Am vergangene Donnerstag wurden erneut die besten ungarischen Pressefotografien und -fotografen des Jahres ausgezeichnet. Die alljährliche Pressefoto-Ausstellung ist die bedeutendste Plattform der hiesigen Fotoindustrie. Mitunter dank der hochdotierten Preisgelder: Insgesamt vier Millionen Forint wurden in Form von 13 Kategoriepreisen und sechs Sonderpreisen vergeben. Die ausgezeichneten Werke sind noch bis zum 17. Mai im Robert Capa Zentrum für Zeitgenössische Fotografie zu bewundern.
Ein Rundgang durch die Ausstellung ist ein Rundgang durch das Jahr 2014. Im gemütlichen Tempo lassen sich in den Räumlichkeiten des Robert Capa Museums die wichtigsten Ereignisse des vergangenen Jahres in Form von Bildern erneut Revue passieren. Viele alte Bekannte begegnen einem bei der Schau– die gewalttätigen Szenen, die uns zu Beginn des Jahres wochenlang aus Kiew erreichten oder die eindrucksvollen Bilder, die uns die Demonstrationen gegen die Internetsteuer im Oktober bescherten. 2014 bot Fotografen in Ungarn und der Welt eine Vielfalt an unvergesslichen Motiven.
Aus 7164 Einsendungen von insgesamt 243 Fotografen musste daher die fünfköpfige – aus heimischen und internationalen Experten bestehende – Jury dieses Jahr wählen: Obwohl dies im Vergleich zum Vorjahr einen Rückgang der Einsendungen um fast 30 Prozent bedeutet – gar keine leichte Aufgabe. Doch mit Adrian Evans als Kopf der Jury holte sich die Ungarische Pressefoto-Ausstellung heuer einen sehr renommierten und erfahrenen Vertreter der internationalen Fotobranche ins Boot. Evans ist nicht nur Direktor der britischen Fotoagentur Panos Pictures, die sich vor allem gesellschaftlichen Themen widmet, sondern war in der Vergangenheit auch bei der Auswahl der Preisträger der noch angeseheneren World Press Photo-Ausstellung beteiligt. Zur Seite standen ihm weiterhin der letztjährige Preisträger und AFP Photo-Chefredakteur Eric Baradat, Bloomberg Finance-Fotograf Krisztián Bócsi, der Fotohistoriker und Kurator Marián Pauer sowie Zsolt Reviczky, seines Zeichens Fotoreporter bei der Tageszeitung Népszabadság.
Hinwendung zu nationalen Themen
Mehr als je zuvor ist an der diesjährigen Pressefoto-Ausstellung abzulesen, dass sich Ungarn in einer Phase der inneren Konsolidierung befindet. Weit weniger als im Vorjahr wurden globale Ereignisse thematisiert. Zu einem der wenigen Preisträger, die sich mit Fotos aus globalen Krisenherden beworben haben, gehört Magyar Hírlap-Fotograf Sándor Csudai. Seine Fotoserie „Krieg auf der Straße“ dokumentiert das Chaos und die Eskalation von Gewalt, die auf dem Maidan in Kiew den Anfang der nun schon ein Jahr andauernden Krise in der Ukraine markierte. Doch abgesehen von diesen Bildern dreht sich die Mehrheit der Darstellungen um nationale Angelegenheiten. Tamás Szigeti, Kurator der Ausstellung, fasst den diesjährigen Trend wie folgt zusammen: „Es geht nicht nur darum, große Katastrophen in fernen Teilen der Welt zu dokumentieren, sondern darum, die Momente, die das tägliche Leben der Menschen ausmachen, festzuhalten.“ Zu den Themen, die ungarische Fotojournalisten im vergangenen Jahr bewegten, gehören, neben Armut und Obdachlosigkeit, auch die in Ungarn kritisch diskutierte Flüchtlingsfrage.
