Eszter Vörös spielt ein in Vergessenheit geratenes Instrument, das Bandoneon. Der auseinanderziehbare Klangkörper wird vor allem mit argentinischem Tango in Verbindung gebracht. Nur wenige wissen, dass der Ursprung des akkordeonähnlichen Instruments in Deutschland liegt. Eszter Vörös hat es sich selbst beigebracht, sie ist die einzige Bandoneonistin Ungarns. Der Weg dorthin war ein langer, sagt die 40-Jährige aus Budapest.
Der rechte Fuß von Eszter Vörös ist leicht angehoben, der schwarze Klangkörper liegt auf ihrem Knie. Gerader Rücken, der ganze Körper ist angespannt. Er wippt beim Spielen im Sitzen vor und zurück. Zwei Finger fassen das Instrument, acht Finger wechseln zwischen den weißen Tasten in schnellem Rhythmus. Instrument und Musikerin verschmelzen miteinander. Es ist nicht nur eine Freude, Eszter Vörös und ihrem Bandoneon bei ihrem gemeinsamen Tanz zuzusehen. Auch das Hören verzaubert: Schwingende volle Töne gehen in leichter Melancholie durch den Raum. Eindeutig ein Tango im 4/8-Takt. Fehlt nur noch der Rest eines Orquesta Típica, der typischen Formation eines argentinischen Tango-Orchesters – Piano, Gitarre, Violine; und ganz klar weitere Bandoneons. Eszter Vörös spielt zwar in zahlreichen Tango-Gruppen Ungarns mit, allerdings gibt es außer ihr keine weiteren Bandoneonisten im Land. Dabei stammt das Instrument sogar aus der Nachbarschaft, aus Deutschland, und nicht – wie oft angenommen – aus Lateinamerika, der Geburtsstätte des Tangos. „Die goldenen Zeiten sind hier schon lange vorbei“, bedauert Vörös. Denn das Bandoneon wurde in Europa seit den 1950er Jahren durch neue Musikstile wie Rock n‘ Roll und Underground verdrängt. Außerdem kam das Akkordeon in Mode, das laut der Musikerin viel einfacher zu spielen ist. „Da müssen nur Akkorde gegriffen werden. Wenn ich hingegen eine Taste auf dem Bandoneon drücke, kommt beim Auseinanderziehen des Instruments ein anderer Ton heraus als beim Zusammenziehen. Das ist, gerade am Anfang, sehr schwierig.“
Musikerin und Instrument atmen gemeinsam
Laut Eszter Vörös gibt es einen weiteren Grund für die schwindend geringe Zahl an Bandoneonisten in Europa: Es mangelt an Werkstätten, in denen hochwertige Instrumente hergestellt werden. Ihr eigenes Bandoneon findet Eszter Vörös erst nach endloser Suche im Internet. Es ist ein fast antiker Schatz aus den 1930er Jahren. Damals galt Deutschland als Hochburg des Bandoneons, schließlich war es hier 1849 in Carlsberg, einer winzigen Ortschaft im Harzgebirge, erfunden worden. Auch das Bandoneon von Eszter Vörös stammt von dort. Genauer: aus der berühmten Fabrik des deutschen Bandoneonherstellers Alfred Arnold. Mit dem Zweiten Weltkrieg schloss die Fabrik des Herstellers, womit die Produktion der Musikinstrumente in Deutschland den Bach hinunter ging.
Bandoneonmusik – eine Rarität in Europa
Eine mehrstündige Atlantiküberquerung und einhundertfünfzig Jahre später sieht die Welt schon wieder ganz anders aus. In Buenos Aires, der Hauptstadt Argentiniens und Tangohochburg, sind Bandoneons hipp wie nie. Der Tango lebt auf den Straßen und auf Konzerten, in der Musik und im Tanz. Eszter Vörös liebt das, hier findet sie auf Reisen „zur Seele des Tangos“, dem Bandoneon mit seinen nostalgischen, wehmütigen Klängen. Aus dem deutschen Bandoneon wird also „el Bandoneón“. Aber wie? Stichwort Immigration: Anfang des 20. Jahrhundert siedeln viele deutsche Auswanderer nach Argentinien über, das Instrument im Handgepäck. Sie treffen am Río de la Plata auf weitere Migranten aus verschiedenen Kulturen der Welt. Hier entstehen die bis heute bekannten Varianten des Tango, der oftmals mit spießiger Oberbürgerschicht in Verbindung gebracht wird. Fälschlicherweise, so Vörös. Seit den 1990ern gebe es überall auf der Welt eine Art Rennaissance. „In Japan etwa sind die Leute im Moment verrückt nach Tango. Doch wer weiß das schon.“
Die Seele des Tangos in Buenos Aires
Eszter Vörös findet erst zum Tango, dann zum Bandoneon. Vor rund 15 Jahren kommt sie, zunächst als Kulturjournalistin arbeitend, mit dem spanisch-argentischen Film „Tango“ von Carlos Saura in Berührung. „Die Musik inspirierte mich so sehr. Dass dort die besten Tango-Musiker der Welt gezeigt wurden, wusste ich damals noch nicht“, erinnert sich Vörös an den Auslöser ihrer Leidenschaft. Also besucht sie mehrmals die Woche Tanzkurse. „Ich wollte die Lebendigkeit Lateinamerikas in meinen Alltag tragen.“ Was fehlt? Das praktische Musizieren. „Ich musste viele Jahre warten, bis ich ein geeignetes Bandoneon gefunden hatte. Sonst hätte ich sofort losgelegt.“ Doch eigentlich beginnt alles noch viel früher. Die Musik begleitet Eszter Vörös bereits als Kind. Mit sechs Jahren beginnt sie, Klavier zu spielen. „Das fand ich toll. Also entschied ich mich für ein Studium der Wirtschaftswissenschaften“, merkt die 40-Jährige ironisch an. „Was wohl passiert wäre, wenn ich mich für ein Musikstudium entschieden hätte?“ Den Karrieredruck im Nacken hält es sie während des Studiums jedoch nie lange auf der Sitzbank. In den Semesterferien zieht es sie mehrmals nach Lateinamerika. Venezuela, Brasilien, Argentinien, Kuba – alles will sie dort bestaunen, erleben, mit eigenen Augen sehen. Nach dem Studium arbeitet sie dann doch als Marketing-Managerin, erst bei Lóreal, dann bei National Geographic. „Das war nicht meine Welt, also wurde ich Journalistin.“ Ja, Eszter Vörös wechselt öfter mal die berufliche Laufbahn.
