Am vergangenen Freitag fanden sich im Fakultätssaal des Germanistischen Instituts der Eötvös Loránd Universität zwei Männer zum Gespräch zusammen, die dem geschriebenen Wort jeweils auf eigene Art passioniert gegenüberstehen: Daniel Kehlmann, in Wien und Berlin lebender Bestseller-Autor, und Wilhelm Droste, Dozent am Germanistik-Lehrstuhl der ELTE und selbst Autor. Während der vom Goethe-Institut und dem Österreichischen Kulturforum gemeinsam organisierten Veranstaltung verriet Kehlmann unter anderem, ob er noch über seinen Erfolgsroman „Die Vermessung der Welt“ sprechen kann, wofür das „F“ im Titel seines aktuellsten Romans steht und was der Ruhm mit ihm anstellt.
1975 in München geboren gehört Daniel Kehlmann heute zu den erfolgreichsten deutschen Jungautoren. Sein erstes Buch schrieb er mit 22 Jahren, und mit 30 Jahren schaffte er bereits den internationalen Durchbruch: Sein Roman „Die Vermessung der Welt“ (2005, Rowohlt) wurde in 46 Sprachen übersetzt, die weltweite Auflage liegt bei etwa 6 Millionen Exemplaren. „Es geht das Gerücht um, Sie sprächen nicht mehr gern über ‚die Vermessung‘, stimmt das?“, fragte Wilhelm Droste den Schriftsteller zu Beginn des Gesprächs. „Nein, absolut nicht. Ich freue mich ja, wenn der Roman die Menschen auch zehn Jahre nach seinem Erscheinen noch beschäftigt.“ Thema von „Die Vermessung der Welt“ ist die fiktive Doppelbiografie des Mathematikers und Geodäten Carl Friedrich Gauß (1777-1855) und des Naturforschers Alexander von Humboldt (1769-1859). Der Roman wurde 2012 verfilmt, wobei Kehlmann selbst dem Erzähler seine Stimme lieh. Beim Gespräch an der ELTE, bei dem Kehlmann auch eine lange Passage aus seinem Roman „F“ (2013, Rowohlt) vorlas, konnte man seinem Sinn fürs Erzählen nachspüren. Hier fixierte er in der Rolle einer seiner Figuren steckend einen Punkt im Raum, dort gestikulierte er, um der Stelle mehr Ausdruck zu verleihen. Von Theatralik kann man bei Kehlmann trotzdem nicht sprechen. Im Gegenteil wirkt der Bestsellerautor bodenständig und beantwortete sowohl die Fragen Drostes als auch die aus dem Publikum bedacht und uninszeniert.

Zwei Literatur-Leidenschaftler:
Wilhelm Droste (links) und Daniel Kehlmann beim Gespräch an der ELTE.
Dabei könnte sich Kehlmann leicht erfolgsverwöhnt geben, schiene er nicht so reflektiert. In seinem 2009 erschienenen erzählerischen Werk, „Ruhm – Ein Roman in neun Geschichten“, setzt er sich mit ebenjenem Thema auseinander: Ruhm, Erfolg, Popularität. „Zermürbt der Ruhm die Inspiration?“, fragte deshalb auch Wilhelm Droste am Freitag. „Teilweise ist da sicher etwas dran“, gab Kehlmann zu, „und um den Ruhm mit Imre Kertész‘ (ungarischer Schriftsteller und Nobelpreisträger, Anm.) Worten zu bezeichnen ist er eine wahrhaftige ‚Glückskatastrophe‘. Aber er hat auch viele Vorteile. Und man wünscht sich ja auch, dass Leute die eigene Arbeit mögen. Am Ende muss man einen Weg finden, damit umzugehen – alles andere wäre menschliches Versagen.“ Natürlich sei der Erfolg auf eine Art surreal, aber dadurch beginne Kehlmann auch als Schriftsteller darüber nachzudenken, wie er ihn literarisch umsetzen könnte. So könne er also auch einen kreativen Effekt auf ihn haben.
„Am Computer arbeitend schaut man schnell auch nach, ob die neue Game of Thrones-Staffel schon draußen ist“
Daniel Kehlmann stammt aus München, lebt jedoch in Wien und Berlin. Auf die Frage nach einem Zuhause gab er zur Antwort, dass er sich am meisten in Berlin aufhält, an zweiter Stelle folge Wien, aber auch in die USA verschlage es ihn aufgrund von Lehraufträgen oft. Neben dem deutschen habe er auch einen österreichischen Pass, „in eine Identitätskrise bin ich deshalb aber nicht gestürzt. Wien kann sehr dörflich sein, aber wenn man lang nicht mehr da war und wieder zurückkommt, ist es immer schön“, so Kehlmann. „Wien ist ja so nah an Budapest“, sagte Wilhelm Droste, „und trotzdem ignorieren sich die beiden Städte leidenschaftlich gern.“ „Das stimmt“, musste Kehlmann daraufhin zugeben. „Ich bin leider auch erst zwei Mal in Budapest gewesen und bin daher einer der Ignoranten“, so der Schriftsteller lachend.
