende das von der EU großzügig geförderte Projekt auch zur Übergabe gelangt. Der Staat zahlt lieber schnell 2 Mrd. Forint, statt die Betrüger zur Rechenschaft zu ziehen.
Wem das alles noch nicht genug ist, der höre die Worte des Kanzleramtsministers in Sachen Quaestor-Skandal. Die Firma des Oligarchen Csaba Tarsoly hatte (nicht nur) mit fiktiven Anleihen ein Imperium mit einer Bilanzsumme von 100 Mrd. Forint errichtet, dessen Stolz neben Luxushotels und großartigen Immobilienprojekten in Budapest der ETO-Park in Győr war – ein Fußballstadion für den örtlichen Erstligaklub mitsamt Einkaufszentrum und Hotel. Das ETO Park-Projekt wurde noch unter den Sozialisten von der staatlichen Entwicklungsbank MFB mit Milliardenbeträgen finanziert. Nun ist Quaestor pleite, weshalb das Prestigeobjekt an die Bank zurückfiel. János Lázár meint nun, ein „leeres Stadion“ sei nicht viel wert. Er spricht von Schmiergeldern, oder habe der MFB-Vorstand etwa aus Überzeugung geglaubt, das Stadion werde ständig ausverkauft sein?
Der Objektivität halber sollte man hinzufügen, der Fidesz-Politiker bezieht diese Worte nur auf dieses eine konkrete Stadion in Győr. Nicht auf die vielen Stadien, die seit der zweiten Orbán-Regierung wie Pilze aus dem Boden schießen. Und zwar sehr wohl aus öffentlichen Geldern, weil die als „Sponsoren“ auftretenden Unternehmen die Beträge steuerlich absetzen können.
Bei dieser Konstruktion wird die EU zwar nicht ermitteln, eine Konkursmasse ist der ungarische Fußball dennoch: ETO Győr – der Meister von 2013 – wird, nachdem der windige Eigentümer Tarsoly in Untersuchungshaft landete, demnächst in eine Regionalliga verbannt, und auch den Oligarchen-Sponsoren von Pápa und Szombathely scheint das Geld auszugehen. In einem Land, dessen Ministerpräsident überzeugt davon ist, dass der Profifußball nicht auf marktwirtschaftlicher Basis betrieben werden kann, ergo ein Verlustgeschäft sein muss, haben die größten Wirtschaftsakteure dennoch Milliarden in des Ministerpräsidenten liebstes Hobby gesteckt. Sie verbrennen Jahr für Jahr Gelder, die so leicht gehen, wie sie gekommen sind.
Hollywood-Produzent bekam Anschubmilliarden
Nachdenklich machen auch die Geschehnisse um die Casino-Konzessionen. Sämtliche Konzessionen wurden 2012 aus Gründen der „nationalen Sicherheit“ eingezogen. Später wurden die Konzessionen an einige wenige „zuverlässige“ Akteure neu verteilt. Darunter an den erfolgreichen Hollywood-Produzenten und Orbán-Freund Andy Vajna, dem der Premier neben fünf (von den landesweit zugelassenen acht) Casinos gleich noch die ungarische Filmförderung anvertraute. Eigentlich sollten Casinos Geld abwerfen, Vajna erhielt jedoch als Anschubfinanzierung 9 Mrd. Forint, bei einem erwarteten Umsatzvolumen von 15 Mrd. Forint im Jahr.
Im vollsten Vertrauen, denn die Online-Anbindung der Kassen an das Finanzamt, die mittlerweile jeden Zeitungsverkäufer und Friseur erfasst, ist bei den Spielautomaten noch nicht angekommen. Ausgerechnet bei diesem geldsprudelnden Gewerbe nimmt es der Staat mit den neuen Transparenzpflichten nicht so genau. Das Wirtschaftsministerium würde gerne 6,2 Mrd. Forint aus Spielautomaten einnehmen, erhebt die Steuer aber nicht länger pauschal nach der Anzahl der aufgestellten Automaten, sondern über die Selbstdeklaration (!) des Betreibers. Der obendrein die Konzessionsgebühr (im Falle von Vajna 1,9 Mrd. Forint) von der Glücksspielsteuer abschreiben darf.
Angesichts solcher Praktiken muss es nicht verwundern, dass im Justizministerium kürzlich ersonnen wurde, das in Ungarn weit verbreitete Dankesgeld (ungarischer Euphemismus für Schmiergeld im Gesundheitswesen) für Ärzte und Pfleger – sofern nachträglich gegeben – zu legalisieren. Parasolvenz (ein anderer Euphemismus für das gleiche Phänomen) wäre eigentlich verboten, wenn der Patient jedoch im Anschluss an eine erfolgreiche Behandlung der Meinung sei, einen Umschlag überreichen zu wollen, solle das straffrei für alle Beteiligten möglich sein. Der Verband der Assistenzärzte zeigte sich erbost über diese Hintertür, die Regierung würde besser daran tun, die Gesundheitsreform voranzubringen und die Mitarbeiter des Gesundheitswesens anständig zu bezahlen.
Bezeichnend ist, dass der Präsident der Ärztekammer, István Éger, den Vorstoß des Justizressorts zur Änderung des StGB nicht barsch zurückwies. Er meinte stattdessen, unter den heutigen Gehaltszuständen im ungarischen Gesundheitswesen sei das „Dankesgeld“ einfach nicht wegzudenken. Man darf dem Mann zugute halten, dass er nicht mehr ganz so jung und idealistisch wie die Assistenzärzte ist.
