
Jobbik-Vorsitzender Gábor Vona und seine Partei zählen ganz sicher zu den wenigen Gewinnern der Broker-Skandale.
Was vor ein paar Wochen noch wie eine ganz normale marktwirtschaftliche Begleiterscheinung aussah, bekommt langsam immer mehr eine politische Dimension. Trotz markiger Sprüche an die Adresse der Broker („da möchte einem ja das Messer in der Hose aufgehen“, O-Ton Orbán) und allerlei gesetzgeberischer Avancen, den „Miststall“ (ebenfalls O-Ton Orbán) auszumisten, haftet dem engeren Zirkel des Fidesz insbesondere im Fall Quaestor möglicherweise mehr Stallgeruch an, als ihm lieb ist.
Aber nicht nur das. Bisher vermochte es die Regierung auch nicht, den ihr von Seiten der Opposition genüsslich immer wieder vorgetragenen Vorwurf des Insiderhandels glaubwürdig zu entkräften. Mosaiksteine wie Briefe, Überweisungen, die Daten von Regierungssitzungen und die Aussagen von involvierten Verantwortlichen ergeben derzeit noch alles andere als ein entlastendes homogenes Bild. Die Krisenkommunikation der Regierung macht das Ganze nicht besser.
Dass sich die Opposition aber nahezu einheitlich auf den schwer wiegenden Vorwurf des Insiderhandels eingeschossen hat, hat für die Regierung immerhin den angenehmen Nebeneffekt, dass andere unangenehme Fragen vorerst im Hintergrund bleiben.
So wäre es durchaus interessant zu erfahren, aus welchem Grund die Regierung eine so intensive Geschäftsbeziehung insbesondere zur Quaestor-Gruppe pflegte. Welche Rolle spielte Quaestor bei gewissen Bauvorhaben des Außenministeriums? Was haben staatliche Einrichtungen überhaupt als Kunden bei Broker-Firmen zu suchen? Wie viele staatliche Vermögenswerte befinden sich derzeit noch in der Hand diverser Brokerfirmen? Was geschah und geschieht mit den dort investierten Geldern oder deponierten Wertpapieren? Wohin sind die Provisionen der damit verbundenen Kapitalbewegungen geflossen?
Allerlei Fragen werfen auch die Umstände der drei Broker-Pleiten der letzten Wochen auf. Warum kamen leitende Manager von Hungaria Értékpapír noch am Tag des Bekanntwerdens der Pleite ihrer Firma hinter Gitter, während sich der Quaestor-Inhaber noch fast drei Wochen auf freiem Fuß befand? Merkwürdig ist weiterhin, dass staatliche Stellen in allen drei Fällen sofort nach Bekanntwerden der Pleite und noch vor Einleitung der Ermittlungen eine Schadenssumme nennen konnten. Und das, nachdem sie sich von diesen Firmen zuvor teilweise jahrelang täuschen ließen.
Weiterhin drängt sich die Frage auf, wie es sein kann, dass die gleiche Orbán-Regierung, die sich mit ihren Kontrollgelüsten immer mehr in das Leben der Bürger und Wirtschaftssubjekte einmischt (man denke nur an die Online-Anbindung aller Registrierkassen oder an das Frachtkontrollsystem EKÁER!), bei Broker-Firmen teilweise auf beiden Augen blind zu sein scheint. Wie kann es sein, dass der Staat bei kleinen Firmen fast schon mit der Lupe hinschaut, während andererseits bei Quaestor ungedeckte Anleihen in dreistelliger Milliardenhöhe begeben werden konnten? Was ist das für eine Finanzmarktaufsicht, die so etwas nicht sieht oder schweigend duldet?
Selbst wenn es also der Regierung trotz ihrer derzeit etwas wirr erscheinenden Kommunikation gelingen sollte, den Vorwurf des Insiderhandels zu entkräften, wäre damit für sie also nur die erste Frage einer langen Liste abgehandelt. Zumal einer Liste, die derzeit fast täglich wächst. Das Thema ist also noch längst nicht vom Tisch.
Dafür sorgen neben immer neuen Enthüllungen durch regierungsunabhängige Medien nicht zuletzt auch die oppositionellen Parteien. Allen voran Jobbik, die in Fragen der öffentlichen Finanzen schon allein deswegen mit einer weißen Weste glänzen kann, weil diese Partei im Laufe ihrer Karriere einfach noch nie in die Verlegenheit kam, sich diesbezüglich missbräuchlich zu betätigen.
In einem genialen Kommunikationsschachzug hat Jobbik sogleich den Begriff vom Brokerskandal der „Fidesz-MSZP-Koalition“ geprägt. Darauf anspielend, dass die Wurzeln der drei in die Schlagzeilen geratenen Finanzhäuser deutlich über das Jahr 2010 zurück in die Vergangenheit reichen. Und vor allem darauf vertrauend, dass zumindest der Teil der Öffentlichkeit mit einem besser funktionierenden Langzeitgedächtnis keinerlei Illusionen hinsichtlich des Verhältnisses des linken und liberalen Lagers zum Finanzsektor beziehungsweise ihres Respektes gegenüber öffentlichen Geldern hat.
Insofern ist der aktuelle Broker-Skandal nicht zuletzt auch Wahlkampfhilfe par excellence für die Jobbik. Je länger sich die Aufklärung hinzieht, umso besser für die Partei. Und wenn es, wie fast schon die Regel in Ungarn bei größeren Finanzskandalen, keine endgültige Klärung gibt, dann noch besser: Jobbik wird’s schon richten!
Jan Mainka
Chefredakteur & Herausgeber

„…die sich mit ihren Kontrollgelüsten immer mehr in das Leben der Bürger und Wirtschaftssubjekte einmischt…“
das dürfte wohl mit dem geringen vertrauen, das man sich in ungarn schon seit sehr, sehr langer zeit gegenseitig entgegenbringt, zusammenhängen.
jobbik ist nicht mehr zu vermeiden – denn dafür fehlt der ung gesellschaft immer noch das entsprechende immunsystem. u da hilft auch „aufklärung“ im oben beschriebenen fall nicht mehr. der zug ist abgefahren – jetzt kommen die lektionen. danke viktor.