Seit rund einem halben Jahr ist auf der politischen Bühne des Landes eine Trendwende zu beobachten: Während der Fidesz vom Jahr 2000 an keine einzige parlamentarische Nachwahl verloren hatte und beginnend mit den Kommunalwahlen 2006 praktisch bei jedem bedeutenden Urnengang erfolgreich war, stolpert die Regierungspartei seit Ende des Vorjahres von einer Wahlniederlage in die nächste. Zuerst setzte es bei der Nachwahl zu den Parlamentswahlen im Budapester Bezirk Újpest eine Niederlage (November), dann schlitterte die Regierungspartei in der Fidesz-Hochburg Veszprém (Februar) in eine Nachwahl-Schlappe, und nun hat es die Partei auch noch im Wahlkreis Tapolca erwischt.
Politiker des Fidesz weisen darauf hin, dass die Regierungspartei in der vorangegangenen Legislaturperiode schon schlechter dastand, zumindest in den Meinungsumfragen. Und tatsächlich, vor drei Jahren lag der Fidesz bei der Sonntagsfrage in allen Umfragen unter 20 Prozent. Aus diesem Tief vermochten sich Premier Viktor Orbán und seine Partei dann aber zum „Triple-Wahljahr“ 2014 hochzuarbeiten. Bekanntlich triumphierte der Fidesz im Vorjahr nicht nur bei den Parlamentswahlen (April), sondern auch bei den Europa- (Juni) und Kommunalwahlen (Oktober).
Trotz erfreulicher Wirtschaftszahlen ist die Wählerstimmung mies
Die gegenwärtige Malaise des Fidesz ist auf den ersten Blick insofern schwer nachzuvollziehen, als das Land wirtschaftlich immer besser dasteht: Die Wirtschaft galoppiert, der Durchschnittslohn wächst, die Arbeitslosigkeit sinkt, die Investitionen steigen und die Armut schwindet. Gleichwohl macht sich unter den Wählern Unzufriedenheit breit. Experten sehen den Grund dafür zum einen in der Orientierungslosigkeit der Regierung, die seit ihrem Sieg bei den Parlamentswahlen 2014 keine stimmige Zukunftsperspektive zu bieten vermag.
Zum anderen gab es wiederholt Entscheidungen, die den Unmut breiter Gesellschaftsschichten hervorriefen, angefangen von der Internetsteuer bis hin zum einkaufsfreien Sonntag. Schließlich stößt vielen Wählern auch die Großmannssucht und ungenierte Zurschaustellung der eigenen Bereicherung einzelner Regierungspolitiker sauer auf. Denken wir nur an die Luxuskarossen und -uhren von Kanzleramtsminister János Lázár, die 160-Millionen-Villa von Außenminister Péter Szijjártó oder die „stetig wachsende“ Mega-Wohnung von Fraktionschef Antal Rogán – Letzterer revidierte die Größe seiner Bleibe mehrfach.
System des „zentralen Gravitationsfeldes“ hat ein Leck bekommen
Eine weitere wichtige Lehre aus der Wahl in Tapolca ist laut Fachleuten die Erschütterung des von Viktor Orbán 2009 zum ersten Mal propagierten strategischen Konzepts des „zentralen Gravitationsfeldes“ (beim „bürgerlichen Picknick“ in der Ortschaft Kötcse). Gemäß der damaligen Vorstellung Orbáns besetzt der Fidesz die Mitte beziehungsweise das Zentrum des politischen Spektrums in Ungarn. Links (MSZP) und rechts (Jobbik) des Fidesz gibt es zwar zwei politische Lager, allerdings liegen diese derart weit auseinander, dass es zwischen ihnen keine Wählerbewegung gibt, so die Theorie des Ministerpräsidenten.
Diese wurde allerdings schon bei der Nachwahl zur Kommunalwahl in Ózd im November des Vorjahres Lügen gestraft. Dort wurde der Jobbik-Politiker Dávid Janiczak Bürgermeister – und zwar mit den Stimmen vieler MSZP-Wähler. In Veszprém stellte sich wiederum heraus, dass die mit der Regierung unzufriedenen Wähler dem aussichtsreichsten Kandidaten ihre Stimme gaben, in diesem Fall Zoltán Kész. In Tapolca schließlich war zu beobachten, dass einzelne Gemeinden, die früher nahezu geschlossen für den Fidesz votiert hatten, sich nun für die Jobbik entschieden. Dies zeigt, dass es zwischen den politischen Lagern eine Durchlässigkeit gibt, die im System des „zentralen Gravitationsfeldes“ nicht einkalkuliert war.
