
Rollladen runter, Umfragewerte hoch? Vielleicht ist die ungarische Wirklichkeit doch ein wenig komplizierter.
Letztes Wochenende konnten Sie schon einmal trainieren, Ihren möglichen Sonntagseinkauf auf Sonnabend oder gar Freitag vorzuverlegen. Hatte das noch etwas mit dem allgemeinen Feiertag zu tun, geht Selbiges ab kommendem Wochenende auf ein vom Fidesz zunächst vehement abgelehntes, dann aber ebenso vehement durchgeboxtes neues Gesetz zurück. Danach müssen Einzelhandelseinrichtungen bis auf wenige mehr oder weniger klar umrissene Ausnahmen am Sonntag geschlossen bleiben.
Der im letzten Jahr erfolgte plötzliche Sinneswandel der Entscheidungsträger beim Fidesz könnte etwas damit zu tun haben, dass ihnen ihre vortrefflichen Berater vorgegaukelt haben, dass die Partei mit diesem volkswirtschaftlich eher nachteiligen Schachzug in der Wählergunst etwas zulegen könne. Ob dieses Kalkül aufgeht, wird sich zeigen. Letzte Umfragen lassen jedoch auf ein eher negatives Echo schließen. Auch rein logisch müssten die Verlierer dieses Schritts in der Überzahl sein, schließlich standen an bisherigen Sonntagen vor den Kassen natürlich stets mehr Menschen, als an ihnen saßen.
Im besten Fall könnte sich dieser Eingriff des Fidesz in die Freiheit der Bürger zum Einkaufen aber auch zum Geldverdienen als popularitätsneutraler Rohrkrepierer erweisen, im – für die Partei – schlimmsten Fall könnte er ihrer im letzten Herbst begonnenen Abwärtsspirale einen weiteren Schub verleihen. Es ist schon eigenartig, wie eine Partei, die noch vor kurzem in Sachen Marketing mit so genialen Ideen wie der Politik der sinkenden Wohnnebenkosten punktete (Stimmenkauf mit fremdem Geld, kombiniert mit populärem MultiBashing), bei ihrem Versuch, verlorenes Terrain wieder gut zu machen, inzwischen auf so zweifelhafte Ideen wie die mit dem einkaufsfreien Sonntag kommt.
Entweder sind ihre federführenden Berater nicht mehr so ganz auf Tuchfühlung mit der Wirklichkeit, oder das Feld an alternativen popularitätssteigernden Maßnahmen ist inzwischen schon derart abgegrast, dass darauf wirklich nur noch so eigentorverdächtige Ideen wie halt das Sonntagsverkaufsverbot, Drogentests für Minderjährige und ähnliche Geistesblitze sprießen. Dass Premier Orbán nach dem Veszprémer Wahldebakel seine potenziellen Anhänger, also auch die Ideenköche aus seinem Umfeld, anhält, sich noch mehr ins Zeug zu legen („Nicht auf den eigenen Lorbeeren ausruhen!!!“) lässt für die Zukunft nichts Gutes erahnen.
Klar könnte der Fidesz statt weiterer Luftnummern zu produzieren auch einmal selbstkritisch darüber nachdenken, warum sich seit seinem fulminanten Wahlsieg im Frühjahr 2010 so viele Wähler von ihm abgewandt haben. Vielleicht sollte Premier Orbán einfach seiner Parteibasis wieder etwas Gehör schenken. Möglich dass er dabei auch Indizien für die in letzter Zeit von konservativen Kritikern bemühte These findet, wonach sich die Abkehr des Fidesz von bürgerlichen Werten proportional zur Abkehr bürgerlich gesinnter Wähler von ihm verhält.
Vielleicht kommt er dann selbst darauf, dass seine Partei ihre verlorenen Wähler nicht mit weiteren MarketingTricks, sondern eher so zurückgewinnt, indem sie sich wieder als glaubhafte Trägerin bürgerlicher Werte positioniert. Also als eine Partei, der man wieder abnimmt, dass sie das Attribut „bürgerlich“ nicht nur als Etikett vor sich her trägt – wie ein FideszMarketingstrategie kürzlich in einem Anfall von Aufrichtigkeit offenherzig zugab – sondern wirklich lebt.
Für viele Ungarn ist „bürgerlich“ nämlich deutlich mehr als nur ein leeres Etikett. Es steht unter anderem für gesittete Umgangsformen, gesellschaftlichen Frieden, Ehrlichkeit, gesamtgesellschaftliche Prosperität und viele weitere positiv besetzte Dinge. Mit dem Drang nach Bürgerlichkeit verbinden viele Ungarn auch die Hoffnung auf eine Gesellschaft, die nicht mehr von den kommunistischen Eliten und deren NachwendeAbkömmlingen geprägt ist. Dass sich der Fidesz unter den acht sozialistischen Jahren glaubwürdig als eine Partei bürgerlicher Werte positionieren konnte, wird wesentlich zu seinem damaligen Wahlsieg beigetragen haben.
Um der Bedeutung bürgerlicher Werte für die Wähler seiner Partei auf die Spur zu kommen, ist Orbán gut beraten, sich ausnahmsweise einmal nicht seinen, anscheinend eher auf materielle Werte fixierten tonangebenden Beratern anzuvertrauen.
Er kann sie natürlich auch weiterhin munter vor sich herum experimentieren und vergeblich nach ExFideszWählern fischen lassen. Immerhin wird einem dann die Zeit bis zu den nächsten Wahlen nicht langweilig!
Jan Mainka
Chefredakteur & Herausgeber
Mehr Stimmen ..nur für welche Partei? Muss man sich aber darüber wundern, wenn man z.B ,. solche Aussagen wie von Bító hört? aber darauf muss man erstmal kommen.Tja, die “intelligencia”, was würde Ungarn nur ohne sie machen.
Der Einkauf am Sonntag sollte weider möglich sein.
Viele Familien haben nur die Möglichkeit am Sonntag mal “gemeinsam” einzukaaufen,
Gerade dann hat man auch mehr Zeit zum einkaufen. Im besonderen wenn gößere Einkaufswzentren dann auch gerade am Sonntag einzelne Events und Aktionen starten so ergibt sich hier noch ein besonderes Einkaufserlebnis für alle. Zu überlegen wäre vielleicht für die Öffnungzeiten an Sonn- und Feiertagen (mit definierten Ausnahmen) eine Sonderabgabe – aber in massvoller Höhe – zu erheben. Das sollte der Gestzgeber nochmal überdenken.