Mutyizás kontra fairer Wettbewerb
Vielleicht wundert es jetzt niemanden mehr, warum Ungarn zu jenen elf EU-Mitgliedstaaten gehört, die von den Plänen der Kommission zur Aufstellung einer zentralen EU-Staatsanwaltschaft (EPPO) nichts hören wollen. Der vom Fidesz berufene Generalstaatsanwalt Péter Polt hat tatsächlich einen Gegenvorschlag eingebracht. Demnach würde die staatliche Oberhoheit unbedingt gewahrt, die europäische Staatsanwaltschaft dürfte bestenfalls als beratendes Gremium in Grundsatzfragen agieren, nicht jedoch in konkrete Angelegenheiten hineinreden.
Man muss allen Ernstes zu der Einschätzung gelangen, dass Ungarn die EU-Fördermittel weiterhin im Rekordtempo unters Volk streuen möchte, während das hierzulande als „mutyizás“ bezeichnete Gemauschel aber bitte auf allen Gebieten so weitergehen möge wie bisher. Die EU steht bereit, in den 2014 angelaufenen sieben Jahren mehr als 3 Mrd. Forint täglich auszuzahlen. Das sind 10 Mio. Euro – an jedem einzelnen Tag.
Was fällt einem der reichsten Männer des Landes zu diesem Geldregen ein? OTP-Chef Sándor Csányi meinte am Rande der Jahreshauptversammlung seiner Bankgruppe: „Ich halte es für keine gute Entscheidung, dass die EU-Gelder von einem Mann (Kanzleramtsminister János Lázár – Anm.) verwaltet werden, der nicht einmal die Finanzen der von ihm geführten Kleinstadt in Ordnung halten konnte.“ (Lázár war einst Bürgermeister von Hódmezővásárhely. Die Stadt verspekulierte sich mit CHF-Fremdwährungskrediten, woraufhin der in der Zwischenzeit zum Minister avancierte Politiker die Erste als Hausbank bedrohte, sie habe das Problem nicht mit der nötigen Weitsicht und Flexibilität zu lösen versucht.)
Csányi war freilich einigermaßen in Rage, hatte seine Bank in enger Korrelation mit der von halb Europa beneideten Wirtschaftspolitik der Orbán-Regierung im Vorjahr doch saftige Verluste eingefahren. Aber gar nicht deshalb klagte der Bankier, sondern aus dem Unverständnis darüber, warum die von Betrügern wie der Quaestor-Gruppe angerichteten Schäden durch die korrekten Marktakteure zu begleichen seien. Die vom Fidesz forcierte Entschädigung für alle Opfer sei schon deshalb unsinnig, weil sie nicht berücksichtige, dass diese Menschen als waghalsige Anleger über Jahre hinweg saftige Erträge aus Konstruktionen einstreichen konnten, die nicht besichert waren. Es sei wie eh und je in Ungarn, dass die Menschen nicht lernten, verantwortungsbewusste Entscheidungen zu treffen.
Bei der Gelegenheit erwähnte der Chef der größten Handelsbank gleich noch die im Vorjahr vom Staat durchgepeitschte Integration des Sparkassensektors. Die milliardenschwere Konsolidierung wurde den Banken aufgebürdet, der Landesfonds für Einlagensicherheit (OBA) binnen eines Jahres leergeräumt. Die vom Staat eingeleitete Reorganisierung bedeute laut Csányi, dass hier das Vermögen der Integration ausgeraubt wird. Die Verschiebung der Eigentümerverhältnisse berührte die OTP Bank zwar nicht, doch wünsche er, dass am Markt die Spielregeln des fairen Wettbewerbs eingehalten werden.
Jobbik ist die Antwort der Frustrierten
Wie aber wirken sich all diese kleinen und großen Korruptionsgeschichten auf die Psyche der Menschen in diesem Lande aus? Auf die, die auf der Straße wie im Fernsehen Emporkömmlinge erleben, die ihren Reichtum nicht nur schamlos zur Schau stellen, sondern auch noch jene, die es „zu nichts gebracht haben“, für ihre Mittellosigkeit verspotten. Es ist wohl nicht schwer nachzuvollziehen: Wo der regierende Fidesz nicht mehr mitzuteilen hat, als auf die einst regierenden Sozialisten zu verweisen, die ja noch viel korrupter gewesen sein sollen, sieht der Wahlbürger nur noch zwei „saubere“ Formationen im Parlament – die rechtsradikale Jobbik und die grün-alternative LMP. Dass sich die von 25 Jahren hemmungsloser Vetternwirtschaft erschöpften Ungarn in Scharen von den „Volksparteien“ entfernen, ist nur zu logisch. Warum immer mehr von ihnen der Jobbik zulaufen, hat sicher auch etwas damit zu tun, dass sie heute allein dieser Partei zutrauen, dem erschreckend tiefen Sumpf der Fidesz/MSZP-Seilschaften das Wasser abzugraben.
„…das Wasser abzugraben.“
um dann auf ihre eigenen mühlen umzuleiten? nein, sicher nicht, oder?
ansonsten, danke für die zusammenfassung.
dieser satz hat mir sehr gut gefallen:
„Es sei wie eh und je in Ungarn, dass die Menschen nicht lernten, verantwortungsbewusste Entscheidungen zu treffen.“
warum ist das eigtl so? und wenn doch, wie lange noch?
ich meine, es fällt ja tatsächlich auf im alltäglichen umgang, dass der mythos vom unschuldigen, benachteiligten ungarn oft ziemlich monoton die diskussionen beherrscht (mal mehr mal weniger unterschwellig)…