Von Zsuzsanna Körmendy
Man kann es drehen und wenden, wie man will: Wir sind eine Konsumgesellschaft. Deshalb ist der einkaufsfreie Sonntag für alle ein Thema, insbesondere für die Familien.
Wenn wir von Tradition sprechen, denken wir in der Regel an wertebeladene, hehre Dinge. Indes ist der Inhalt stets vom Kontext abhängig. Laut Wörterbuch handelt es sich bei Tradition um eine Sache, die schon seit Langem besteht. Anders gesprochen: Neben positiven kann es auch negative oder neutral beladene Traditionen geben. Dass wir am Sonntag einkaufen gehen, ist eine neutrale Tradition.
An und für sich ist es nicht schädlich, wenn beispielsweise eine Familie in strömendem Regen nicht in den Wald spazieren geht, sondern im Einkaufszentrum Frühjahrsschuhe für das Kind besorgt und danach am selben Ort gemeinsam Mittag isst, um die Mutter von den sklavischen Freuden des Kochens und Abwaschens zu befreien.
All das schicke ich deshalb voraus, weil die Öffnungszeiten am Sonntag inzwischen zur ideologischen Frage entartet sind. Davon kann aber mitnichten die Rede sein. Hier geht es vielmehr um eine Bequemlichkeits- und Freizeitfrage. Was allerdings böses Blut schafft, ist der Zwang. Der Ungar mag es nicht, wenn man ihm auf Grundlage verschiedener Theorien etwas aufoktroyiert. Vielleicht deshalb, weil die Möglichkeiten bei uns ziemlich begrenzt sind, nicht bloß für die Armen, sondern auch für die untere Mittelschicht. (Die oberen Zehntausend juckt es kaum, ob die Geschäfte am Sonntag geöffnet sind.)
Seit der Wende sind wir zwar frei, unser Leben ist allerdings existentiell eingeschränkt. Der österreichische Rentner hat die Qual der Wahl zwischen einer Kreuzfahrt auf dem Mittelmeer oder einer Reise nach Prag, während der ungarische Rentner allenfalls die Wahl zwischen Schinken und Speck hat. Unsere Politiker sollten wissen, dass in einer Gesellschaft, wo die Menschen kaum Entscheidungsmöglichkeiten haben, ihre Toleranzgrenze sehr niedrig ist. Der einkaufsfreie Sonntag stößt nach meinen Erfahrungen selbst jenen Ungarn sauer auf, die im Monat vielleicht einmal am Sonntag einkaufen gehen.
Im Hinblick auf die menschlichen Handlungen wiegen die rationalen Argumente immer schwer, doch entscheiden niemals sie allein. Deshalb überrascht es mich immer wieder, wenn politische oder wirtschaftliche Analysten, hinter denen ein professioneller Apparat steht, darauf hinweisen, was nützlich und sinnvoll sei. Als würde nur das zählen. Analysen? Studien über die möglichen Auswirkungen? Fehlanzeige. Wir hätten uns wohl viele Spannungen erspart, wenn es mit Blick auf die Ansprüche und Interessen der ungarischen Konsumenten im Vorfeld Erhebungen und Analysen gegeben hätte.
Wir können hierbei nicht umhin, Mihály Varga (Wirtschaftsminister; Anm.) eine Tatsache unter die Nase zu reiben: Im November des Vorjahres hatte der Minister den Vorschlag der Christdemokraten (Juniorpartner in der Regierungskoalition; Anm.) noch abgelehnt, am Sonntag die Geschäfte geschlossen zu halten. Im Januar dieses Jahres stellte er sich aber bereits hinter die Idee. Im Vorjahr war noch davon zu hören, dass die Christdemokraten (KDNP) den einkaufsfreien Sonntag initiiert hätten. Nun aber erklärte der Politiker Bence Rétvári (KDNP), dass die Initiative gar nicht von ihnen gekommen sei, sondern von einer Gewerkschaft, an deren Idee die KDNP Gefallen gefunden hätte.
Vor Kurzem hieß es noch, dass hinsichtlich der negativen Auswirkungen des einkaufsfreien Sonntags auf die Volkswirtschaft und die Arbeitnehmer keine Studie erstellt worden sei. Indes konnten wir am Freitag (vergangener Woche; Anm.) die Nachricht lesen, wonach doch eine Studie erstellt worden sei, in der die volkswirtschaftlich schädlichen Auswirkungen des einkaufsfreien Sonntags mit Zahlen untermauert wurden. Kurz darauf war bereits in allen Internetforen folgende Erklärung des Wirtschaftsministeriums zu lesen: „Das Volkswirtschaftsministerium weiß nichts davon, dass in seinem Auftrag zu diesem Thema eine Analyse erstellt worden wäre.“
Was sollen wir dazu sagen? Das ist ein ziemlich großes Problem für uns.
Die Autorin ist Kommentatorin der konservativen Tageszeitung Magyar Nemzet. Der hier abgedruckte Text erschien ebendort.
Aus dem Ungarischen von Peter Bognar
„Der Ungar mag es nicht, wenn man ihm auf Grundlage verschiedener Theorien etwas aufoktroyiert.“
ach herrjemine, wieder so ein versuch einen weit verbreiteten mythos am leben zu erhalten.
sorry, aber ich musste fast schon lachen…
Hier geht es nicht um die Befindlichkeiten jedes einzelnen der vielleicht ein paar Brötchen einen Liter Milch sonst irgendwelche Dinge des täglichen Lebens kaufen will sondern um die berechtigten Interessen von Handelsangestellten. Es stellt schon eine sehr egoistische Einstellung dar, zu sagen ich bin ja wer – ich will 7 Tage rund um die Uhr einkaufen können.
Beim einkaufsfreien Sonntag ist es so, wie mit den Tabakläden. Gelegentlich wird eine Sau durchs Dorf getrieben, alle regen sich darüber auf und dann gewöhnen sich die Leute daran.
Gelegentlich sollte man auch an die Frauen und Männer denken, die ungefragt am Sonntag arbeiten müssen und in der Regel keine nennenswerten Zuschläge bekommen. Eventuell würden diese Menschen ihren Sonntag gerne mit der Familie verbringen…solche karrierevergessenen, egoistischen Dinosaurier soll es ja wirklich noch geben.