Von János Kornai
Während die Unternehmen mit Sondersteuern geschröpft werden, wurde die Einkommensteuer erheblich gesenkt: Eine der ersten Maßnahmen der Regierung Orbán bestand darin, die progressive Einkommensteuer auf einen Pauschalwert von 16 Prozent zu reduzieren. Zugleich wurde aber die Mehrwertsteuer auf den Rekordwert von 27 Prozent erhöht. Bekanntlich gereichen diese Steuerarten den Kleinverdienern viel eher zum Nachteil als den Besserverdienern. Neben der Senkung der Einkommensteuer hält sich die Regierung aber auch zu Gute, mittels der administrativen Senkung der Wohnnebenkosten, die Haushalte spürbar entlastet zu haben.
In Wahrheit kommt diese Preispolitik vor allem den Vermögenden entgegen, denn je größer eine Wohnung ist, das heißt, je mehr Strom, Gas, Wasser verbraucht und je mehr Müll produziert wird, desto mehr kann sich ein Haushalt ersparen. Die Folgen künstlicher Preissenkungen kennen wir aus den Zeiten des real existierenden Sozialismus bestens: Die öffentlichen Dienstleister schreiben rote Zahlen, weshalb der Staat, letzten Endes aber die Steuerzahler tief in die Tasche greifen müssen.
Indem der Staat in die Preismechanismen des Marktes eingreift – unter anderem mit Mikrointerventionen und einer „Feinregulierung“, die nicht selten in Überregulierung umschlägt –, nimmt er unweigerlich Einfluss auf die Privatwirtschaft. Jedem Ökonomen, der sich der Dysfunktionen des Marktes im Klaren ist, weiß, dass entsprechende Regulierungen und wohl dosierte, zielgenaue Interventionen viele Fehler beheben können, die vom freien Markt verursacht worden sind. Nur dass dies bloße Theorie ist.
Sie geht von der optimalen Prämisse aus, dass der Staat dem Gemeinschaftswohl dient, und Regulierungen sachorientiert und ohne Bevorteilung einzelner Unternehmen vollzogen werden. Doch was passiert, wenn Regulierungen von inkompetenten oder korrupten Staatsbeamten umgesetzt werden? Oder wenn sich ein Staat in die Wirtschaftsprozesse einmischt, in dem der staatliche Apparat als Vehikel für die Machtinteressen der politischen Elite dient. Die Entwicklungen in Ungarn sollten ein abschreckendes Beispiel für all diejenigen sein, die eine Stärkung der Rolle des Staates und eine Ausweitung und Vertiefung von Regulierungen befürworten, ohne die damit verbundenen Gefahren zu sehen.
Konservative Ökonomen können Wirtschaftspolitik des Fidesz nicht goutieren
Aufgrund der massiven Eingriffe in die Marktmechanismen und der Bedrohung des Privateigentums kann ein konservativer Ökonom die Wirtschaftspolitik des Fidesz nicht gutheißen. Zugleich muss sie aber auch in einem liberalen Ökonomen Empörung hervorrufen, der für jedwede Ungerechtigkeit bei der Güterverteilung empfindlich ist. Schmerzlich ins Auge stechen hierbei nicht nur die zuvor erwähnte Steuerpolitik, sondern auch eine Vielzahl anderer Maßnahmen.
Die Befürworter der keynesianischen Wirtschaftspolitik sollten sich von den beschönigten Beschäftigungsstatistiken nicht irreführen lassen. Die Belebung nach der Krise kommt schleppend voran, der Privatsektor vermag kaum neue Arbeitsplätze zu schaffen. Dies soll durch die wachsende Zahl jener Beschäftigten kompensiert werden, die gemeinnützige Arbeit in Diensten des Staates verrichten. Nur dass diese Menschen um einen Hungerlohn, 31-33 Prozent des Durchschnittslohns, und unter erniedrigenden Bedingungen arbeiten.
Statt auf den Arbeitsmarkt überführt zu werden, werden sie der Möglichkeit beraubt, einen permanenten Arbeitsplatz zu finden, wodurch ihre Situation des Ausgeliefertseins konserviert wird. Armut und soziale Ausgrenzung steigen in Ungarn dramatisch an. In aufgeklärten Gesellschaften ist jener Ton, in dem die Ärmsten in Ungarn nicht selten stigmatisiert werden, schlichtweg verpönt, ebenso die Praxis einiger Bürgermeister, Obdachlose per Dekret aus ihren Städten zu vertreiben.
Will jemand die Wirtschaftspolitik der ungarischen Regierung einer Bewertung unterziehen, ist es nicht zielführend, die Attribute „links“ oder „rechts“ zu gebrauchen. Es ist keineswegs davon die Rede, dass die Regierung den Sozialismus wiederbeleben will, selbst wenn es Phänomene gibt, die frappante Ähnlichkeit zum sozialistischen Wirtschaftssystem haben. Das Regime Orbán ist mit dem Kapitalismus durchaus vereinbar, ja, die Mitglieder der Machtpyramide trachten allesamt danach, die Möglichkeiten des Kapitalismus zu ihrem persönlichen Vorteil zu nutzen.
Der Autor ist ein namhafter Ökonom. Der hier abgedruckte Text ist ein Auszug aus einer längeren Abhandlung, die in der linksliberalen Wochenzeitung Élet és Irodalom erschien.
Aus dem Ungarischen von Peter Bognar