Zwischen all diesen Orten und Ländern pendelnd kommt bei Kehlmann schnell die Frage auf: Wo schreibt es sich wohl am besten? „Ich bin zum Glück wenig ortssensibel“, sagte er im Gespräch mit Droste. „Ich denke, man darf sich nicht von Orten abhängig machen, was das Arbeiten angeht. Sie spielen natürlich schon eine Rolle, wichtiger sind aber Atmosphäre und Menschen. Es ist aber besser, wenn man unabhängig ist, genauso wie man auch von der Füllfeder-Marke und der Art Papier, die man nutzt, unabhängig sein sollte.“ „Heißt dass, Sie schreiben klassisch mit Stift und Papier, wenn Sie an einem Buch arbeiten?“, fragte Droste daraufhin. “Wieder”, gab Kehlmann zur Antwort. Sein erstes Buch, Beerholms Vorstellung (1997, Deuticke Verlag), habe er richtig mit Füllfeder und Papier geschrieben, „aus dieser romantischen Vorstellung vom Schriftstellertum heraus. Dann bin ich zurückgekehrt zum Computer, mit dem man ja einfach schnell mal etwas bei Wikipedia nachschauen kann.“ Aber das sei auch eine bodenlose Falle, und man guckt dann eben auch nach, ob die neue Game of Thrones-Staffel schon draußen ist“, gab der Autor schmunzelnd zu.
„Beim Schreiben an ‚F‘ habe ich oft lachen müssen“
In Daniel Kehlmanns Roman „F“ geht es um die drei Brüder Eric, Iwan und Martin, die zwar durch einen gemeinsamen Vater, dessen Vorliebe für geschichtsträchtige Namen und ihren Hang zu Betrug und Hochstapelei, nicht aber durch die selbe Mutter verbunden sind. Wie die ZEIT in einer Rezension schrieb, sei „F“, „wie alle großen, vielfältig deutbar“ und „ein im besten Sinne irrwitziges Metawerk“. Welche sei Lieblingsfigur in dem Roman, in die er das meiste Herzblut gesteckt habe, fragte Wilhelm Droste im Gespräch. „Iwan“, weiß Kehlmann sofort die Antwort, „auch wenn nicht das meiste meines Herzbluts in ihm steckt. Eric finde ich auch toll, aber er ist kein Sympathieträger. Beim Schreiben war ich ihm aber trotzdem sehr nah, und ich habe oft während des Arbeitens lachen müssen, beispielsweise bei Erics paranoiden Szenen.“
An dieser Stelle fragte die Budapester Zeitung nach, wie für den Schriftsteller der Recherche- und Schreibprozess für solche und ähnliche psychologisch entrückte Wesenszustände aussieht, in die er seine Figuren beispielsweise auch beim Besuch einer Hypnose-Show versetzt – eine Buchstelle aus „F“, die Kehlmann kurz zuvor selbst vorlas. „Solche Momente sind für mich sehr interessant beim Schreiben. Und da kommt dann auch ein schauspielerisches Element zum Tragen, wenn man sich innerlich in etwas hineinversetzt, das einem sonst im Alltag fern liegt, im Fall von Eric also die paranoiden Zustände.“ Er habe versucht, das beim Schreiben auch nachzuleben, auch wenn es natürlich nur marginal möglich sei. Doch genau hier liege für Kehlmann der Reiz. „Ich habe mich nicht hypnotisieren lassen, habe aber viel darüber gelesen und ein ganzes DVD-Seminar über Hypnose angeschaut. Als ich das Buch schon beendet hatte, bin ich einmal zu einer Hypnose-Show gegangen. Das hat bei mir aber leider gar nicht funktioniert.“
Eine der letzten Fragen Wilhelm Drostes war die, wie viel vom Schriftsteller in seinen Figuren stecke. Daniel Kehlmanns Antwort hierauf macht Lust, seine Werke noch genauer zu betrachten: „Nun, es heißt nicht zu Unrecht, am unverhülltesten spricht von sich, wer von ganz anderen zu sprechen scheint.“