„One man‘s trash is another man‘s treasure” lautet ein Sprichwort aus dem angelsächsischen Raum – so kann eine Jacke, die für den einen keinen Wert mehr hat, für andere ein glorreicher Vintage-Schatz sein. Eine junge Budapester Universitätsabsolventin hat dieses Prinzip zu ihrer Geschäftsidee gemacht. Die große Auswahl an Kleidung und Accessoires in Fanni Stefankovits‘ neuer Vintage-Boutique in der Paulay Ede utca reicht von echten Raritäten wie einem gut erhaltenen Burberry Trenchcoat bis hin zu Kleidern, die sich die Großmutter einst maßanfertigen ließ.
Ursprünglich bedeutet das Wort Vintage, das schon seit Längerem nach dem Englischen auch die deutsche Sprache bevölkert, so viel wie „erlesen“ oder „altehrwürdig“. Doch in der Mode- und Designwelt bezeichnet Vintage zumeist eine Art Retrolook, der irgendwo zwischen den Kleiderschränken der 1920er bis 1980er angesiedelt ist. Den Jüngern des Vintage-Kultes geht es nicht etwa darum, mit dem authentischsten Kostüm auf der nächsten Faschingsparty zu glänzen, sondern durch die Kombination von alten Vintage-Elementen und modernen Fasern einen individuellen und einzigartigen Look zu kreieren, der ihre Persönlichkeit unterstreicht. Oft ergibt sich daraus ein Stil dem die Beschreibung „schäbiger Chic“ wohl am nächsten kommt: Ob nun die abgewetzte Rockerjacke zum kurzen Abendkleid oder Omas geblümtes Sonntagskleid mit einer Strickjacke von H&M – kombiniert wird, was gefällt. Regeln gibt es keine.
Von der Sammelleidenschaft zur Geschäftsidee
Das ist es, was Fanni Stefankovits so an Vintage-Mode reizt. Seit vielen Jahren sammelt die frischgebackene Geschäftsführerin ihres eigenen Ladens gebrauchte Kleidung und Accessoires, die besonders originell und trotz ihres Alters von exquisiter Qualität sind. „Schon früh habe ich angefangen, bei der Jagd nach Secondhand-Kostbarkeiten nicht nur für mich zu kaufen, sondern auch Sachen, die mir gar nicht passen und die ich dann an Freunde weitergegeben habe“, erzählt die passionierte Vintage-Schatzjägerin. Doch erst vor ein paar Wochen eröffnete Stefankovits ihrer Leidenschaft folgend ihr eigenes Geschäft: den Antifactory Vintage Shop, eine kleine Retro-Boutique auf der Paulay Ede utca unweit des Budapester Broadway. Hier ist sie in guter Gesellschaft, umgeben von kleinen Antik-Cafés wie dem Café Zsivágó oder hippen Barbieren – für die richtige Laufkundschaft ist gesorgt.
