Das Phänomen EKÁER ist um eine weitere rätselhafte Facette reicher: Seit letztem Sonntag ist das neue elektronische Straßenfracht-Kontrollsystem inklusive drakonischen Strafen für dessen Nichteinhaltung voll in Kraft. Obwohl das System ungeachtet einiger Nachbesserungen noch immer durch seine teilweise Praxisferne, ergo Unerfüllbarkeit glänzt, hat die Regierung Ende Februar die bereits einmal verlängerte Probezeit einfach für beendet erklärt und das unvollendete System vom Stapel gelassen. Die Gründe für diese plötzliche Hektik sind genauso schleierhaft wie die, die zur Schaffung dieses weltweit einzigartigen Systems führten.
Schon in den ersten Tagen seiner scharfen Existenz bewies das System ganz klar seine Unausgegorenheit. Lieferungen verzögerten sich. Spediteure von Importwaren weigerten sich schlichtweg – ob nun aus fehlendem Respekt vor dem Hungaricum EKÁER oder weil ihnen für solche Fleißübungen einfach die Zeit fehlt – den Abnehmern der Waren die nötigen Informationen zukommen zu lassen, damit sich diese straffrei halten können. Zu allem Überfluss gab es beim Finanzamt auch noch einen Systemausfall über gut fünf Stunden. Weiteres Ungemach droht nun etlichen Firmen, die wichtige zugelieferte Komponenten ihrer Produktion, so etwa elektronische Bauteile plötzlich auf der Liste der Risikogüter wiederfinden oder die begründete Sorge haben, dass das passiert, um dann noch mehr Berichtspflichten am Hals zu haben. Fast überflüssig zu erwähnen, dass diese Liste noch nicht abgeschlossen ist.
Das brillanteste Missgeschick ist den EKÁER-Helden aber unterlaufen, als sie zwar für die etwa hundert umsatzstärksten Unternehmen eine Art EKÁER light schufen, auf der anderen Seite dann aber auf unerklärliche Weise vergaßen, beide Systeme zu synchronisieren. So müssten nun auch die positiv diskriminierten Großen einen Monat lang so wie alle anderen 54 Informationen pro Warengruppe und Lieferung ans Finanzamt liefern, ehe sie dann am 1. April nach dieser Fingerübung aufatmen können und nur noch drei Informationen zu liefern brauchen. Eine Pflege der Hauptverantwortlichen des ungarischen Wirtschaftswunders, dessen sich Premier Orbán eben erst wieder rühmte („Ungarn ist zu einer wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte geworden.“), sollte eigentlich anders aussehen. Ebenso das Bemühen um weitere Investitionen und Investoren.
Durch ihren abermaligen Aktionismus in Sachen EKÁER befinden sich nun aber nicht nur die Unternehmen in einer schwierigen Lage, sondern auch der Staat. Schließlich kann er jetzt nicht einfach das machen, was er laut Gesetz machen müsste, nämlich allen EKÁER-Sündern die Strafen aufzuerlegen, die das neue Gesetz vorsieht. So viel spürt auch die sonst um ihren internationalen Ruf nicht sonderlich besorgte Orbán-Regierung, dass es nicht gerade einer Einladung nach Ungarn gleichkäme, würden die Finanzbeamten jetzt flugs beginnen, die Creme der ungarischen Industrie mit saftigen Strafen zuzupflastern. Stattdessen üben sich die Beamten – so als würde die Probezeit noch andauern – seit dem 1. März weiterhin in Zurückhaltung. Ja, es gibt sogar von Regierungsseite – als Reaktion auf die nachgewiesene teilweise Unerfüllbarkeit gewisser EKÁER-Forderungen – Andeutungen, die Spediteure sollten sich in puncto Strafen weiterhin keine Sorgen machen. Ein kulanter Schritt in Richtung Realität -Rechtssicherheit sieht aber anders aus!
Die Regierung hat es einfach versäumt anzuerkennen, dass EKÁER zurzeit noch weit von einer Praxisreife entfernt ist. Ja sogar von den selbst gesteckten Ansprüchen. So sollte ja das neue Kontrollsystem den Mehrwertsteuerbetrügereien so das Wasser abgraben, dass den legal operierenden Firmen gleichzeitig kein Schaden entsteht. Wenn das wirklich der Anspruch gewesen sein soll, dann hätte die Probezeit wohl noch um einige Monate verlängert werden müssen. Das geschah aus irgendeinem Grunde aber nicht. Die entsprechenden Spekulationen reichen von der reinen Unwissenheitsvermutung mit Blick auf die Regierung bis hin zu ganz handfesten Themen wie Druck aus den USA oder das Big-Brother-Motiv. Was auch immer die wahren Gründe für den übereilten Schritt gewesen sein mögen, die Regierung hat sich nun selbst unter Zugzwang gesetzt. Nun muss sie zusehen, wie sie Dinge wie EKÁER, also Gesichtswahrung, Rechtsicherheit, Investorenstimmung und Standortpflege unter einen Hut bekommt. Sok sikert!