Es ist der 7. Januar, ein Mittwoch, 11:30 Uhr. Der Tag des Anschlages auf die Redaktion der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo, bei dem insgesamt zwölf Menschen getötet werden. Ein Schock für unzählige Menschen auf der ganzen Welt, ein Schlag gegen die Meinungsfreiheit. Das Französische Kulturinstitut Budapest zeigt nun in einer Ausstellung karikaturistische Werke, die nach dem Anschlag entstanden sind – und holte sich für die Eröffnung zur Sicherheit Polizeischutz.
#JeSuisCharlie – der Titel der internationalen Karikatur-Ausstellung, die noch bis zum 10. April im Französischen Kulturinstitut gastiert, erinnert an die unzähligen Reaktionen, die nach dem Pariser Anschlag unter diesem Hashtag über den Nachrichtendienst Twitter gepostet wurden. Mehr als 5 Millionen Einträge waren es allein zwischen dem 7. und 9. Januar, die mit dem Apropos „Auch ich bin Charlie“ Kondolenzbekundungen, empathische bis wütende Kommentare und aktuelle Entwicklungen mitteilten. Und auch die Budapester Ausstellung selbst ist solch eine Reaktion. In manchen Werken ironisch, an anderer Stelle aggressiv setzen sich hier 25 Karikaturisten aus aller Welt mit dem Ereignis auseinander, das die Welt der kreativen Berufskommentatoren auf den Kopf stellte.
So auch Mana Neyestani, einer der wichtigsten politischen Karikaturisten des Iran. 1973 geboren begann Neyestani schon als Jugendlicher, Cartoons und Illustrationen in reformorientierten Zeitungen zu publizieren. Aufgrund seiner unzensierten, spitzen Bilder war er mehrere Wochen im berüchtigten Evin-Gefängis inhaftiert, bevor ihm die Flucht nach Malaysia gelang. 2010 konnte der gebürtige Teheraner mithilfe der Organisation Reporter ohne Grenzen nach Frankreich emigrieren. Sein Beitrag zur Ausstellung im Französischen Kulturinstitut ist bittersüß: Zu sehen ist auf schwarzem Hintergrund ein weißer Smiley, dessen rote Augen und lachender Mund von der Blutspur vierer Leichen gezeichnet werden. Platt morbid – oder auf den Punkt gebracht?
Schutz von Meinung und Menschen
Mit Meinungsverschiedenheiten muss bei Darstellungen jeder Art und Thematik gerechnet werden, doch im Französischen Kulturinstitut ängstigte man sich wohl davor, dass Bilder wie das von Neyestani so manchen von eigener Deutungshoheit Besessenen gar zu einem Reenactment des Anschlages auf Charlie Hebdo provozieren könnten. Jedenfalls überwachten während der Ausstellungseröffnung am vorvergangenen Donnerstag etwa zwei Dutzend Polizisten das Institutsgebäude im Budaer I. Bezirk von außen, während im Eingangsbereich Sicherheitsbeamte mit Metalldetektoren die Besucher kontrollierten. Zunächst scheint es wie ein Widerspruch: Eine Ausstellung, die sich zu Satire, zur Berechtigung von politischen Karikaturen, zu Charlie Hebdo, Hamburger Morgenpost und Co., kurz zu Meinungsfreiheit bekennt, duckt sich vor Fanatikern. Wer sich jedoch in der Galerie des Französischen Instituts umsieht, merkt sofort, dass hier nicht die geringste Zensur betrieben wird. Das Polizeiaufgebot und die Sicherheitsvorkehrungen dienten allein dem Schutz der anwesenden Besucher, unter denen sich auch Kinder und Jugendliche befanden.
Einer von ihnen, ein etwa achtjähriger Junge, zeigte der Fotografin der Budapester Zeitung, Nóra Halász, sein Lieblingsbild. Von Gábor Pápai, Karikaturist bei der ungarischen Tageszeitung Népszava (Deutsch: Volksstimme), gezeichnet zeigt es die vier bei dem Anschlag auf Charlie Hebdo ums Leben gekommenen Karikaturisten: Cabu, Tignous, Charb und Wolinski. Sie sitzen mit Stift und Papier gut behütet im „Siebten Himmel“, während vor ihrer kleinen Wolkenfestung zwei maskierte, bewaffnete Männer herabstürzen – die beiden Täter, die sich zu Al-Qaida im Jemen bekannten. Kein Himmel nimmt euch mit solchen Gräueltaten, scheint Pápai hiermit sagen zu wollen. Für den jungen Ausstellungsbesucher symbolisiert das Bild die Ereignisse vom 7. Januar 2015 am besten. „Und auch die Figuren gefallen mir gut“, fügt er hinzu.