Spiegel großer gesellschaftlicher Herausforderungen
Dies spiegeln in besonderer Weise die mit den beiden Hauptpreisen, dem MÚOSZ- und dem André Kertész-Preis, ausgezeichneten Fotoserien wider: So ging der diesjährige Preis des Ungarischen Journalistenverbands MÚOSZ an Balázs Béli für seine Fotoserie „Auf der Straße nach Europa“(Úton Európába). Darin zeichnet Béli, der für das rechtsradikale Wochenblatt Barikád arbeitet, ein düsteres Bild von den aus Süden kommenden Flüchtlingsströmen: Hungrige Augen schauen aus verschlossenen Gesichtern, die auf ärmlichen Leibern sitzen. 2014 überquerten geschätzte 30.000 Flüchtlinge, meist Syrier, Afghanen und Kosovo-Albaner die serbisch-ungarische Grenze auf der Suche nach Asyl. Als Mitgliedsstaat der EU ist Ungarn verpflichtet, aufgegriffene Flüchtlinge Unterkunft zu gewähren, bis ihr Asylstatus geklärt ist. Doch nach kurzer Zeit ziehen viele in den Westen weiter. Béli zeigt die Schwielen an den Füßen der Flüchtlinge, aber auch die wenigen Habseligkeiten, an die sich die meisten trotz der langen Reise verzweifelt klammern.
Den André Kertész-Preis erhielt Attila Balázs vom ungarischen Medienservice MTVA/MTI für seine Fotoserie „Weihnachten eines Obdachlosen“ (Egy hajléktalan karácsonya). Mit seiner Kamera begleitete Balázs an Heiligabend 2014 den seit anderthalb Jahren auf der Straße lebenden Barnabás József Antal in Nyíregyházá, 245 km östlich von Budapest. Für die Mitternachtsmesse in der Kathedrale legte der 62-Jährige seine besten Kleider an, um gemeinsam mit den anderen Mitgliedern der Gemeinde das Abendmahl zu empfangen. Balázs, der selbst aus Nyíregyházá stammt, wurde auch als bester Komitats-Fotojournalist des Jahres ausgezeichnet.
Lachen erlaubt
Doch der Themenkreis der Pressefoto-Ausstellung bietet auch weniger ernsthaften und bedrückenden Themen Raum: Die ausgezeichneten Fotos in der Kategorie Boulevard und Humor erlauben den Besuchern zumindest vorübergehend die Sorgenfalten zu entspannen. Bei Schnappschüssen, wie er Szilárd Koszticsák gelungen ist, der eine Nonne inmitten ihrer Schwestern erwischte, wie sie noch schnell ein Foto mit ihrem Handy schoß, bevor Sie ins Gebet einstimmte, darf man sich ruhig ein Lächeln entlocken lassen. Achtung: Ein allzu heftiges Losprusten bei einigen der Bilder könnte ungewollt als politisches Statement missverstanden werden. János Lázár hat uns 2014 gezeigt, dass er keinen Humor versteht, wenn es um mediale Kritik an seiner Person geht. Umso weniger dürfte sich der Kanzleramtsminister freuen, dass es das Foto von 444.hu-Fotograf Tamás Botos in die Auswahl der Ausstellung geschafft hat. Das Bild zeigt Lázár als Redner bei einem Bürgerforum in Makó, einer Stadt im Südosten Ungarns. Nicht nur dass eine Parkbank zum Rednerpult umfunktioniert wurde, gibt dem Bild und seiner Hauptfigur eine unfreiwillige Komik. Auf den Gipfel treiben es die beiden Rentner, die wenig interessiert zu Füßen Lázárs auf eben jener Parkbank sitzen gelassen wurden.
Aber auch die Fotoserien und Einzelbilder in den Kategorien Sport und Kunst heben die Stimmung. Dies mag daran liegen, dass sie Menschen zeigen, die sich in ihrem Element befinden. So scheint beispielsweise die funkensprühende Leidenschaft und Kraft, die der britische Musiker Steven Isserlis in sein Cellospiel legt, aus dem Foto des freiberuflichen Fotojournalisten László Mudra direkt auf den Betrachter überzuspringen.
Fotojournalismus ist Männersache?
Eins verwundert bei einem Blick auf die Liste der Preisträger der Pressefoto-Ausstellung: Fotojournalismus scheint in Ungarn reine Männersache zu sein. Frauen sind bis hin zur Marginalisierung unterrepräsentiert. Von 45 Auszeichnungen gingen nur zwei an Fotografinnen, und an der Auswahl der Preisträger und Preisträgerinnen war gleich gar keine Frau beteiligt. Ob es sich eine Institution vom Format der renommierten Ungarischen Pressefoto-Ausstellung leisten kann, nicht auch den weiblichen Nachwuchs zu fördern, werden die nächsten Jahre zeigen.
Katrin Holtz
Ungarische Pressefoto-Ausstellung
Noch bis 18. Mai
Robert Capa Zentrum für Zeitgenössische Fotografie
VI. Nagymező utca 8
www.sajto-foto.hu