Moskau (1976-1980), Ankara (1998-2001) und Berlin (2009-2015). Liest man die Aufzählung der bisherigen Auslandseinsätze von Ralph Scheide könnte man meinen, der neue österreichische Botschafter in Ungarn habe sich zielgerichtet auf Budapest (2015-) zubewegt. Im Laufe seiner Diplomatenkarriere berührte er nämlich sämtliche Eckpunkte des von Premier Viktor Orbán gerade diesen Montag erst wieder beschworenen Großmächte-Dreiecks.
Dass sich die Karriere von Ralph Scheide gerade so gefügt hat, dass ihr im Nachhinein durchaus ein aktueller Sinn entlockt werden kann, ist natürlich nur ein Zufall, wenngleich ein origineller. Seine Entscheidung für Ungarn ist hingegen kein Zufall, sondern eine bewusste Entscheidung. „Budapest ist für mich als Österreicher ein idealer Posten, immerhin verbinden unsere beiden Länder lange zurückreichende Beziehungen, Ungarn ist für Österreich viel mehr als nur ein Nachbarland.“ Immer wieder kommt der Botschafter bei unserem etwa eineinhalbstündigen Gespräch auf die Geschichte der beiden Länder und der Region zu sprechen, und beleuchtet aktuelle Ereignisse auch aus einem historischen Kontext heraus.
Viel Österreich in Ungarn
Die besondere Nähe beider Länder macht er aber auch an ganz praktischen aktuellen Beispielen fest: „Wenn ich durch die Budapester Innenstadt gehe, dann sehe ich fast an jeder Ecke ein Geschäft oder eine Bank mit österreichischem Hintergrund.“ Dieses Phänomen sei ihm bisher in kaum einem anderen Land so intensiv begegnet. Kein Wunder: immerhin sei Ungarn ja auch der siebtwichtigste Exportmarkt für Österreich. Ein sehr dynamischer noch dazu: „2014 stiegen die österreichischen Exporte nach Ungarn um 10,9 Prozent.“ Einen siebten Platz gibt es übrigens auch in umgekehrter Relation, nämlich im Hinblick auf Österreich als Abnehmerland für ungarische Exporte, die im erwähnten Zeitraum immerhin um 2,7 Prozent zulegen konnten.
Eine noch bessere Platzierung nimmt Österreich für Ungarn bei den Direktinvestitionen ein, wo die Alpenrepublik mit 8,5 Milliarden Euro (was 11 Prozent der in Ungarn getätigten Auslandsinvestitionen ausmacht) nach Deutschland, Luxemburg und den Niederlanden auf Platz vier liegt. Scheide wertet es als „positives Signal“, dass wenige Tage nach seinem Amtsantritt in Budapest mit dem Einstieg des ungarischen Staates und der EBRD bei der Erste Bank und den daraus resultierenden positiven Nachrichten für die gesamte Branche ein nicht ganz unproblematisches Kapitel der österreichisch-ungarischen Wirtschaftsbeziehungen beendet sein könnte. Jetzt gelte es, verstärkt nach vorne zu schauen: „Ich sehe viele Möglichkeiten für eine noch engere Kooperation unserer beiden Länder, auf wirtschaftlichen Gebiet, aber auch in anderen Bereichen“. In diesem Zusammenhang weist der Botschafter auf das schon jetzt sehr breite Angebot an Bildungseinrichtungen mit österreichischem Hintergrund hin.
Budapest erinnert eher an Paris
Befragt nach den ersten Eindrücken seiner kurzen Zeit in Budapest – am 19. Januar trafen er und seine italienische Frau in der ungarischen Hauptstadt ein, am 4. Februar überreichte er Staatspräsident János Áder sein Akkreditierungsschreiben – hält erst einmal, wenig überraschend, fest, dass Budapest eine „wunderschöne Stadt“ sei. Interessanterweise erinnere sie ihn aber weniger an seine Heimatstadt Wien, sondern wegen ihrer Weitläufigkeit und der prägenden Wirkung der Donau eher an Paris. Bisher hätten sie es unter anderem geschafft, die Oper und die Musikakademie auch von innen zu sehen.
Budapest ist für ihn als Österreicher natürlich keine unbekannte Stadt. Mehrfach war er schon hier. Das erste Mal, an das er sich erinnern kann, bereits als Zwölfjähriger. Vier Jahre später, 1967, stattete er Budapest von Wien aus sogar per Fahrrad einen Besuch ab. Nach der Wende war er dann häufiger in Budapest. Nun wohnt er für die nächsten Jahre sogar hier.
Von ihrem erfolgten Einzug in die schmucke österreichische Residenz in der Városmajor utca künden unter anderem eine Fülle an Fotos mit österreichischen und deutschen Spitzenpolitikern, teilweise ist er selbst darauf mit abgebildet, einige Fotos tragen Widmungen der betreffenden Personen. Mit dabei ist natürlich auch ein Portrait des österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim, dessen persönlicher Referent der Botschafter von 1987 bis 1992 war. Um den zeitlichen Rahmen unseres ersten Interviews nicht zu sprengen enthalten wir uns jedoch fürs erste weiterer Fragen zu seiner Polit-Prominenten-Galerie. Als sicher kann gelten, dass der Botschafter bei Gelegenheit seine Gesprächspartner gerne an seinem reichen Erlebnisschatz als Diplomat teilhaben lässt.
Die Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn kann man eigentlich nicht in einen einzigen Artikel beschreiben. Hassliebe ist ein zu starkes Wort, sie erinnert eher an eine vermittelte Zweckehe, die zu einer intimen Vertrautheit geführt hat: Keine flammende Leidenschaft (die ohnehin nie lange anhält), aber doch ein gewisses „Vermissen“, wenn der Partner mal lange Zeit nicht im Haus ist. Die in Frankfurt, Köln oder Hamburg lebenden Ungarn bekommen bereits ab etwa Regensburg-Passau, wo die „Zone Habsburgergelb“beginnt, den ersten Anflug von Heimatgefühl. Auch habe ich in den Jahren 2010-2013, als die antiungarischen Angriffe in der österreischischen Presse am heftigsten waren, beim Treffen mit Österreichern nie dass Gefühl gehabt, dass die veröffentlichte Meinung Österreichs mit der öffentlichen Meinung übereinstimmt. Besonders das Volk der kleinerern Städte und Dörfer misstraut traditionell dem linken und linksliberalen Maintstream einer Hauptstadt, die viel zu groß ist für eine kleine Republik, die einmal ein Reich war…auch dies haben Österreich und Ungarn gemeinsam. Natürlich geraten ungarische und österreichische Patrioten darüber in Disput, ob es nun Sopron oder Ödenburg heißt, Burgenland oder Örség. Doch dieser Disput endet meist mit der Erkenntnis: Ich liebe meine Heimat-und der Nachbar die seine eben auch. Es gibt nur wenige gute Beispiele dafür, dass in Europa eine dauerhafte Versöhnung, ein ungezwungen freundschaftlich-familiäres Verhältnis unter Nachbarn ohne Marschbebefehl von Oben möglich ist. Es ist kein Zufall, dass die österreichisch-ungarischen und slowenisch-ungarischen Beziehungen zu diesen Beispielen gehören. Man hat Gemeinsamkeiten, man hat weist Unterschiede auf, mal streitet man sich, mal arbeitet und feiert man zusammen. So ist es in Familien nun einmal.