„Es ist ein Muss, dass wir unsere Freiheiten ausüben“
„Es ist wichtig für mich, dass das Französische Kulturinstitut der Ausstellung ein Zuhause gegeben hat“, sagte Hervé Ferrage, seit September 2013 Leiter des Französischen Kulturinstituts, in seiner Rede zur Ausstellungseröffnung. „Die Versammlungsfreiheit, das Recht auf freie Meinungsäußerung, Religionsfreiheit, Kunst- und Pressefreiheit und so fort – all diese Freiheiten auszuüben ist keine Möglichkeit, sondern ein Muss. Und wir müssen eben auch verschiedene Meinungen aushalten können. Umso besser, dass dies hier in dieser Ausstellung über Humor geschieht, auch wenn sich das manchmal bittersüß anfühlt.“
Ferrage betonte, dass es das Ziel von #JeSuisCharlie sei, der Erinnerung eine Perspektive zu geben. Darüber hinaus gehöre die Ausstellung zu einer ganzen Reihe von Veranstaltungen, die an den Pariser Anschlag erinnern wollen und sie zum Thema haben. „Es ist eine ungarische Ausstellung“, erklärte der Institutsleiter weiterhin, „die in Kooperation mit zwei ungarischen Kuratorinnen auf die Beine gestellt wurde, dabei aber einen internationalen Geist innehat, da die Werke neben Ungarn und Frankreich beispielsweise auch aus dem Iran und Kanada stammen.“ Auch die beiden Kuratorinnen, Bianka Zsigó und Eleonóra Takács, waren bei der Ausstellungseröffnung zugegen und befanden in ihren Reden, Lachen sei die beste Medizin, mit den Gefühlen nach einem solchen Ereignis wie dem vom 7. Januar umzugehen. Vierte Rednerin des Abends war Dalma Dojcsák, Mitarbeiterin des Programms für Freiheitsrechte bei der Organisation TASZ („Gesellschaft für die Freiheitsrechte“). Dojcsáks wertvollste Aussage war ihr Plädoyer für unabhängige, kritische Kunst: „Es ist falsch zu glauben, dass es Aufgabe der Kunst ist, einfach schön und hübsch anzusehen zu sein. Das ist langweilig. Kunst muss auch anwidern und provozieren können. Und wenn wir es den Künstlern überlassen, die Welt in ihren Werken widerzuspiegeln, dann wird sie eben manchmal schön und manchmal eklig und abstoßend.“
Eine Ausstellung, die gebraucht wird
Die Ausstellung des Französischen Kulturinstituts mit ihrer eindeutigen Message ist wichtig, enorm sogar, auch und gerade in Ungarn, wo dem Rapper Dopeman erst vor wenigen Tagen von der Budapester Staatsanwaltschaft mitgeteilt wurde, er müsse vor Gericht, da er im September 2013 auf einer Demonstration das Pappmaschee-Konterfei von Premier Viktor Orbán mit Füßen getreten hatte. Auf rheinländischen Rosenmontagsumzügen kriechen sich überlebensgroße Politikerskulpturen übrigens Jahr für Jahr in Hinterteile. Nun, ein niederländisches Sprichwort bringt es auf den Punkt: Der Stift ist stärker als das Schwert. Hoffentlich jedenfalls.
Lisa Weil
#JeSuisCharlie
Ausstellung im Rahmen des 15. Frankofon Festivals
noch bis 10. April
Französisches Kulturinstitut, Budapest I. Fő utca 17.
Es ist das gute Recht dieser Menschen, ihre Weltsicht zu zeigen. Und es ist mein gutes Recht, einige dieser Zeichnungen, die vor dem Anschlag enstanden (zum Beispiel die Verhöhnung der christlichen Dreifaltigkeit) zum Erbrechen zu finden. Natürlich darf niemand für so etwas ermordet werden. Nichtsdestotrotz bin ich peinlich berührt, wenn sich dieses Milieu als Helden und Märtyrer feiern lässt und gleichzeitig verlangt, von Polizisten geschützt zu werden, die über diese Kunstwerke wahrscheinlich ebenso denken, wie ich.