Zeitgleich mit „no pain no game“ (die Budapester Zeitung berichtete) findet im Ludwig Museum eine Ausstellung statt, deren Besuch sich trotz ihrer Verschiedenheit von den interaktiven Installationen des deutschen Künstlerduos //////////fur//// mindestens genau so sehr lohnt: „Photographed by Vilmos Zsigmond“ ist ebenjenem Kameramann und Fotografen gewidmet, der Ungarn bis heute in der internationalen Filmwelt alle Ehre macht.
Vilmos Zsigmond wurde 1930 im südungarischen Szeged geboren. Seine Mutter war Beamtin, der Vater Fußballtrainer und Torwart – die visuelle Welt der Kunst zog ihn trotzdem bereits früh magisch an. Wie eine der Infotafeln in der Ausstellung des Ludwig Museums erklärt, stöberte Zsigmond während einer Niereninfektion, die ihn mit 17 Jahren wochenlang ans Bett fesselte, in einem Buch des ungarischen Mathematikers und Fotografen Jenő Dulovits. Die Fotografien und Erklärungen, die er darin vorfand, inspirierten ihn, selbst zur Kamera zu greifen. An der Budapester Schauspiel- und Filmhochschule konnte er seiner Leidenschaft dann zum ersten Mal professionell nachgehen und schloss dort 1955 als gelernter Kameramann das Studium ab. Beim Volksaufstand von 1956 war er bereits hautnah dabei und hielt diesen auf 35 mm-Film fest. Gemeinsam mit dem gleichaltrigen Kameramann László Kovács flüchtete Zsigmond im November 1956 aus Ungarn. 1957 über Österreich in den USA angekommen, machten die Aufnahmen der beiden Ungarn in der internationalen Presse die Runde und führten dazu, dass der „Westen“ mehr von den Geschehnissen des Landes erfuhr, das damals hinter dem Eisernen Vorhang war. Die stolzen schwarz-weiß-Fotografien Zsigmonds von der Vorführung ihres Films „Ungarn in Flammen“ in US-amerikanischen Kinos sind auch in der Ausstellung zu sehen.
„And the Oscar goes to…“
1958 folgten Zsigmond und Kovács dann dem Ruf Hollywoods. Nach anfänglichen Startschwierigkeiten schafften es in den sechziger Jahren beide, sich als Kameramänner einen Namen zu machen. Ab den siebziger Jahren folgten für Vilmos Zsigmond große Filmproduktionen wie die Western „The Hired Hand“ (1971) von Peter Fonda beziehungsweise „McCabe & Mrs. Miller“ (im selben Jahr) mit Warren Beatty und Julie Christie oder die Zusammenarbeit mit Steven Spielberg in „Sugarland Express“ (1974) und „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ (1977). Für seine außergewöhnliche Leistung als Kameramann in letzerem Science Fiction-Film erhielt Zsigmond ein Jahr später prompt den Ritterschlag – seinen ersten Oscar. Auch der mit einer Goldhaut überzogene Academy Award ist im Ludwig Museum ausgestellt, zusammen mit zwei Einladungen zur Preisverleihung und einer englischsprachigen Notiz: „Ich möchte diesem Land danken, dem amerikanischen Volk, das mir ein neues Leben ermöglicht hat. Und meinen Meistern an der ungarischen Filmhochschule, die mir alles beibrachten, was sie wussten.“
Doch trotz der hohen Auszeichnung sollten der ungarische Kameramann und Spielberg nie wieder zusammenarbeiten. Ein Gerücht besagt, der Regisseur habe sich beleidigt gefühlt, nachdem Zsigmond ihm nie für seinen Beitrag zum Oscar-Gewinn gedankt habe. Spielberg selbst war für den Preis „nur“ nominiert worden.
Talent auf allen Ebenen
In den Achtzigern setzte sich Zsigmonds Erfolgskurs fort. „Heaven’s Gate – Das Tor zum Himmel“ (1980) mit Christopher Walken und John Hurt, „Menschen am Fluss“ (1984) mit Mel Gibson und „Die Hexen von Eastwick“ (1987) mit Hollywood-Größen wie Jack Nicholson, Susan Sarandon und Michelle Pfeiffer – mit diesem Portfolio hatte sich Zsigmond nun vollends als Kameramann etabliert.
Vilmos Zsigmond ist bis heute in seiner Branche tätig, und im Gegensatz zu vielen seiner ungarischen Kollegen trägt er nach wie vor seinen heimischen, für die US-Amerikaner sicher unaussprechlichen Namen, ohne ihn mit „William Sigmund“ oder einer ähnlichen Version amerikanisiert zu haben. Der Kameramann und Fotograf, der dieses Jahr 85 Jahre alt wird, arbeitete zuletzt 2010 an Woody Allens „Ich sehe den Mann deiner Träume“ mit, 2014 erhielt er beim Filmfestival Cannes den Lifetime Achievement Award.
Fotografien und Filmaufnahmen, schwarz-weiß und Farbe, Alltagsdokumentation und Historienfilm: So breit das Interessen- und Arbeitsspektrum Vilmos Zsigmonds in seiner Laufbahn von den fünfziger Jahren bis heute ist, so facettenreich demonstriert diese auch die Ausstellung im Ludwig Museum. Modern inszeniert, verständlich und dabei unaufdringlich erklärt erfährt der Besucher auch ohne Vorwissen über Zsigmonds Lebenswerk alles, wovon dieses gekennzeichnet ist. Liebevolle Fotografien seiner ersten Frau Böbe, die er 1956 in Wien heiratete, wechseln sich mit Flügelaltar-ähnlich auf drei Bildschirmen präsentierten alten Filmaufnahmen ab, bevor man zusammen mit dem Reiselustigen 1989 vor der Berliner Mauer oder in einem afrikanischen Armenviertel steht.
Reiseliebe in Bildern
Gerade jene Reisefotografien bilden den größten Mehrwert der Ausstellung, da sie dem Betrachter den Menschen hinter dem Erfolgskameramann näher bringen, auch ohne diesen abgebildet zu sehen. „Ich liebe das Reisen, ich habe es im Blut“, sagte Zsigmond einmal. „Ich war immer verzaubert von der vorbeirauschenden Landschaft, und ich stand gern stundenlang im Zugfenster, die sich fortwährend verändernde Landschaft beobachtend. Bis heute bin ich gern auf Reisen, und dann bringe ich meine Erfahrungen mit ins Studio, wo ich sie darzustellen versuche.“ Die Begeisterung für das Neue, die Neugier für das Fremde und die Ruhe beim Beobachten, die aus Zsigmonds Worten sprechen, sind auch seinen Fotografien anzusehen, viele von ihnen an auf den ersten Blick unscheinbaren Orten immer wieder aus unterschiedlichen Perspektiven und an verschiedenen Tagen festgehalten.
Für Vilmos Zsigmond waren Fotografie und Filmen immer ebenbürtige Disziplinen. Umso interessanter, dass seine im Ludwig Museum gezeigten Bilder nun erstmals der Öffentlichkeit in solch einem Rahmen zugänglich gemacht werden. Dabei hat es sich die Ausstellung zur Aufgabe gemacht, das komplette Lebenswerk des heute 84-jährigen ungarisch-amerikanischen Kameramanns Vilmos Zsigmond zu ehren. Die rund 150 Fotos und Filmausschnitte können noch bis zum 21. Juni in der Ausstellung angesehen werden.
Ausstellung: „Photographed by Vilmos Zsigmond“
Bis 21. Juni im Ludwig Museum, Budapest IX. Komor Marcell utca 1.