Es gibt Filme, die das Lebensgefühl einer Generation, den Zeitgeist der Gesellschaft oder schlicht eine Momentaufnahme eines ganz bestimmten Gefühls einzufangen vermögen. Vier davon wurden Anfang März im Trafó Kortárs Művészetek Háza (Trafó Haus der zeitgenössischen Künste) gezeigt, bevor Index-Redakteurin Anita Libor ein Gespräch zwischen deren Machern moderierte, um die Anwesenden dann mit Musik von Bin-Jip und Hó Márton és a Jégkorszak in die Nacht zu entlassen.
Eine Premiere vor der Premiere: Oft wird davon nicht Zeuge, wer nicht gerade Filmemacher ist. Im Trafó wurden so vier Filmprojekte vorgestellt, die teils noch nicht einmal fertig produziert sind. Umso wichtiger war es den Machern jedoch, das Publikum am bisher Gedrehten teilhaben zu lassen, denn jeder Film war durch Crowdfunding teilfinanziert. Und: Auch das Trafó unterstützte die Projekte durch die Aktion „Adoptiere ein Einzelbild aus dem Film“ tatkräftig. In der Praxis bedeutete das, dass die Besucher den Filmemachern mit dem Kauf ihrer Eintrittskarte halfen, ihre Projekte umzusetzen, denn die kompletten Einnahmen aus dem Ticketverkauf wurden unter den Kreativen aufgeteilt.
Der erste im Trafó gezeigte Film war ein Vorgeschmack auf „Balaton Method“, ein musikalisches Liebesgeständnis an den Plattensee. Hinter dem Film, von dem 10 Minuten gezeigt wurden, steht Kodály Method – ein Musik-Videoblog, der 2011 startete. Die Macher, Regisseur Bálint Szimler und Kameramann Marcell Rév, dachten mit „Balaton Method“ ihren Videoblog weiter. Das Ergebnis ist ein Musikfilm, den es so in Ungarn noch nicht gegeben hat: 17 junge ungarische Bands verschiedener musikalischer Genre spielen rund um den Plattensee Lifesongs und werden dabei gefilmt, während ganz nebenbei ein unterhaltsamer Streifen in Spielfilmlänge herauskommt. Mit dabei sind unter anderem Quimby, Akkezdet Phiai, Punnany Massif, Soerii és Poolek, Jónás Vera Experiment, Bin-Jip, Subscribe, Middlemist Red und Hó Márton és a Jégkorszak, wobei Letztere auch im Filmausschnitt zu sehen sind: Dabei sieht man die Band knietief im Balaton-Wasser stehen und ihr Lied „Hello, Purgatórium!“ spielen, bis plötzlich um sie herum mehr und mehr Taucher an die Wasseroberfläche kommen und in den Refrain einstimmen. Zusammen gehen die Männer dann ans Ufer, wo sie das Lied zu Ende spielen und singen. Wie man später im Gespräch mit Index-Redakteurin Anita Libor erfuhr, handelt es sich bei den trällernden Tauchern um den Honvéd-Männerchor, und auch drei der vier Bandmitglieder von Hó Márton és a Jégkorszak traf man nach dem Gespräch Gitarre- und Cajón-spielend und singend nochmals auf der Bühne an.
Gehen, bleiben oder zurückkommen?
Ein Mini-Konzert im Geiste der „Balaton Method“ spielten auch Veronika Harcsa, Bálint Gyémánt und Andrew J. mit ihrer Formation Bin-Jip, die musikalisch zwischen Jazz, Pop, Electronica und Rock changiert. Wie Bálint Szimler und Marcell Rév im Gespräch verrieten, nahmen Bin-Jip unentgeltlich am Filmdreh teil, um die Finanzierung möglich zu machen. Es scheint jedoch, als habe letzten Endes alles geklappt, um den Musikstreifen verwirklichen zu können, denn vergangenen Freitag feierte „Balaton Method“ im Akvárium Premiere.
Bei den beiden Filmprojekten des Speak Easy Project, „Sweet Home“ und „Inside Berlin“ sieht es da schon etwas anders aus. Auch hier wurde ein jeweils zehnminütiger Einblick gewährt, fertiggestellt sind die Filme jedoch noch nicht. Der unter der Regie von Bálint Tusor gedrehte Film „Sweet Home“ befasst sich mit den Dilemmata von Menschen, die aus dem Ausland nach Ungarn zurückkehren, während Regisseur Loránd Balázs Imre in „Inside Berlin“ das Auswandererleben in der deutschen Hauptstadt am eigenen Leib erprobt. Zu Speak Easy sei gesagt, dass es sich dabei um ein Kreativunternehmen dreier Filmemacher handelt – neben Imre sind das Csaba Hernáth und László Józsa. 2013 stellte das Trio zum ersten Mal einen Film ins Netz, der das Leben nach New York ausgewanderter Ungarn dokumentiert: das komplett selbstfinanzierte „Menjek/Maradjak New York“. „Menjek/Maradjak“, das bedeutet „soll ich gehen oder bleiben?“, und genau mit dieser Frage befasst sich das Speak Easy Project in seinen – wie die Macher sie nennen – „sozialen“ Dokumentarfilmen, deren seit Jahren aktueller Aufhänger die steigende Zahl der Ungarn ist, die ins Ausland emigrieren.
Fortsetzung folgt
Nach New York folgte eine Londoner Episode, die im Sommer vergangenen Jahres ebenfalls im Trafó vorgestellt wurde. Bereits damals kündigte das Speak Easy Project eine Fortsetzung an, die „Menjek/Maradjak“ mit dem Berliner Selbstversuch und der Dokumentation der Heimkehrer nun tatsächlich produziert. Darüber, wann das Filmprojekt abgeschlossen sein wird, wurde im Trafó leider nichts verraten.
Der vierte an diesem Abend gezeigte Film ist „Fal“ (Mauer) von Simon Szabó. Als Schauspieler ist Szabó aus dem Kultfilm „Mozskva tér“ bekannt – seitdem hat er sich auch bereits des Öfteren als Regisseur und Drehbuchautor betätigt. Der Kurzfilm „Fal“ ist ein Resultat der breitbandigen Arbeit Szabós; auf dem Tampere Filmfestival 2014 gewann er den für die European Film Awards (EFA) nominierenden Preis. Damit zählt er zu den 15 besten Filmen des vergangenen Jahres. „Fal“ erzählt die Geschichte eines 16-jährigen Zigeunerjungen, den es als Gelegenheitsjobber auf eine Baustelle verschlägt. Dort muss er eine Steinmauer vor eine Wohnsiedlung bauen, doch erst als er über die fast fertige Mauer blickt, versteht er die Ausmaße seiner Arbeit. Der feinfühlige, authentische Spielfilm steht auf dem Youtube-Channel von Afterjka in voller Länge zum Ansehen bereit.