Eigentlich sollten Fördergelder aus einer staatlichen Ausschreibung für Existenzgründer das Startkapital für Stefankovits‘ kleine Boutique liefern. Mit ihrer Geschäftsidee und ihrem Businessplan hatte Sie sich unter einer Vielzahl von Bewerbern durchsetzen können. Doch die Auszahlung der Förderung lässt auf sich warten. Daher ist zunächst die Familie finanziell eingesprungen, um der Vintage-Boutique auf die Beine zu helfen. Manchmal hilft sogar die Mutter, die sonst Anwältin ist, für Stefankovits an der Verkaufstheke aus. Doch meist muss die junge Existenzgründerin auf eigenen Beinen stehen. Zwischen Montag und Freitag öffnet sie jeden Tag Schlag 12 Uhr ihr Geschäft und bleibt bis zum Ladenschluss um 19 Uhr – Mitarbeiter kann sich das kleine Geschäft noch keine leisten. Die Vormittage nutzt Stefankovits, um auf diversen Märkten und in Ramschgeschäften auf die Jagd nach neuen Unikaten für ihren Laden zu gehen. Wo genau sie die besten Schnäppchen macht, gehört zum Geschäftsgeheimnis. Doch soviel verrät Stefankovits: „Die besten Stücke und Preise gibt es in den kleinen Städten und auf wenig bekannten Märkten.“
Oft reicht die Bezeichnung Vintage aus, um den Preis eines Gegenstandes oder eines Kleidungsstückes in die Höhe zu treiben. Nicht jedoch im Antifactory Vintage Shop. „Ich weiß, was ich im Einkauf gezahlt habe und basierend darauf will ich einen fairen Preis erzielen“, so Stefankovits. Daher lockt die junge Secondhand-Boutique auch mit vielen günstigen Schnäppchen. Das Kleiderangebot im Laden spiegelt stark den Geschmack seiner Besitzerin wider und ist zugleich überraschend vielfältig. Die ältesten Stücke stammen noch aus den 20ern und 30ern, darunter Kleider von Fannis Großmutter; danach geht es munter durch alle Zeitalter, mit Röcken im Stil der 60er sowie Halstüchern aus den 70ern bis hin zu lang verdrängten Modesünden aus den 80ern und 90ern. Besonders mit letzteren, die meist aus bunten Shorts, grell gemusterten Windjacken und aufsehenerregenden Polyester-Pullis bestehen, sind einem die Blicke auf der Straße gesichert. Etwas, das Stefankovits‘ Meinung nach den Ungarn leider viel zu oft unangenehm ist. „Die Leute hier trauen sich nicht so sehr auffällige Kleidung zu tragen“, bedauert Stefankovits und wünscht den Ungarn mehr Mut zu extravagantem Retro-Chic.
Im Retro-Outfit zur Gala
Stefankovits ist stilsicher. Sie versteht es, die außergewöhnlichen Vintage-Stücke, die es in ihrem Laden zu kaufen gibt, für jeden Anlass neu zu kombinieren: „Immer wenn wir neue Ware in den Laden bekommen, machen wir einen Fotoshoot. Ich will den Leuten zeigen, wie sie eine ausgefallene Vintage-Bluse oder -Jacke ganz einfach in ihre Alltagsgaderobe integrieren können.“ Dabei gewinnen einige Kunden so viel Vertrauen in die modebewusste Budapesterin, dass es schon vorkam, dass sich Leute in ihrem Laden von Kopf bis Fuß neu einkleiden ließen. „Eine Frau kam in meinen Laden und erzählte mir von dieser Party, die sie am Abend habe und bei der sie mit einem außergewöhnlichen Outfit beeindrucken wolle“, erzählt Stefankovits. „Nachdem ich ihr etwas Passendes zusammengestellt habe, war sie so begeistert, dass sie mich fragte, ob ich ihr nicht noch bei ihren Haaren und dem Make-up helfen könne.“ Stefankovits selbst sei keine Stylistin, gesteht sie, doch sie habe viele Kontakte und so habe sie Freunde angerufen, die in den Laden kamen um der Frau zu einem unvergleichlichen Auftritt am Abend zu verhelfen. Aus dieser Geschichte sei die Idee entstanden, Styling-Abende in ihrer Boutique anzubieten: „Die Leute können vor dem Ausgehen herkommen, sich ein passendes Outfit kaufen, und das Styling gibt es gleich noch obendrauf.“ Bisher habe erst eines dieser Events stattgefunden – mit einschlagendem Erfolg, sodass Stefankovits in der Zukunft noch weitere Abende veranstalten wolle. Über neu eingetroffene Modelle und Veranstaltungen informiert sie auf der Facebook-Seite ihres Ladens.
Katrin Holtz
Antifactory Vintage Shop
VI. Bezirk, Paulay Ede utca 58
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag zwischen 12 und 19 Uhr
www.facebook.com/antifactory