Mehr als vier Wochen ist es nun her, dass die Brokerfirma Quaestor das Handtuch warf. Éva Himmer ist eine der Geschädigten, die bis heute auf die Auszahlung ihres angelegten Geldes warten. Während die Regierung die öffentlichen Gelder in letzter Minute noch abzog, stehen die Kleinanleger derzeit geld- und hilflos dar.
„Noch bin ich keine Geschädigte, vorerst bin ich nur Betroffene der derzeitigen Situation“ erklärt Frau Himmer. Die Mittfünfzigerin gibt sich kämpferisch, doch ihre Anspannung ist überdeutlich spürbar. Die Budapester Zeitung sprach mit ihr.
Wie kamen Sie zu Quaestor?
Von Haus aus bin ich sehr vorsichtig, so bin ich groß geworden. Meine Geldangelegenheiten habe ich immer bei einer großen Bank gehabt. Als ich meine Wohnung verkauft und eine kleinere Wohnung gekauft habe, wollte ich das übrig gebliebene Geld anlegen, aber auf jeden Fall nur für kurze Zeit. Die Zinsen bei Banken waren für kurze Laufzeiten nicht allzu verlockend, also habe ich in meinem Bekanntenkreis nach Empfehlungen für andere Geldinstitute gefragt. Mehrere meiner Bekannten berichteten mir über ihre guten Erfahrungen mit Quaestor, wo sie nicht gerade wenig Geld angelegt hatten.
Wann haben Sie ihr Geld dort angelegt?
Am 14. August und am 18. März sollte ich ausbezahlt werden, also wirklich nur eine sehr kurze Laufzeit. Außerdem bin ich auch angewiesen auf das Geld, insofern konnte ich es gar nicht länger anlegen. Ich wollte auch nicht zu viel riskieren, sechs Monate schienen mir aber als ein durchaus überschaubarer Zeitraum. Ich habe damals in Aktien investiert.
Haben Sie sich vorher schon mit solchen Themen befasst, oder warum fiel Ihre Wahl ausgerechnet auf diese Form der Investition?
Ich kaufe seit mehr als 15 Jahren im Mammut Kaufhaus ein, das Quaestor-Büro war immer da und meine Bekannten haben mir das auch empfohlen. Und auch online sind mir überall Quaestor-Anzeigen begegnet. Soviel habe ich dann doch über sie gelesen, dass es ein heimisches, seit 25 Jahren existierendes Geldinstitut ist. Und seit Jahren hören wir doch nichts anderes (seitens der Regierung – Anm.), als dass wir Bürger einen großen Bogen um Multis und ausländische Firmen machen sollen, und nur den verlässlichen ungarischen Firmen vertrauen sollen. Außerdem war ja seit jeher bekannt, dass es eine enge Verbindung zwischen Quaestor und dem Fidesz gibt.
Sie gingen also davon aus, dass ein regierungsnahes Geldinstitut nicht gefährdet sei?
Selbstverständlich. Ansonsten hätte ich doch nicht mal deren Räumlichkeiten betreten.
Wie lief dann das Anlage-Gespräch bei Quaestor ab?
Der Mitarbeiter zerstreute alle meine Bedenken, allen voran damit, dass ja die Ostöffnung begonnen hätte, die Regierung stünde voll dahinter (Quaestor eröffnete im Rahmen der Ostöffnung zwei Dependancen im Ausland – Anm.), ich hätte nichts zu befürchten. Und wenn der Fidesz dahinter steht, wird dem Institut schon nichts passieren. Selbst am 26. Februar habe ich mich noch an diesen Gedanken geklammert, als Buda-Cash und Hungaria kollabierten.
Was für eine Anlageform wählten Sie?
Ich habe mich für ein festes Portfolio mit festem Zinssatz entschieden. Da gab es keine Spekulation oder ähnliches. Ich gehöre also zu den „Nutznießern“, die sich mit satten 6,7 Prozent bereichern wollten. Das ist ja gerade das Verrückte. Zugegeben, jetzt sind die Zinsen niedrig, aber erinnern wir uns daran, dass vor ein paar Jahren auf länger angelegte Gelder bis zu zwölf Prozent Zinsen gegeben wurden. Man hat mir keine hoch spekulativen 26 Prozent versprochen. Weil da hätte ich sicherlich Lunte gerochen. Staatspapiere wurden damals mit drei bis vier Prozent gehandelt, mir kamen also diese sechs Prozent auf dem freien Markt keineswegs spanisch oder dramatisch hoch vor.
Was ging Ihnen beim Crash der anderen beiden Geldinstitute durch den Kopf?
Mir kann nichts passieren, die Regierung hat doch genug zu tun mit den anderen beiden Banken, da werden sie sich nicht noch ein drittes Problem ans Bein binden. Da wo auch Geld der Regierung liegt, da werden sie wohl kaum Probleme zulassen. Ich bin damals nach dem Crash von Buda-Cash in ein Büro von Quaestor gegangen und habe nachgefragt, wie es um das Haus steht. Der Mitarbeiter dort beruhigte mich, dass mit aller Kraft weiter an der Eröffnung der Dependancen in Moskau und Istanbul gearbeitet wird, es gäbe hier keinerlei Probleme.
Wann begannen Sie, sich Sorgen zu machen?