Zwischen Karrieredruck und Leidenschaft
Vor sieben Jahren geht es dann endlich so richtig los mit der Musik. Doch findet sie keinen Musiklehrer in Budapest. So beschließt sie, auf eigene Faust den Umgang mit dem Handzuginstrument zu erlernen. Nach unzähligen Youtube-Tutorials und Skypegesprächen mit Bandoneonlehrern aus Buenos Aires ist sich Eszter Vörös absolut sicher, dass sie das Musizieren mit dem vergessen geglaubten Instrument zu ihrem primären Lebensinhalt machen möchte. 2010 kündigt sie ihren festen Job als Video-Editor beim Nachrichtensender nolTV, um mehr Zeit für sich und die Musik zu haben. Die späte Einsicht, der Leidenschaft den Vorzug vor der Karriere zu geben, scheint unter vielen Bandoneonisten verbreitet zu sein. So berichtet Eszter Vörös von einer Begegnung bei einem Musikertreffen im französischen Avignon. Dort trifft sie auf einen Südkoreaner mit einer ähnlichen Geschichte wie Vörös: als Biologieprofessor Karriere gemacht, dann mit 40 Jahren angefangen Bandoneon zu spielen und schließlich musizierend um die Welt, um auf Gleichgesinnte zu treffen.
„Tango spiegelt das Leben, welches ein unglaublich freier Tanz ist.“
Eszter Vörös dreht weiterhin Dokumentar- und Werbefilme, inzwischen allerdings als Freelancer. „Ich kann jetzt die Dinge machen, die mich wirklich mit Liebe und Leidenschaft erfüllen“, das sagt die 40-Jährige immer wieder. In diesem Jahr etwa dreht Vörös einen Film über den verstorbenen kolumbianischen Literaturnobelpreisträger Gabriel José García Márquez. Auf eigene Faust reiste sie auf den Spuren des Schriftstellers durch Kolumbien. „Ein zeitintensives Projekt, doch unglaubliche Wochen vor Ort. Jetzt bin ich gerade am Schneiden.“ Jedoch: Immer wenn Zeit übrigbleibt, widmet sich Eszter Vörös ganz ihrem Bandoneon. Sie fährt auf internationale Workshops, spielt in mehreren Tango-Orchestern im In- und Ausland mit. Und übt – wenn die Uhr es zulässt, fünf Stunden am Tag. Außerdem unterrichtet sie Tangotänzer, möchte ihnen die Feinheiten der Musik näherbringen. „In der ersten Stunde frage ich meine Schüler immer: Welches Instrument ist in allen lateinamerikanischen Musikrichtungen zu hören, nur im Tango nicht?“ Na, wissen Sie es? Achja, die Percussion.
Mitschnitt eines Konzerts des italienischen Ensemble Hyberion mit Eszter Vörös: https://www.youtube.com/watch?v=EOQtf9gQX6Q
Ich habe heute den Artikel über das Bandonion von Eszter Vörös gelesen.
Dazu kann ich Ihnen folgendes mitteilen.
Das Bandonion wurde im Erzgebirge erfunden in der kleinen Gemeinde Carlsfeld.
Dort gibt es einen Verein. Er nennt sich Verein des Jahres 2012 Sachsen unter der Leitung von Robert Wollschläger.
Einmal jährlich finden dort Treffen statt. Sie können unter Youtube bei Robert Wollschläger alles nachsehen. Es gibt auch eine Werkstatt. Ich hoffe ich konnte Ihnen weiter helfen.
Petra Wunderlich Varvölgy. Ich stamme aus der Gegend und kenne die Treffen.