Kósa: Fidesz ist die einzige Partei, welche die Jobbik aufhalten kann
Und wie reagiert die Regierungspartei auf den Vormarsch der Jobbik? Vorerst hat es den Anschein, als würde der Fidesz auf Zeit spielen und einmal abwarten. Wie der stellvertretende Vorsitzende des Fidesz, Lajos Kósa, auf der ersten Fraktionssitzung der Regierungspartei nach der Wahl von Tapolca sagte, ist seine Partei die einzige politische Kraft, die verhindern kann, dass die Jobbik ans Ruder gelangt. Diese „Lehre aus Tapolca“ wolle sich der Fidesz in Zukunft vor Augen halten.
Später sagte Kósa im Fernsehen, dass in Tapolca zwar die Jobbik gewonnen habe, dennoch hätte der Fidesz noch immer eine Mehrheit von 65 Prozent im Parlament. Der Fidesz-Politiker fügte noch an, dass die Regierungspartei sich in Zukunft auf die „wirklich wichtigen“ und „schicksalsbestimmenden“ Aufgaben konzentrieren wolle. Laut regierungsnahen Medien will der Fidesz seine bisherige Haltung gegenüber der Jobbik weiter aufrechterhalten: Die rechtsradikale Partei soll weiterhin nicht frontal angegriffen werden. Womöglich, um sich die Option einer Koalition mit der Jobbik für das Jahr 2018 offen zu halten?
Strategie der Stigmatisierung der Jobbik ist einmal mehr gescheitert
Viel eher ist davon auszugehen, dass Orbán und seine Partei zu einer Erkenntnis gelangt sind, gegen die sich die linke Opposition nach wie vor sträubt: Dass gegen die Jobbik eine Politik der Stigmatisierung nicht zielführend ist, sind doch die Wähler dafür offenbar nicht empfänglich. Die Strategie der Verunglimpfung der Jobbik als „Neonazi-Partei“ scheiterte einerseits daran, dass die Partei seit geraumer Zeit (2013) große Anstrengungen unternimmt, als gemäßigt zu erscheinen und also salonfähig zu werden. Andererseits daran, dass die Strategie der Verteufelung schon unter den linksliberalen Regierungen (2002-2010) nichts getaugt hatte: Die Jobbik erwuchs damals von einer Zwei-Prozent zu einer 16-Prozent-Partei (2010).
Laut Informationen der konservativen Wochenzeitung Heti Válasz sind führende Fidesz-Politiker einhellig der Meinung, dass ein hastig erfolgter Richtungswechsel des Fidesz politisch keinen Nutzen hätte. Strategie des Fidesz sei es nun, den Haushalt 2016 noch vor der Sommerpause zu verabschieden, statt wie ursprünglich geplant im Herbst. Nach dem Sommer wolle der Fidesz dann in Ruhe einen Richtungswechsel vornehmen. Dieser könnte auch von einer Regierungsumbildung untermauert werden, so Heti Válasz.
„…sind doch die Wähler dafür offenbar nicht empfänglich.“
für anderes jedoch sehr wohl und man fragt sich uu, was soll denn an einer aufgehübschten neonazi-partei überhaupt so schlimm sein…
also, investitionen in politische bildung könnten auch nicht schaden!
(nur leider könnte dieser schuss auch nach hinten losgehen…)
„Die Strategie der Verunglimpfung der Jobbik als „Neonazi-Partei“ scheiterte einerseits daran, dass die Partei seit geraumer Zeit (2013) große Anstrengungen unternimmt, als gemäßigt zu erscheinen und also salonfähig zu werden.“
Was aber, wenn der Salon schon von allen möglichen zweifelhaften Figuren bevölkert ist? Hier liegt das Kernproblem und das Futter für die Radikalen.
Man denke insbesondere an die vielen Leute in der EU-Spitze und die Auswirkungen der Finanz- und Schuldenkrise. Die Errungenschaften der EU werden in den kommenden Jahren aufgefressen, fürchte ich: Ergebnis einer Politik, die den Markt in dreister Weise missbraucht hat.
Politische Bildung ja, ouro boros, bitte aber nicht nur aus Sicht der Linksliberalen, die den Karren in Ungarn wie in der EU gegen die Wand gefahren haben ! Gegen die EU steht Ungarn fast noch gut da, denn der ungarische Karren fährt wieder mit Blechschaden, schlechter Verbrennung
und neuem Rückspiegel.