Am 9. März, als ich abends nach der Arbeit online ging und sich auf Facebook die Meldungen zu Quaestor überschlugen. Ich weiß bis heute nicht, wie ich diese Nacht überstanden habe. So etwas wünsche ich meinem ärgsten Feind nicht. Am nächsten Tag ging ich wieder zu Quaestor, um nachzufragen, wie es nun weitergeht. Ich wollte meine Angelegenheiten da schnell klären, woraufhin mir der Mitarbeiter sagte, von schnell und klären sei hier erst einmal keine Rede.
Welches Bild bot sich Ihnen bei Quaestor?
Da waren unheimlich viele Menschen. Ich war ja noch nicht mal wirklich in Panik, weil ich das Ganze einfach nicht wahrhaben wollte. Ich saß dort im Quaestor-Büro und konnte das alles noch gar nicht glauben. Mir ging es noch relativ gut, aber einige Kunden waren so mitgenommen, dass sie gestützt werden mussten auf dem Weg nach draußen. Junge Menschen, die mehrere zehn Millionen Forint Erspartes bei Quaestor hatten, wo das gesamte Geld der Familie einfach weg war, also von den Großeltern geerbtes Geld, das Geld der Eltern und das, was die Jungen mit harter Arbeit in England beiseitelegen konnten. Da waren einfach mal 50 Millionen Forint verschwunden! Die Familie war am Rande des Nervenzusammenbruchs. Das Ganze war sehr lehrreich. Als am 18. März meine Anlage auslief, wurde noch über das anzuwendende Insolvenz-Verfahren diskutiert. Ich wollte mein Geld sofort ausgezahlt haben. Der Bankmitarbeiter sagte mir jedoch, dass eine Auszahlung derzeit keinesfalls möglich wäre und nannte allerlei Vorwände.
Wie ging es dann weiter?
Am darauffolgenden Tag habe ich auf Portfolio.hu gelesen, dass jetzt doch Auszahlungen laufen würden und das es keinesfalls sicher sei, dass tatsächlich ein Insolvenzverfahren begonnen hätte. Ich wurde wahnsinnig wütend und bin am 20. wieder zur Bank gegangen und wollte dort so lange nicht vom Tisch aufstehen, bis ich entweder mein Geld habe, oder eine Bestätigung, dass ich mein Geld wegen der in Gang befindlichen Insolvenz nicht bekommen habe, woraufhin der Quaestor-Mitarbeiter in Panik verfiel, was ich denn jetzt eigentlich will. Von 10 Uhr morgens bis nachmittags saß ich dort und wartete, bis ich endlich den Ausdruck der Nachricht der Zentrale in der Hand hielt. Zwischendurch habe ich viele Kunden kommen und gehen sehen. Die jüngeren haben sich viel aufgeregt und waren verzweifelt, aber am meisten erstaunt haben mich die Rentner. Sie sind ja noch zu ganz anderen Zeiten groß geworden und haben den verzweifelten Bankmitarbeitern noch Mut gemacht, von wegen, das wird schon noch und dass die armen Bankangestellten jetzt ja dann auch kein Gehalt bekommen.
Wie ist Ihre Situation jetzt?
Ich bin 57 Jahre alt, ich habe mehr hinter mir, als vor mir, noch einmal werde ich das Geld, das ich bei Quaestor angelegt habe, nicht erarbeiten können. Seit 38 Jahren arbeite ich, zahle Steuern und lege Geld für meine Altersversorgung zur Seite. Ich habe seit 15 Jahren Budapest de facto nicht verlassen, weil ich immer nur im Hinterkopf hatte, dass ich viel zur Seite legen muss, da ich weiß, was das Älterwerden und eine eventuelle Krankheit bedeutet, meine Mutter lebte 14 Jahre mit Alzheimer. Ich wollte auf keinen Fall eine finanzielle Last für meine Kinder sein, sollte mich diese Krankheit ereilen. Und jetzt fühle ich mich so, als ob man mir komplett den Boden unter den Füßen weggezogen hätte, deswegen bin ich auch fest entschlossen, alles an zur Verfügung stehenden Mitteln einzusetzen. Mir ist nichts geblieben, ich musste mir sogar Geld von meinem Kollegen leihen, damit ich meine laufenden Kosten und Lebensmittel bezahlen kann. Ich hatte fest mit der Auszahlung meines angelegten Geldes gerechnet.
Was wäre für Sie eine akzeptable Lösung?
Eine komplette Entschädigung. Wobei ich persönlich auch mit der Auszahlung meines angelegten Geldes ohne die Zinsen zufrieden wäre. Aber innerhalb unserer Facebook-Gruppe für Betroffene wären damit viele nicht einverstanden, da sie ihr Geld teilweise über viele Jahre angelegt hatten und das auch noch zu ganz anderen Konditionen. Der Verlust für sie wäre enorm. Wir brauchen schnell eine Lösung. Zwei unserer Mit-Betroffenen haben sich aus Verzweiflung bereits das Leben genommen.
Das Interview führte Elisabeth Katalin Grabow
Lesen sie im nächsten Teil der Serie ein Gespräch mit Rechtsanwältin Ildikó Stefánkovits, die mehrere der Quaestor-Geschädigten vertritt.